Die Sammlung Gegenwartskunst im Städel Museum wächst weiter: Welche neuen Entdeckungen erwarten euch und was verbindet sie? Ein inspirierender Überblick der Highlights, die 2024 ihren Weg in die Sammlung gefunden haben.
Das Städel Museum sammelt, bewahrt, erforscht und vermittelt Werke aus über 700 Jahren Kunst. Durch bedeutende Ankäufe und Schenkungen wird der Bestand des Hauses kontinuierlich und gezielt ausgebaut. Auch 2024 war es mit Hilfe des Städelkomitees möglich, die Sammlung der Gegenwartskunst mit wichtigen Kunstwerken zu ergänzen und somit die Weiterentwicklung der Städel Sammlung zu unterstützen.
Die Neuerwerbungen 2024 bieten die Möglichkeit, tief in das Thema der menschlichen Identität einzutauchen und die vielfältigen Facetten des Selbstporträts in der zeitgenössischen Kunst kennenzulernen. Die Darstellung des eigenen Antlitzes beschäftigt den Menschen bereits seit der Antike – und bis heute ist dieser Topos in der Kunst allgegenwärtig. Das Selbstbildnis ist auch ein Schwerpunkt in der Sammlung Gegenwartskunst des Städel Museums.
Mit seinem Werk „Untitled“ (2023) befragt Alexander Basil (1997) den modernen Umgang mit Identität aus der Perspektive eines Transmannes. Seine Arbeit spiegelt die Ambivalenz zwischen Intimität und Öffentlichkeit wider, eine allgegenwärtige Spannung im heutigen digitalen Zeitalter, in dem das eigene Bild einer ständigen Bewertung ausgesetzt ist. Basils Alter Ego – eine männliche Figur mit kahlem Kopf – tritt in seinen Kompositionen in verschiedenen Rollen auf. In „Untitled“ verfolgt der Betrachter intime Momente, wie das symbolische Abstreifen einer alten Haut, während uns die mandelförmigen Augen am Rand eines Laptop-Bildschirms hierbei ertappen.
Salomés expressives Werk „Die Verführung I“ (1979) bringt das Lebensgefühl der „Jungen Wilden“ eindrucksvoll zur Geltung. In den frühen 1980er-Jahren wandten sich junge Künstler gegen die scheinbar intellektuelle Kühle von Concept und Minimal Art mit dem Ziel, eine neue figurative, emotionale und subjektive Kunst zu propagieren. Salomé (1954 als Wolfgang Ludwig Cihlarz geboren) verbildlicht mit seiner kraftvollen Malerei das pulsierende Berliner Nachtleben und zeigt das Selbst als lebendige, intensive Erfahrung – was sich im Werk „Die Verführung I“ auch im schwungvollen, rabiaten Auftrag der grellen Farben manifestiert.
In den Werken der Malerin Galli lässt sich eine fast schon poetische Interpretation des Themas der menschlichen Figur beobachten. Die Künstlerin, geboren 1944 als Anna-Gabriele Müller, entwickelte eine unverwechselbare Formensprache, die sie in den 1980er-Jahren mit jenen „Jungen Wilden“ in Verbindung brachte – und doch nimmt sie eine Sonderposition ein. Ihre Malerei thematisiert die Fragilität und Vielfalt des menschlichen Körpers, der für uns alle zum „Schlachtfeld“ wird. Sowohl in „Sommerbild (22. 7. 89)“ als auch in „Untitled (Mit schwarzem Hügel)“ (beide 1989) bewegen sich die Szenen schwebend zwischen Figuration und Abstraktion. Bei aller Intensität und Kraft wirken die Figuren der Künstlerin zart, verletzlich und roh.
Ganz anders und nicht weniger spannend zeigt sich C. O. Paeffgens „Nasenbohrer“ (1972). Die provokante Darstellung des Kölner Künstlers (1933–2019) bricht bewusst Tabus und hebt hervor, dass sich die Identität auch aus all jenen, oft vernachlässigten Facetten zusammensetzt, die nicht gesellschaftlich konform sind. Es ist eine eindrückliche Reflexion über das Normierte, wie es nur Paeffgen mit seiner Nonchalance gegenüber Konventionen gestalten könnte.
Mit „Hairy Spider“ (2001) zieht ein außergewöhnliches Werk in die Sammlung ein, das tief in die Lebenswelt und die künstlerische Symbolik von Louise Bourgeois (1911–2010) eintaucht. Die auf Stoff gedruckte Spinnengrafik verkörpert Bourgeois’ Geschick, biografische Fragmente, familiäre Erfahrungen und kollektive Erinnerungen auf eindringliche Weise zu vereinen. Die Spinne ist eines der zentralen Motive im Œuvre der französischen Künstlerin. Die Arachniden, wie Spinnentiere auch genannt werden, sollen an die Widerstandsfähigkeit und den fürsorglichen Charakter ihrer eigenen Mutter erinnern, die Weberin und Restauratorin von Wandteppichen war. Bourgeois beschrieb ihre Mutter als klug, geduldig und beschützend – Eigenschaften, die sie mit der Spinne verband.
Der belgische Künstler Luc Tuymans (1958) lädt mit dem Diptychon „Amnesia“ (1980) dazu ein, über die Vergänglichkeit und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Gedächtnisses nachzudenken. Die Arbeit verbindet die Darstellung einer chinesischen Landschaft – basierend auf einer Postkarte – mit einer schwarzen Leere, die sich zum Symbol für die Auslöschung und Zerbrechlichkeit von Erinnerungen verwandelt. Indem Tuymans die Fehlbarkeit des Gedächtnisses thematisiert, wird der Betrachter Teil des Werkes: die schattenhafte Spiegelung in Form des lackierten schwarzen Ovals wird zur Vergegenwärtigung des Hier und Jetzt.
Rineke Dijkstras Fotografie „Odessa, Ukraine, August 7, 1993“ (1993) ist aktuell in der Ausstellung „Rineke Dijkstra. Beach Portraits“ noch bis zum 18. Mai 2025 im Städel Museum zu sehen. Die renommierte niederländische Künstlerin ist bekannt für ihre einfühlsamen Porträts, die zentrale Entwicklungsphasen des menschlichen Lebens festhalten. In diesem Werk posiert ein Junge aus Odessa lässig vor einer Mauer am Strand. Die Ambivalenz zwischen seiner kindlichen Ausstrahlung und den angedeuteten männlichen Gesten macht den Übergang von der Kindheit zur Jugend deutlich spürbar. Neugier, Skepsis und ein wachsendes Selbstbewusstsein prägen seinen Blick. Das Bild gehört zur „Streets“-Serie, die Dijkstra in den 1990er-Jahren parallel zu ihren berühmten „Beach Portraits“ in verschiedenen Ländern schuf.
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