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Die „Causa Städel“

Dem Testament von Johann Friedrich Städel verdanken wir die Gründung des Städel Museums und einen juristischen Präzedenzfall, der als „Causa Städel“ in die Rechtsgeschichte einging. Zum „Internationalen Tag des Testaments“ am 13. September schildert Dr. Christian von Oertzen im Gespräch mit Claudia Kaschube, was an Städels letztem Willen so besonders war und worauf man heute achten sollte, wenn man gemeinnützig vererben möchte.

Claudia Kaschube — 13. September 2024

Claudia Kaschube: In Deutschland hat nur ein Teil der Bevölkerung ein Testament verfasst. Doch nur mit einem Testament kann man aktiv bestimmen, wie man seinen Nachlass aufteilen und weitergeben möchte. So kann man zum Beispiel, neben den eigenen Kindern, auch die Stiefkinder, besondere Freunde oder eine gemeinnützige Organisation bedenken. Verstirbt man ohne Testament, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Gibt es keine Nachkommen, erbt der Staat. Warum ist es aus Ihrer Sicht und langjährigen Erfahrung so wichtig, sich frühzeitig mit dem Thema Nachlassplanung auseinanderzusetzen?

Dr. Christian von Oertzen: Mit der gesetzlichen Erbfolge macht der Gesetzgeber ein Angebot für diejenigen, die keine Regelungen getroffen haben. Dieses Angebot passt in den meisten Fällen nicht. Wenn man nichts festlegt, entsteht eine Erbengemeinschaft zwischen den gesetzlichen Erben. Diese Gemeinschaft muss den Nachlass gemeinsam verwalten, Entscheidungen einstimmig treffen und letztlich den Nachlass teilen, was oft zu Streitigkeiten führt und besonders kompliziert wird es, wenn zum Beispiel ein Erbe im Ausland lebt.

Nachfolgeplanung ist ein langwieriger Prozess, in dem man sich einigen muss, wie das Vermögen verteilt wird. Es erfordert auch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Das ist nichts, was man in einer halben Stunde erledigen kann. Aber es gibt Hilfsmittel: Man könnte sich an einem Sonntagabend mit einem guten Glas Wein hinsetzen, eine Tabelle erstellen und darin festhalten, wer was erhalten soll. Geht es um Wirtschaftsgüter, sollte man aufschreiben, wer das Eigentum, wer die Erträge und wer die Verwaltung übernehmen soll. Diese Themen fallen oft zusammen, können aber auch getrennt werden.

Dr. Christian von Oertzen im Gespräch mit Claudia Kaschube im Städel Museum, Fotos: Städel Museum

Der internationale Tag des Testaments wurde 2011 von gemeinnützigen Organisationen ins Leben gerufen, um auf die Möglichkeit des gemeinnützigen Vererbens aufmerksam zu machen. Dem Vorbild Städels folgend haben Menschen bereits seit kurz nach der Museumsgründung „ihr Städel“ im Testament bedacht und damit ihre Verbundenheit mit dem Museum und ihre Leidenschaft für die Kunst zum Ausdruck gebracht. Auf diesem Wege sind nicht nur bedeutende Kunstwerke ins Museum gekommen, sondern auch Geldmittel, die die Museumsarbeit seither mitfinanzieren. Auch kleinere Erbschaften und Vermächtnisse tragen dazu bei, die Zukunft des Städel Museums zu sichern. Als Haus, das sich zu fast 90% selbst finanziert, kommt diesen Zuwendungen eine besondere Bedeutung zu.

Ob Erbeinsetzung oder Vermächtnis, in jedem Fall kommt es auch beim gemeinnützigen Vererben auf die richtige Formulierung des letzten Willens an. Worauf sollte man beim Verfassen eines Testaments achten, insbesondere wenn der Nachlass Kunstwerke enthält?

