Navigation menu

Durch die Sammlung mit einem Chatbot?

Ihr steht vor einem Werk im Museum. Dazu schießen euch Fragen in den Kopf. Ihr tippt sie ins Handy – eine Künstliche Intelligenz gibt direkt die Antwort. Wie wird das Realität? Ein Expertengespräch

Franziska von Plocki — 26. Januar 2021

Stellt euch vor, ihr steht im Städel Museum. Spontan fallen euch zu diesem Gemälde eine Reihe von Fragen ein:

Sandro Botticelli, Webiliches Idealbildnis Simonetta Vespucci als Nymphe, ca. 1480, CC BY-SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main

Sandro Botticelli, Webiliches Idealbildnis Simonetta Vespucci als Nymphe, ca. 1480, Public Domain, Städel Museum, Frankfurt am Main

Gemalt hat das Werk Sandro Botticelli, so viel verrät dir der Labeltext. Auch erfährst du den Titel und das Entstehungsjahr: Weibliches Idealbildnis (Bildnis der Simonetta Vespucci als Nymphe), ca. 1480. Doch wer war die junge Frau? Kannte der Maler sie persönlich? Waren die Frisuren der Frauen seiner Zeit tatsächlich so aufwendig? Hier kommt CHIM, der Chatbot im Museum, ins Spiel. Die sprach- und textbasierte Künstliche Intelligenz (KI) soll als Dialogsystem nicht nur Antworten liefern, sondern darüber hinaus auch Rückfragen stellen und euch auf überraschende Bilddetails aufmerksam machen. So könnte ein Museumsbesuch der Zukunft mit CHIM aussehen.

Das Städel Museum unterstützt als Bildungspartner das Forschungsvorhaben Chatbot im Museum. CHIM ist eine Kooperation zwischen der Linon Medien KG (Linon) und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) – gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Wir laden euch gemeinsam mit Linon in einer ersten Entwicklungsphase ein, 14 Hauptwerke aus der Sammlung europäischer Kunstgeschichte zu betrachten und Fragen zu den einzelnen Kunstwerken zu stellen. Mit euren Fragen legt ihr den Grundstein für den KI-gestützten Museumsguide der Zukunft.

Macht mit – hier könnt ihr eure Fragen stellen!

Das Ziel ist es, eine prototypische CHIM-App für Smartphones zu entwickeln und anschließend im Städel zu testen. Wie das genau funktioniert? Wir haben bei den Verantwortlichen genauer nachgefragt:

Franziska von Plocki im Gespräch mit Martin Schaffer, Antje Lindner und Oliver Gustke

Franziska von Plocki im Gespräch mit Oliver Gustke, Antje Lindner und Stefan Schaffer

Wie ist die Idee für CHIM entstanden?

Oliver Gustke (Linon): Im Gespräch. Wir bei Linon Medien dachten über zukünftige Möglichkeiten von Audioguides und anderen digitalen Vermittlungsmedien nach. Da meinte ein Kollege, dass ihm im Museum vor den Originalen oft spontan Fragen in den Sinn kommen, auf die er gerne direkt eine Antwort hätte. Diesen Ansatz haben wir weitergedacht und ein Konzept entwickelt – zusammen mit unserem Projekt-Partner, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI).

Stefan Schaffer (DFKI): Wir forschen schon länger an Chatbot-Anwendungen. Ihren möglichen Einsatz in der Wissensvermittlung im Museum fanden wir sofort spannend. Auch angesichts der Pandemie erscheint es sinnvoll, neue Technologien und Künstliche Intelligenz (KI) für ihren Einsatz im Kulturbereich voranzutreiben. Die Entwicklung interaktionaler Konversationssysteme in diesem inhaltlich sehr anspruchsvollen Feld ist auch eine reizvolle Herausforderung.

Antje Lindner (Städel Museum): Wir setzen in der digitalen Kunstvermittlung auf Innovationen, auch durch neueste Technologien. Deswegen unterstützen wir das Forschungsvorhaben als Bildungspartner. KI für die Kunstvermittlung einzusetzen, ist ein spannendes Experiment. So ein Chatbot kann natürlich die zwischenmenschliche Interaktion im Museum nicht ersetzen, soll er auch gar nicht. Aber er könnte jeder Besucherin und jedem Besucher einen ganz individuellen und weiteren Zugang zur Kunst ermöglichen.

Warum sollte ein Chatbot im Museum kommunizieren lernen?

Oliver Gustke (Linon): Damit er bereit ist, auf Fragen zu antworten. Heute stellen Mediaguides schon umfassende Inhalte bereit: Das sind aber, wenn man so will, kommunikative Einbahnstraßen: Man kann hören, lesen, schauen, aber nicht in Interaktion treten. Um Fragen beantworten zu können, muss der Mediaguide verstehen und sprechen lernen. In einem nächsten Schritt soll er die Besucherinnen und Besucher in bestimmten Momenten sogar selbst etwas fragen, zum Beispiel zu einem Detail in einem Gemälde. So werden die Betrachterinnen und Betrachter aktiviert und persönlich involviert.

