Wie passen Impressionismus und Rokoko zusammen und was können wir uns von Renoirs Sicht auf die Welt abschauen? Das kuratorische Team hat Antworten und gibt Einblicke in das Konzept.
Der Impressionismus steht heute für den Beginn der künstlerischen Moderne, für einen Bruch mit der Tradition. Dass die Erzählung komplexer ist, zeigen Renoirs Bezüge zum Rokoko. Was faszinierte Renoir am vergangenen Jahrhundert?
Alexander Eiling: Die Erzählung vom Beginn der künstlerischen Moderne ist nicht falsch, greift aber zu kurz. Alle Impressionistinnen und Impressionisten haben sich auch sehr für ältere Kunst interessiert; Renoir besonders für die französische Malerei des 18. Jahrhunderts. Seine Begeisterung für das Rokoko fällt in eine Phase, in der diese Kunstform wieder besonders geschätzt wurde. Nachdem es während und nach der Französischen Revolution zunächst ein Schattendasein geführt hatte, wurde das Rokoko um 1850 quasi zum Inbegriff französischer Kultur erklärt. Der Stil war zu Renoirs Lebzeiten vor allem bei Möbeln und im Kunstgewerbe dominierend. Wer in Paris etwas auf sich hielt, richtete sein Haus oder seine Wohnung mit Rokoko-Dekor ein.
Fabienne Ruppen: Unter diesen Vorzeichen begann der junge Renoir eine Ausbildung zum Porzellanmaler. Motive von Antoine Watteau und François Boucher waren seinerzeit für jeden Porzellanmaler das kleine Einmaleins der Dekoration, da sie sich gut verkaufen ließen. Renoir haben diese Werke bis zum Ende seines Lebens stark geprägt. In seiner Tätigkeit als freier Künstler ließ er zum Beispiel immer wieder die elegant gekleideten Paare aus Watteaus Gemälde Die Einschiffung nach Kythera aufscheinen, das er aus dem Louvre kannte. Die Sammler, die sich für die Malerei des 18. Jahrhunderts interessierten, nahmen diese Bezüge durchaus wahr. Sie kauften Gemälde von Renoir, dessen Kunst die Anmutung des Rokoko aufgriff und in seine eigene Zeit überführte, ohne direkt zu kopieren. Renoir hätte den Impressionismus daher wohl nie als Revolution verstanden, vielmehr als eine Fortführung der großen französischen Malereitradition mit modernen Mitteln.
Renoir ist nicht der einzige, der die Welt des Rokoko aufleben lässt. Zeitschriften mit Druckgrafiken beflügeln Mitte des 19. Jahrhundert das „Rococo Revival“. Wieso kommt zurück, was seit der Französischen Revolution eigentlich verpönt war?
Juliane Betz: Die Begeisterung für das Rokoko war in bestimmten Sammlerkreisen selbst während der Hochphase des Klassizismus, um 1800, nie ganz verschwunden. In den 1830er-Jahren dann begeisterten sich der Romantik zuzurechnende Künstler und Literaten für die Kunst des vorigen Jahrhunderts. Die verstärkte Wahrnehmung und Wertschätzung ging einher mit Artikeln beispielsweise über Watteau. Sie erscheinen zuerst in der neu gegründeten, reich illustrierten Kunstzeitschrift L’Artiste, etwas später auch in anderen wichtigen Kunstzeitschriften. In dieser frühen Phase des „Rococo Revival“ entstanden zahlreiche Werke, die offensichtlich in der Tradition Antoine Watteaus stehen. In der Ausstellung zeigen wir stellvertretend vier Gemälde von Narcisse Virgile Diaz de la Peña, Henri Baron, Adolphe Monticelli und Émile Wattier. Nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) spielte der Rückbezug auf das Rokoko als Epoche der „gloire française“ eine noch größere Rolle, und damit zu genau der Zeit als sowohl der Impressionismus im Allgemeinen als auch Renoirs Karriere im Besonderen so richtig in Schwung kamen.
Welche Gegenüberstellung von Kunstwerken bringt die These der Ausstellung eurer Meinung nach am besten zum Ausdruck?
