Erstmals zeigt das Städel Grafiken von Frank Auerbach und Lucian Freud gemeinsam in einer Ausstellung. Ihre Bildnisse zählen zu den eindringlichsten und kompromisslosesten der zeitgenössischen Moderne.
Frank Auerbach und Lucian Freud bannten das menschliche Gegenüber immer wieder auf die Leinwand oder das Papier: Ihre Bildnisse sind häufig auf das Gesicht begrenzt, verschiedentlich um den Körper erweitert. Sie zeigen Menschen, die den Künstler respektieren, die ihm vertrauen, und die er gut kennt. Das ist aus ihren Gesichtern abzulesen, in der Offenheit, mit der sie Modell sitzen, unverstellt und uneingeschränkt. Es sind unsentimentale Bildnisse von großer emotionaler Ehrlichkeit und bestechender Prägnanz, die fesseln, weil sie nichts Gestelltes an sich haben. So intim scheint vielmehr der Blick, dass sich beim Betrachten unweigerlich der Eindruck einstellt, man würde dem Gegenüber näherkommen als eigentlich gesellschaftlich angemessen.
Lucian Freud (1922-2011) und Frank Auerbach (* 1933) wurden in Berlin als Söhne jüdischer Familien geboren und in den 1930er Jahren vor den Nationalsozialisten nach England in Sicherheit gebracht. Als junge Künstler durchstreiften sie die Straßen des Londoner Bohèmeviertels Soho, schlossen Freundschaft mit Francis Bacon, Leon Kossoff, Michael Andrews und miteinander. Sie saßen sich gegenseitig Modell: Auerbach Freud 1975/76, Freud Auerbach 1980. London wurde ihre ausschließliche Wirkungsstätte, in ihren Ateliers schufen und schaffen sie nahezu ohne Unterbrechung an 365 Tagen im Jahr, Freud bis zu seinem Tod 2011, Auerbach bis heute.
Ihre radierten Bildnisse entstehen dabei stets vor dem Modell in einer Vielzahl von regelmäßigen Sitzungen, die sich meist über mehrere Monate erstrecken. Während Freud zunächst mit weißer Kreide die Umrisse des Gegenübers auf die vorbehandelte Kupferplatte notierte, bevor er mit der Radiernadel von der Mitte aus die Darstellung auszudifferenzieren begann, schafft Auerbach pro Sitzung ein Bildnis. Hält es seiner kritischen Beurteilung bei der nächsten Sitzung nicht stand, wird die Farbe abgeschabt oder der Bleistift ausradiert. Auf demselben Bildträger beginnt Auerbach anschließend erneut. Bei Radierungen ist dieses Vorgehen technisch unmöglich. Die Druckgrafiken werden daher über mehrere Skizzen auf Papier vorbereitet und zuletzt auf der Platte vollendet. Dies bestimmt auch die Handschrift der beiden Künstler: Erfasst Auerbach das Gegenüber mit wenigen, spontan radierten Strichen, bildet Freud die Gesichter und Körper mit einer Vielzahl geschwungener Linien konkret und präzise aus.
Für beide Künstler ist die Kunst ein Ringen um Wahrheit. Es geht ihnen nicht um äußerliche Ähnlichkeit, sondern um ein Erkennen des Gegenübers, auch im emotionalen Rückbezug zum Künstler. Deshalb ist es für sie unabdingbar, mit dem Modell vertraut zu sein. Wen man nicht kenne, den könne man nur so oberflächlich erfassen wie eine Reisebeschreibung, erklärte Lucian Freud in einem Interview.
Der Künstler aber will etwas schaffen, das, so Auerbach in einem Gespräch mit dem Kunstkritiker William Feaver, „dem Ausmaß an Gefühl entspricht, das man [in der Gegenwart des Gegenübers] empfindet. Und dafür sind all die Motive da. Es gibt sie nicht um ihrer selbst willen, es gibt sie nicht aus sentimentalen Gründen; es gibt sie, damit sie in jenes neue, unabhängige Bild einfließen, das man versucht zu schaffen, das in die Welt hinausstolziert wie ein neues Ungeheuer.“ So eindringlich sind in der Tat auch die Werke der beiden Künstler, wenn man sich auf sie einlässt: Es sind keine stillgelegten Bildnisse, sondern einnehmende Gesichter.
Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.