Die erste Frage, die sich der Erblasser stellen sollte, ist: Was ist meine Strategie für die Kunstsammlung? Dürfen die Erben verkaufen oder nur teilweise verkaufen? Soll die Kunstsammlung als Einheit erhalten bleiben? Wenn ja, durch eine Dauerleih-Vereinbarung oder durch eine Zuwendung an ein Museum? Und was darf das Museum mit dieser Sammlung tun? Hier muss man auch die Interessen des Museums berücksichtigen: Sammlungen verändern sich, und Museen möchten mit ihnen arbeiten. Zu starre Vorgaben führen oft zu einer „Versteinerung“. Museen brauchen nicht nur Kulturgüter, sondern auch finanzielle Mittel, um diese zu bewirtschaften.

Ernst Ludwig Kirchner, Wildboden, 1924, Städel Museum, Frankfurt am Main, Erworben 1949 aus dem Nachlass von Dr. Carl Hagemann

Aus diesem Grund weisen wir auch bei Schenkungen zu Lebzeiten darauf hin, wie dankbar wir dafür sind, wenn zusätzlich zur Kunst auch Geldmittel zur Verfügung gestellt werden, die zum Beispiel die Inventarisierung, die Restaurierung und Konservierung sicherstellen. Ob bei der Übertragung von Kunst, von finanziellen Mitteln oder zum Beispiel auch von Immobilien an eine gemeinnützige Organisationen ist es in jedem Fall ratsam, frühzeitig Kontakt mit der Institution aufzunehmen, die man bedenken möchte. So kann man beispielsweise vermeiden, dass durch Auflagen, die nicht erfüllt werden können, eine Erbschaft ausgeschlagen werden muss.

Auch aus erbschaftsteuerlicher Sicht kann das Vererben an eine gemeinnützige Stiftung von besonderem Interesse sein. Einerseits sind gemeinnützige Stiftungen erbschaftsteuerbefreit, sodass jeder Cent ankommt. Andererseits kann auf Seiten gesetzlicher Erben Erbschaftsteuer vermieden oder zurückgefordert werden, wenn das Geerbte innerhalb von zwei Jahren nach dem Erbfall an eine gemeinnützige Stiftung übertragen wird. Warum kann dies besonders relevant werden, wenn sich Kunst im Nachlass befindet?

Der Gesetzgeber erlaubt in der Erbschaftsteuer eine Steuerplanung auch nach dem Erbfall. Das bedeutet, wenn die Erben Geschenktes oder geerbtes Vermögen innerhalb von zwei Jahren nach dem Erbfall an eine gemeinnützige Stiftung übertragen, entfällt rückwirkend die Erbschaftsteuer. Wenn beispielsweise eine wertvolle Kunstsammlung vererbt wird und der Wert sehr hoch ist, möchten die Erben vielleicht nicht unter Verkaufsdruck geraten. Sie können das Erbschaftsteuerdilemma abwenden, indem sie Kunstgegenstände an ein Museum stiften. Dadurch entfällt rückwirkend insoweit die Erbschaftsteuerbelastung auf die Kulturgüter.

Das ist auch eine schöne Option: Es ist ein großes Privileg, wenn in der Familie Kunstschätze gehütet wurden, und das Glück eines solchen Erbes kann durchaus dadurch vergrößert werden, dass man es mit der Öffentlichkeit teilt. Doch man muss keine Kunstsammlung besitzen, um sich nachhaltig für die Kunst zu engagieren. Am Städel Museum wären viele Projekte zum Beispiel im Bereich Bildung und Vermittlung oder Restaurierung und Forschung ohne Testamentsspenden nicht realisierbar.

In dem von Ihnen mitherausgegebenen Buch „Prominente Testamente. Was die Schönen und Reichen falsch gemacht haben“, widmen Sie unserem Museumsstifter Johann Friedrich Städel ein ganzes Kapitel. Was hat Sie an Städels Testament so fasziniert?

