Der Traum vom verschollenen und dann wiederentdeckten Gemälde eines berühmten Künstlers… bleibt oft einer. Die aktuelle Guido Reni-Ausstellung präsentiert einige neu entdeckte Werke. Wie kam es dazu?
Die schlechte Nachricht gleich vorneweg: Nicht jedes Bild eines schmachtenden Heiligen mit himmelndem Blick, das den heimischen Flur ziert und der Großmutter lieb und teuer war, stammt von Guido Reni. Die meisten, die mir – derzeit fast täglich – solche Fotos übersenden, muss ich enttäuschen, und es bedarf einiger Seherfahrung, um hier die Spreu vom Weizen zu trennen. Gleichwohl bin ich bei der Vorbereitung der Schau auf ganz unterschiedlichen Wegen auf einige bedeutende Werke aufmerksam geworden, die ich als Originale von seiner Hand identifiziert und in die Ausstellung aufgenommen habe. Manche davon waren bereits zuvor von Kolleginnen oder Kollegen Reni zugeschrieben worden, andere sind bislang gänzlich unbekannt gewesen. Alle aktuellen Forschungsergebnisse sind in den Katalog eingeflossen; eine kleine Auswahl stelle ich hier in aller Kürze vor.
Nachdem ich 2015 in der Zeitschrift „Weltkunst“ einen kurzen Beitrag zur Erwerbung der „Himmelfahrt Mariens“ (um 1598/99) für das Städel Museum veröffentlicht hatte, traten die Besitzer einer Ölskizze mit mir in Kontakt und ließen mich ihre „Rosenkranzmadonna“ untersuchen. Sie verfügten über ein älteres Gutachten, in dem diese bereits mit Renis Frühwerk in Verbindung gebracht worden war. Nach einer Restaurierung ist kürzlich die bemerkenswerte malerische Qualität nochmal deutlicher zutage getreten.
Augenfällig sind die engen stilistischen Bezüge zu seinen Zeichnungen der späten 1590-er Jahre, aber auch zur Städelschen „Himmelfahrt“, die ganz ähnliche musizierende Engel und Wolken zeigt. Mit dem Frankfurter Bild verbinden den Bozzetto auch die Grundzüge der Komposition: das Prinzip der variierten Symmetrie, die Strukturierung durch drei große Figuren sowie die stufenweise, in der Madonna gipfelnde Staffelung in Höhe und Tiefe zugleich.
Die Ölskizze bereitete ein verlorenes oder nie ausgeführtes Altarbild vor, dessen Ikonographie auf den Dominikanerorden als Auftraggeber hindeutet. Die Madonna thront mit Kind in den Wolken, flankiert von musizierenden Engeln. Sie wendet sich den weiblichen Heiligen zu und übergibt gleichzeitig einen Rosenkranz an den Jesusknaben. Dieser widmet sich den männlichen Heiligen und reicht einen weiteren Rosenkranz zum Heiligen Dominikus herab. Mit anderen Dominikanern kniet der Ordensgründer am Altar und blickt zu Jesus auf. Sein Pendant auf der anderen Seite ist die Heilige Katharina von Siena, ebenfalls in Begleitung mehrerer Dominikanerinnen. Die Front des Altars ist mit 15 Bildfeldern verziert, welche die Geheimnisse des Rosenkranzes zeigen. Auf der vordersten Altarstufe schließlich knien zwei große Engel, die die Gläubigen vor dem Altarbild selbst ins Geschehen einbeziehen und ihnen jeweils einen Rosenkranz anbieten – Renis vielleicht schönste Erfindung in diesem Gemälde.
In der exquisiten Sammlung italienischer Zeichnungen von Dr. Attilio und Ursula Gadola wurde ich auf ein kleines unpubliziertes Blatt aufmerksam, das sich ebenfalls Guidos Frühwerk zuordnen lässt. In der aktuellen Ausstellung belegt der Vergleich mit der berühmten Kreidestudie für eine „Himmelfahrt Mariens“ aus den Uffizien (1599/1600) diese These. Es handelt sich dabei um einen sogenannten „primo pensiero“, eine skizzenhafte Kompositionsidee in schwarzer Kreide mit sparsamer Weißhöhung auf ehemals blauem Papier.
Der Heilige, die Engel und die Wolken ähneln im direkten Vergleich der oberen Hälfte der „Himmelfahrt“ bis ins Detail. Sogar die Figur des Dominikus erinnert an Maria – sie hat den gleichen Schwung. Die kleinen Engel gleichen ihren Pendants geschwisterlich, und Renis charakteristische Art, Wolken zu zeichnen, stimmt ebenfalls überein. Wie bei der „Himmelfahrt“ ist auch hier die Linienführung mit der Kreide nervös, oft eckig umbrechend, bisweilen dünn und gratig; Parallelschraffuren kennzeichnen die Dunkelpartien.
Für die Identifizierung des Heiligen als Dominikus spricht vor allem sein Ordensgewand, der sogenannte Habit: Die Dominikaner tragen über ihrem weißen Gewand den schwarzen, radförmigen Chormantel (capa), wie ihn der Dargestellte hier ausbreitet. Bei den Franziskanern ist es dagegen nur eine Art Schulterkragen. Auch der am Gürtel hängende Rosenkranz ist ein Attribut des Dominikus. Die Pose des Heiligen und die Wolkenglorie mit den Engeln hat Reni mangels einer eigenen Bildtradition einfach der „Himmelfahrt Mariens“ entlehnt.
In einem Katalog der italienischen Barockmalerei in den königlichen Sammlungen Spaniens stieß ich auf die kleine Abbildung eines mir aus der Literatur nicht bekannten Gemäldes der „Heiligen Cäcilia“, die dort etwas zögernd und ohne nähere Erörterung mit Guido Reni in Verbindung gebracht wurde. Vor allem der hinreißend gemalte Ärmel ihres Gewandes zog mich in seinen Bann, und beim genaueren Studium des Bildes gelangte ich dann zur Überzeugung, dass wir es hier in der Tat mit einem übersehenen Werk Renis aus seinen frühen Jahren in Rom (um 1603–05) zu tun haben. In der Ausstellung bewährt sich die schöne „Cäcilia“ nun neben verwandten Gemälden wie der „Heiligen Katharina“ aus dem Prado oder dem großen Altarbild des „Martyriums des Heiligen Katharina“ aus Albenga.
Auch im eigenen Haus lassen sich bisweilen Entdeckungen machen. Bei der Durchsicht des Städel-Bestands an Zeichnungen, die den Carracci (Renis Lehrern) zugeschrieben werden, fiel mir eine in der Reni-Literatur unbeachtete männliche Kopfstudie auf, die traditionell als Werk des Agostino Carracci galt. Daran hatte ich Zweifel, und es dauerte einen Moment, bis der Groschen fiel: Das exzellente Blatt weist in Wirklichkeit alle stilistischen und technischen Merkmale der Kopfstudien Guido Renis auf!
Zum Vergleich stelle ich hier den „Heiligen Franziskus“ in der Washingtoner National Gallery of Art (um 1630) gegenüber; die handschriftlichen Entsprechungen reichen dabei von den Stirnfalten über die Modellierung des Auges und den Kontur der Nase bis zur Strichelung des Bartes. Damit verfügt die Städel-Sammlung nun neben zwei Gemälden auch über eine Zeichnung von der Hand Renis.
So ergänzen in der Ausstellung einige spannende Neuzugänge die Auswahl berühmter Meisterwerke und fügen Renis Œuvre weitere Facetten hinzu – Ergebnisse einer Allianz von Kennerschaft und Finderglück.
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