Margret Stuffmann kam als Volontärin ans Städel Museum und leitete dort drei Jahrzehnte lang die Graphische Sammlung. Martin Sonnabend erinnert sich an ihre Begeisterung, ihren Verstand und Kampfgeist.
Vor wenigen Tagen ist Prof. Dr. Margret Stuffmann (24.11.1936–17.2.2020), die ehemalige Leiterin der Graphischen Sammlung im Städel Museum, verstorben. Über fast drei Jahrzehnte hat sie die Sammlung der Handzeichnungen und Druckgrafiken geführt, durch Erwerbungen geprägt, bedeutend weiterentwickelt und in zahlreichen Ausstellungen den Besucherinnen und Besuchern nähergebracht.
Margret Stuffmann wurde 1936 in Berlin geboren und kam nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrer Familie nach Frankfurt, wo sie zur Schule ging und später auch ihr Kunstgeschichtsstudium abschloss. Nach einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt in Paris wurde sie 1966 Volontärin im Städel Museum, danach dort Kuratorin in der Gemäldesammlung und 1974 Leiterin der Graphischen Sammlung. Diese Aufgabe erfüllte sie bis zu ihrem Ruhestand Ende des Jahres 2001.
Margret Stuffmann war eine äußerst engagierte Museumskuratorin. Neben ihrer profunden Fachkenntnis und einer mitreißenden Begeisterung für qualitätvolle Kunstwerke war es sicher auch ihre Situation als Frau in einer Männerdomäne – die das Kunstmuseum in den 1960er- und 1970er-Jahren zweifelsohne war –, welche sie eine mitunter kämpferische Haltung einnehmen ließ. Aus dem Wissen heraus, dass Zeichnungen und Druckgrafiken neben den Gemälden oft nicht die gleiche Beachtung finden, setzte sie sich als paperlady, wie sie sich selbst gerne nannte, mit großer Energie für die Wahrnehmung der Kunstwerke auf Papier ein.
Sie kämpfte für die Sache: das Kunstwerk im Kunstmuseum. Ausgehend von einem erfahrenen und genauen Sehen und einem hoch entwickelten Sinn für künstlerische Qualität dachte sie immer in Zusammenhängen: Sie betrachtete das individuelle Kunstwerk in der Sammlung, die Sammlung im Museum, das Museum in der Gesellschaft.
Ohne das Interesse an anderen Bereichen zu verlieren, setzte sie aus diesem Denken heraus klare Schwerpunkte. Sie sah sehr deutlich, dass aufgrund der deutschen Geschichte – den Weltkriegen, der Nazizeit – die französische Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Städel Museum, ebenso wie in den meisten deutschen Museen, unterrepräsentiert war. Frankreich war aber in dieser Zeit die führende Kunstnation und die Wiege der Entwicklung, die in die Moderne führte. Mit Beharrlichkeit und Sachverstand gelang es Margret Stuffmann, diese Lücke zu schließen und einen exemplarischen Bestand an französischen Zeichnungen und Druckgrafiken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufzubauen, von Delacroix über Corot und die Künstler der Schule von Barbizon, die Impressionisten und Nachimpressionisten wie Degas, Redon oder Cézanne bis zu Picasso und Matisse. Damit gab sie der Graphischen Sammlung im Städel Museum, die schon zuvor zu den führenden deutschen Sammlungen von Zeichnungen und Druckgrafiken zählte, einen weiteren wichtigen Schwerpunkt.
Für Margret Stuffmann machte es keinen Unterschied, wann ein Kunstwerk entstanden war. Sie sah sehr wohl die besonderen geschichtlichen Bedingungen, unter denen Werke geschaffen wurden, aber vor allem zählte für sie die künstlerische Qualität. Dass das Städel Museum von Anbeginn an alte, neuere und zeitgenössische Kunst gleichermaßen sammelte, kam ihrem Denken entgegen und war ihr ein Auftrag. So setzte sie sich mit der ihr eigenen Energie für die Kunst der Gegenwart in der Graphischen Sammlung ein, erwarb wichtige Werke von lebenden Künstlerinnen und Künstlern und vermittelte sie in Sonderausstellungen. Gerade hier, wo der historische Abstand nicht hilft, suchte sie immer wieder die Diskussion über die Kriterien der Beurteilung. Überhaupt verstand sie das Museum als einen Ort lebendigen Austauschs, des Gesprächs, der Freude, der Berührbarkeit und des Erlebnisses. Kunst war für sie etwas zutiefst menschlich Verbindendes, unter den Zeitgenossen ebenso wie über die Jahrhunderte hinweg.
Margret Stuffmann war auch nach ihrem Ruhestand noch wissenschaftlich aktiv und nahm lebhaften Anteil am Kunstgeschehen und an der Entwicklung des Städel Museums. Immer wieder suchte sie das Gespräch mit ihren alten Kolleginnen und Kollegen und auch den neuen, die dazukamen, kommentierte hellsichtig und gab wertvolle Anregungen aus ihrem reichen Erfahrungsschatz. Das wird uns nun fehlen. Wir verlieren mit ihr eine bedeutende Kunsthistorikerin und eine prägende Persönlichkeit in der Geschichte des Städel Museums.
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