Wilhelm Altheims „Heiliger mit Bär“ (1907) gehörte einst dem Frankfurter Richter Dr. Walter Stern. Während der NS-Zeit wurde er als Jude verfolgt und musste fliehen. Sein Gemälde wurde von der Gestapo beschlagnahmt. Erst Jahrzehnte später fand er es wieder.
Das großformatige Gemälde „Heiliger mit Bär“ des Frankfurter Malers Wilhelm Altheim wurde zur Zeit seiner Entstehung als Hauptwerk des Künstlers gefeiert. Erstmals präsentiert wurde es dem hiesigen Publikum 1907 in der Jahresausstellung des Frankfurter Kunstvereins. Leihgeber und Erstbesitzer des Gemäldes war der Industrielle und Kunstsammler Ferdinand Hirsch (1843–1916), Gründer der Eisengroßhandlung Hirsch & Co. Möglicherweise war es sogar Hirsch, ein engagierter Mäzen im 1899 gegründeten Städelschen Museums-Verein und im Kunstverein, der das Gemälde bei Altheim in Auftrag gegeben hatte. Es zeigt eine Szene aus der Legende des Heiligen Korbinian, dessen Lastpferd auf seiner Reise nach Rom von einem Bären verschlungen wurde. Das Bild hält den entscheidenden Moment fest, in dem Korbinian den Bären bezwingt, sein Gepäck zu tragen. Ein zeitgenössischer Kritiker bezeichnete das Werk damals als „Markstein in Altheims Schaffen.“
Nach dem Tod des Erstbesitzers Ferdinand Hirsch ging das Gemälde an seine Tochter Marie Ida Therese Stern, geb. Hirsch (1874–1932), die mit dem Frankfurter Arzt und Sanitätsrat Richard Emanuel Stern (1865–1932) verheiratet war. Auch sie zeigte das Werk im Jahr 1920 in einer Ausstellung des Kunstvereins. Noch 1932 war das Gemälde in dessen großer Jubiläumsausstellung zu sehen – danach für Jahrzehnte nicht mehr. Nachdem das Ehepaar Stern kurz nacheinander verstorben war, erbte ihr Sohn Dr. Walter Stern (1900–1978) das Bild.
Walter Stern hatte in Frankfurt, Heidelberg und München Jura studiert und war seit Januar 1930 als Amts- und Landrichter tätig – mit Stationen in Breslau, Bad Homburg v.d. Höhe, Frankfurt und Neuwied. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde seine juristische Karriere jäh unterbrochen. Jüdische Beamte wurden auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das die Gleichschaltung des öffentlichen Diensts zum Ziel hatte, systematisch aus dem Dienst gedrängt. Auch Stern wurde zunächst beurlaubt und zum 1. Oktober 1933 in den Ruhestand versetzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er Deutschland bereits verlassen. Seine Flucht führte ihn zunächst nach Basel, dann nach Rom, bis er sich im Februar 1939 schließlich in London niederlassen konnte. Seinen Hausrat, darunter das Familienerbstück „Heiliger mit Bär“, hatte er in Frankfurt bei einer Spedition eingelagert. Dieser wurde ihm Ende des Jahres 1941 auf Grundlage der sogenannten „Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ entzogen, die im Ausland lebenden Verfolgten die Staatsbürgerschaft absprach und ihre Vermögen enteignete. Doch wie kam das Gemälde in den Besitz der Städtischen Galerie?
Wilhelm Altheim, Heiliger mit Bär (Der hlg. Korbinian), 1907, Städel Museum, Frankfurt am Main
Alfred Wolters, der Direktor der Städtischen Galerie, und Ernst Holzinger, der Leiter des Städelschen Kunstinstituts (dem die städtische Sammlung angegliedert war) waren während der NS-Zeit als Sachverständige für Kunstwerke aus jüdischem Besitz tätig. Im Mai 1939 hatte das Reichserziehungsministerium Wolters zum Sachverständigen für „Kunst- und Museumsgut“ der Devisenzweigstelle Frankfurt ernannt. Holzinger fungierte im Auftrag der Reichskulturkammer als Sachverständiger für die „Sicherung und Verwertung von deutschem Kulturgut aus jüdischem Besitz“. Zudem besaßen die Museen auf Grundlage der sogenannten „Verfahrensordnung“ ein Vorkaufsrecht für entzogenes Vermögen. Das Gemälde von Altheim sollte ursprünglich bei einem Auktionshaus versteigert werden. Wolters und Holzinger erreichten jedoch nach mehrmonatigen Verhandlungen mit der Gestapo, dass es im Januar 1943 für 12.000 RM in den Bestand der Städtischen Galerie gelangte, da es sich um ein „Hauptwerk der Frankfurter Malerei des beginnenden 20. Jahrhunderts“ handele. Es gehöre „unbedingt in die Gemäldesammlung der Stadt Frankfurt“. Ausgestellt wurde es dort jedoch nicht mehr, sondern zunächst in einen Bunker außerhalb von Frankfurt, dann nach Amorbach in Unterfranken ausgelagert, wo es den Krieg überdauerte. Walter Stern, der den Holocaust im Londoner Exil überlebt hatte, wusste nichts von dem Verbleib seines Familienerbstücks und hielt es für verloren.