Das Testament von Johann Friedrich Städel führte zu einer der bedeutendsten Erbstreitigkeiten des 19. Jahrhunderts. Es fand auch in der Rechtswissenschaft einen großen Widerhall. Im Kern ging es um die Frage, ob eine Stiftung, die erst durch das Testament ins Leben gerufen wird, als Erbin eingesetzt werden kann. Diese Frage war neu und umstritten. Letztlich wurde sie ab dem 1. Januar 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich bejaht. Das Städelsche Kunstinstitut musste jedoch zwölf Jahre, von 1816 bis 1829, um sein Erbe kämpfen, bis ein Vergleich erzielt wurde. Dieser Fall verdeutlicht die typischen Risiken, die entstehen, wenn in einem Testament nicht alle Eventualitäten bedacht wurden. Solche Streitigkeiten sollte man unbedingt vermeiden, damit eine Stiftung von Todes wegen nicht durch Pflichtteilsansprüche oder andere Rechtsstreitigkeiten gefährdet wird.

Lucas Cranach d. Ä., Christus segnet die Kinder, ca. 1535 – 1540

Lucas Cranach d. Ä., Christus segnet die Kinder, ca. 1535–1540, Städel Museum, Frankfurt am Main, Erworben 1923 als Vermächtnis von Adolph von Holzhausen

Dank der sogenannten „Causa Städel“ ist es heute möglich, eine Stiftung von Todes wegen zu gründen und auch zu beerben. Es gibt aber auch einfachere Wege, mit seinem Nachlass Gutes zu tun. Was raten Sie den heutigen gemeinnützig orientierten Erblassern?

Man sollte mit „warmen Händen“ geben und nicht erst von Todes wegen, weil man dann selbst bestimmen kann. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Sie können eine Zustiftung machen, einen Stiftungsfonds errichten, eine Treuhandstiftung eröffnen oder vielleicht schon zu Lebzeiten eine kleine, selbstständige gemeinnützige Stiftung gründen, die dann von Todes wegen bedacht wird („Lebzeitig anstiften, von Todes wegen zustiften“). So können Sie selbst aktiv an der Gemeinnützigkeit mitwirken und die Belange fördern, die Ihnen wichtig sind. Steuerlich ist das ebenfalls vorteilhaft, denn lebzeitige Spenden sind nicht nur schenkungssteuerfrei, sondern ermöglichen auch einen Spendenabzug in der Einkommensteuer. Eine eigene Stiftung zu gründen macht allerdings erst dann Sinn, wenn das Vermögen, beziehungsweise eine Sammlung, eine bestimmte Größe erreicht. Und eine Stiftung benötigt neben Kulturgütern auch Wirtschaftsgüter, die Erträge bringen. Nur so kann sie langfristig bestehen und das gemeinnützige Anliegen verfolgen.

Oskar Schlemmer, Bauhaustreppe, 1931–1932, Städel Museum, Frankfurt am Main, Erworben 2019 als Vermächtnis von Ulrike Crespo aus der Sammlung Karl Ströher

Lotte Laserstein, Russisches Mädchen mit Puderdose, 1928

Lotte Laserstein, Russisches Mädchen mit Puderdose, 1928, Städel Museum, Frankfurt am Main, Erworben 2014 mit Mitteln aus dem Nachlass Werner Wirthle

Daher ist es oftmals sinnvoll, sich bei einer bereits bestehenden Stiftung zu engagieren, mit deren Zweck man sich identifiziert.

Genau, das sehen wir immer häufiger. Durch die Zusammenarbeit mit einer bestehenden Stiftung kann man auf vorhandene Ressourcen, Infrastruktur und erfahrene Personen im Stiftungswesen zurückgreifen, ohne alles selbst finanzieren und aufbauen zu müssen.

Herzlichen Dank für das Gespräch und Ihre juristische Perspektive auf das Thema gemeinnütziges Vererben, lieber Herr Dr. von Oertzen.

Vielen Dank.


Dr. Christian von Oertzen ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner bei Flick Gocke Schaumburg im Frankfurter Büro.

Das Gespräch führte Claudia Kaschube. Sie ist Leiterin des Bereichs Spenden, Schenkungen & Nachlass im Städel Museum und Ansprechpartnerin für Ihre Fragen rund um die Themen Schenkungen, Zustiftungen und Nachlassgestaltung.

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