Alexander Eiling: Ein Schlüsselstück für unsere Ausstellungsidee ist Renoirs Gemälde Die Schaukel (1876) aus dem Musée d’Orsay, das wir neben ein Werk des Rokoko-Künstlers Jean-Baptiste Pater aus der Sammlung des Städel Museums gehängt haben. In Paters vielfiguriger Szene umwerben sich elegant gekleidete Paare in der freien Natur. Renoir isoliert daraus das Motiv einer schaukelnden Frau. Seine Darstellung ist nahsichtiger und auf wenige Figuren beschränkt. Es handelt sich um eine Form der Anverwandlung der Bilderwelt des Adels, die er mit zeitgenössischen Personen aus seinem persönlichen Umfeld bevölkert. Renoirs Malerei ist dabei deutlich freier und spielt mit den Reflexen des durch das Blätterdach fallenden Lichts.
Über welche Zusammenstellung von Werken freut ihr euch besonders?
Fabienne Ruppen: Eine der schönsten Gegenüberstellungen in der Ausstellung ist diejenige des François Boucher zugeschriebenen Porträts der lesenden Madame de Pompadour mit der lesenden Camille Monet von Renoir. In Kleidung, Farbklang und Wirkung erscheinen beide Gemälde nahezu wahlverwandt. Die Modernität Renoirs ist sowohl in der Freiheit der Malerei als auch in seiner Bezugnahme auf die Kunst des Japonismus sichtbar, die zeitgleich zur Rokoko-Mode in Paris en vogue war.
Die Ausstellung bringt internationale Leihgaben in Frankfurt zusammen. Gibt es Werke, die euch beim Auspacken besonders überrascht haben und vielleicht sogar die Hängung beeinflusst?
Alexander Eiling: Wir haben uns in den Jahren der Vorbereitung möglichst viele, pandemiebedingt aber nicht alle Werke im Original ansehen können. Insofern haben wir uns beim Ausstellungsaufbau sehr gefreut, ‚alte Bekannte‘ wiederzusehen. In diesem Sinne war das Auspacken der Amazone eine besonders schöne, wenn auch erwartete Überraschung. Das Gemälde aus der Hamburger Kunsthalle ist außergewöhnlich groß. Deswegen mussten Rahmen und Leinwand separat verpackt und vor Ort zusammengesetzt werden. Als das Werk dann in der Ausstellung installiert wurde, waren wir erneut überwältigt von der Malerei.
Fabienne Ruppen: Eine wunderbare Überraschung war beispielsweise auch Die Welle (1882) aus der Sammlung der Dixon Gallery in Memphis, Tennessee. Das Gemälde beeindruckt durch die ausgesprochen moderne, freie und dynamische Malweise, die sich in Abbildungen nur bedingt vermitteln lässt.
Juliane Betz: An der Hängung hat sich während des Aufbaus nichts mehr verändert. Bei so vielen unterschiedlichen Werken, die über mehrere Tage hinweg ausgepackt und gehängt werden, ist das auch kaum möglich. Deswegen hatten wir mit unserer Ausstellungsarchitektin und unseren Grafikern im Vorfeld jedem Werk einen bestimmten Platz zugewiesen. Unser Ziel war es, besonders sprechende Gegenüberstellungen und Nachbarschaften herzustellen. Die Ausstellung lebt von diesen visuellen Argumenten und die unseren Besucherinnen und Besuchern das Thema möglichst klar vor Augen führen.
Was können wir von Renoirs Sicht auf die Welt in unseren Alltag mitnehmen?
Alexander Eiling: Wenn man auf das derzeitige Weltgeschehen blickt, dann kann die Beschäftigung mit Renoirs Malerei kurzfristig etwas Heilsames haben. Auch Renoir lebte in unruhigen Zeiten. Seine Biografie war geprägt von Umstürzen, Revolutionen und nicht zuletzt vom Deutsch-Französischen Krieg. Ihm war es aber wichtig, in seiner Kunst vor allem die lebenswerten Momente hervorzuheben. Man kann das natürlich als eine Form des Eskapismus bezeichnen.
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