Karteikarte („Property Card“) Inv. WIE 2445 des Central Collecting Point, Quelle: NARA, EU, Ardelia Hall Collection: Wiesbaden Property Cards, 1945-1952, M1947.
Nach dem Ende des Krieges richtete die amerikanische Militärregierung im Wiesbadener Landesmuseum eine Sammel- und Prüfstelle („Central Collecting Point“) zur Ermittlung von Kunstwerken ein, die zwischen 1933 und 1945 geraubt, beschlagnahmt oder unter Druck verkauft worden waren. Auch die in dieser Zeit erworbenen Kunstobjekte des Städel Museums mussten dort abgegeben werden, darunter Altheims „Heiliger mit Bär“. Der Eintrag im Inventarbuch – „durch die Geheime Staatspolizei aus jüdischem Besitz beschlagnahmt“ – identifizierte das Gemälde eindeutig als Raubkunst. Es hätte also auf Grundlage des 1947 von der amerikanischen Militärregierung erlassenen Restitutionsgesetzes an seinen Eigentümer zurückgegeben werden müssen. Da aber zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, wem das Bild geraubt worden war, konnte es nicht an Walter Stern restituiert werden. Stattdessen ging es im Juni 1951 als unidentifiziertes NS-Raubgut an die hierfür zuständige JRSO (Jüdische Restitutionsnachfolger Organisation), die es treuhänderisch in Verwahrung nahm. Anfang der 1950er Jahre übereignete die JRSO Hunderte von Kunstwerken und Judaica mit unbekannter Provenienz aus diesem Bestand an das Bezalel National Museum in Jerusalem, dem heutigen Israel Museum. Auch Walter Sterns Gemälde nahm diesen Weg.
Am 20. Januar 1954 wandte sich die Frankfurter Kunsthandlung J.P. Schneider mit einer Suchanfrage zum Verbleib des Bildes von Altheim an Ernst Holzinger, den Direktor des Städel Museums: „Irgendwo muss das Bild, das auch vorübergehend im Städel war, hingekommen sein. Ich habe den Auftrag, seinen Standort festzustellen.“ Auch Holzinger selbst hatte ein Auskunftsersuchen erhalten und begann zu recherchieren. Am 1. März 1954 schrieb er an den Leiter der Treuhandverwaltung von Kulturgut: „Das Altheim-Bild ‚Der Heilige mit dem Bär‘ gehörte früher, wie wir erst jetzt haben feststellen können, Frau Stern geb. Hirsch, die verstorben ist.“ Über den in Basel lebenden Kunsthändler Mario Uzielli nahm Holzinger schließlich Kontakt zur Tochter Gertrud Ritz auf. Er informierte sie darüber, dass sich das Gemälde im Besitz der JRSO befand. Ritz schrieb am 10. Juli 1954 an Holzinger, dass das Gemälde ihrem Bruder gehöre, der geglaubt habe, es sei verloren. Sie stellte den Kontakt zu Walter Stern her. Doch damals konnte der aktuelle Standort des Gemäldes nicht ausfindig gemacht werden.
Habent sua fata picturae.
(Auch Bilder haben ihr Schicksal.)
Erst im Zuge eines 1961 angestrengten Rückerstattungsverfahrens und erneuter Nachforschungen konnte Walter Stern das Bild schließlich wiederfinden – im Bezalel National Museum in Jerusalem – und erhielt es zurück. Bereits nach Holzingers erster Kontaktaufnahme hatte er einen Verkauf des Gemäldes bei Wiederauffinden in Aussicht gestellt und bekräftigte dies nun erneut. Die Städtische Galerie hatte jedoch ihre Mittel bereits nahezu ausgeschöpft, so dass die Erwerbung erst ein Jahr später und mittels einer Kapitalumlage städtischer Gelder realisiert werden konnte.
Ob Walter Stern das einstige Familienerbstück, das ihm geraubt worden war, je wiedersah, ist bisher nicht bekannt. Es zeugt jedoch von seiner inneren Größe, dass er sich trotz des ihm und seiner Familie widerfahrenen Schicksals für die Rückkehr des Gemäldes nach Frankfurt engagierte und so ein Zeichen gegen das Vergessen setzte.
Wir danken Dr. Ulrich Stump, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a.D., für die freundliche Anregung zu diesem Beitrag und das Zurverfügungstellen seiner Forschungsergebnisse zu Dr. Walter Stern. Seine Untersuchung „Entrechtet – deportiert – emigriert – überlebt. Frankfurter Justizangehörige als Opfer der NS-Rassegesetzgebung“ wird demnächst veröffentlicht.
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