Antje Lindner (Städel Museum): Ein Kern der Vermittlungsarbeit ist es, auf die individuellen Bedürfnisse und Interessen unserer Besucherinnen und Besucher einzugehen. Welche Themen beschäftigen sie? Welche aktuellen gesellschaftlichen Debatten führen sie? Mit welcher Erwartungshaltung gehen sie in ein Kunstmuseum? Und wie betrachten sie Kunst? Klassische Medien der Kunstvermittlung wie die Audioguide-App oder der Label- und Wandtext geben wichtige Informationen zum Werk, können aber nicht das gesamte vorhandene Wissen zu einem Kunstwerk abdecken. Interessant wird es, wenn der Chatbot in der Lage ist, das im Museum vorhandene Wissen gefiltert nach den jeweiligen Interessen der Besucherinnen und Besucher auszugeben und ihnen so eine erweiterte Kunsterfahrung zu ermöglichen.

Wie lernt die KI, die für CHIM entwickelt wurde?

Stefan Schaffer (DFKI): KI lernt durch Training, sowie Versuch und Irrtum, ähnlich wie wir Menschen. Allerdings kann man künstliche und menschliche Intelligenz nicht direkt vergleichen. Computer sind heute in bestimmten Bereichen schon „besser“ als Menschen, wie etwa ein Schachcomputer. Aber wenn es zum Beispiel beim Autofahren darum geht, alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zuverlässig zu erkennen, dann ist der Mensch bisher unschlagbar. Die CHIM-KI wird also trainiert, indem wir sie mit Fragen füttern. Dazu wurde die „Fragen an die Kunst“-App und Website entwickelt, mittels der das Publikum des Städel Museums Fragen zu ausgewählten Werken stellen kann. Um auch auf komplexe Fragen eine Antwort zu geben, muss vorab eine große Menge an Informationen gesammelt und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Hierfür wurden auf technischer Ebene mehrere Verfahren entwickelt.

So könnte CHIM aussehen, Foto: Linon Medien KG

Was macht die Kunstvermittlung in Verbindung mit neuen Technologien aus?

Antje Lindner (Städel Museum): Jede Besucherin und jeder Besucher ist anders und jeder Besuch im Städel ist es auch. Jede Situation erfordert ein anderes Vermittlungsangebot — das gilt für Führungen und Workshops ebenso wie für digitale Angebote. Nicht zu vergessen ist, dass das Publikum auch vor, während und nach dem Museumsbesuch unterschiedliche Anforderungen an die Kunstvermittlung hat. Die Begegnung mit dem Original im Museumsraum steht nach wie vor im Mittelpunkt. Ganz gleich, ob die Besucherin, der Besucher den Audioguide oder zukünftig vielleicht den Chatbot wählt, alle Medien zur Kunstvermittlung dienen an erster Stelle dazu, die Geschichten rund um die Originale zeitgemäß zu erzählen und ein anregendes und bereicherndes Besuchserlebnis zu kreieren.

Wo liegen die Chancen für die Museumsbesucherinnen und -besucher bei der Nutzung eines KI-gestützten Chatbots?

Oliver Gustke (Linon): Er kann auf die persönlichen Vorlieben eingehen, indem er analysiert, was den Nutzerinnen und Nutzer gefallen könnte und dementsprechend passende inhaltliche Vorschläge macht. Die Besucherinnen und Besucher bekommen schneller das, was sie suchen und sie werden die Nutzung als intuitiv empfinden. Mit einem Chatbot im Museum wäre eine individuelle Kommunikation jederzeit verfügbar. Im Idealfall ist die Kommunikation mit der KI so anregend, dass das Interesse der Besucherinnen und Besucher an einer erweiterten Auseinandersetzung mit der Kunst noch vertieft wird.


Stefan Schaffer ist Senior Researcher und Projektmanager im Forschungsbereich Kognitive Assistenzsysteme am DFKI und Spezialist für Mensch-Technik-Interaktion. Oliver Gustke steht als Autor und Softwaredesigner an der Schnittstelle zwischen Inhaltsvermittlung und Softwareentwicklung. Antje Lindner ist Mitarbeiterin in der Abteilung Bildung- und Vermittlung am Städel Museum und hat bereits viele Digitale Produkte für die Vermittlung mit auf den Weg gebracht und umgesetzt.

Die Fragen stellte Franziska von Plocki. Sie ist Pressereferentin am Städel Museum und arbeitet auch an der Entwicklung diverser Digitaler Produkte mit.

Helft CHIM dabei, intelligenter zu werden – hier könnt ihr eure Fragen stellen!

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Honoré Daumier

    Zur Ernsthaftigkeit der Komik

    Wie Karikaturen funktionieren und warum Daumier für sie ins Gefängnis kam.

  • Der Film zur Ausstellung

    Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig

  • Die Ausstellungen im Städel

    Highlights 2024

    Unser Ausblick auf 2024: Freut euch auf faszinierende Werke von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz, lernt die Städel / Frauen kennen, entschlüsselt die Bildwelten von Muntean/Rosenblum, erlebt die Faszination italienischer Barockzeichnungen und reist zurück in Rembrandts Amsterdam des 17. Jahrhunderts.

  • Städel Mixtape

    #34 Jan van Eyck – Lucca-Madonna, ca. 1437

    Ein ruhiger Moment mit Kerzenschein, ihr seid so vertieft, dass ihr alles um euch herum vergesst: Vor rund 600 Jahren ging es den Menschen ähnlich, wenn sie vor Jan van Eycks „Lucca-Madonna“ gebetet haben. In diesem STÄDEL MIXTAPE geht es um das Andachts-Bild eines raffinierten Geschichtenerzählers. 

  • Städel | Frauen

    Louise Schmidt: Bildhauerin!

    Teil 1 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.