Die Orgelflügel der Fuggerkapelle in St. Anna von Jörg Breu dem Älteren zeigen, warum es sich lohnt, dieses Kunstwerk auch mal aus der Nähe zu betrachten, um Einblicke in längst vergangene Zeiten und ihre Menschen zu bekommen.
So nahe wie in der Ausstellung „Holbein und die Renaissance im Norden“ kommt man den Orgelflügeln der Augsburger Fuggerkapelle sonst nicht. Aus dem Kirchenraum der ehemaligen Klosterkirche St. Anna gut sichtbar, thronen sie eigentlich auf der Empore. Hier im Städel Museum kann man also die seltene Möglichkeit nutzen und die Malereien von Jörg Breu der Ältere aus der Nähe genau betrachten.
Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, einiges läge hier im Argen: Die Köpfe der Menschen sind im Verhältnis zum Körper zu groß. Figuren und Gegenstände im Hintergrund sind teilweise unscharf, andere Details geradezu übertrieben mit deutlichen Konturen umfasst. Zweifellos ist Jörg Breu in seiner Malweise der robusteste Augsburger Maler. Anders als Holbein der Ältere und Burgkmair der Ältere arbeitet er nicht mit zarten Farbübergängen, sondern setzt auf leuchtende Farbpartien mit kräftigen Außenlinien. Ähnlich sind auch die Gesichter seiner Figuren mit markanten Zügen und klaren Umrissen gemalt und ihre Gliedmaßen wirken oft, als habe er sie schablonenartig zusammengesetzt. Das war wohl auch so, denn Breu hatte die wohl größte Werkstatt in Augsburg und viele Hände arbeiteten an solchen Aufträgen mit. Dabei griff man eben auf Werkstattvorlagen zurück. Doch Perspektive und Proportionen beherrschten Breu und seine Werkstatt eigentlich tadellos.
Wie kommt es zu diesen ungewöhnlichen Details? Die Auflösung ergibt sich durch einen zweiten Blick aus der Distanz. Und tatsächlich: Aus dem Kirchenschiff gesehen sind die Bilder ausgewogen – Keine Spur von übergroßen Köpfen und unscharfen Figuren. Auch ohne Fernglas sind die Gesichtszüge der Figuren problemlos zu erkennen. Offensichtlich hat Breu die perspektivische Verzerrung vom Standpunkt des Betrachters im Kirchenschiff einberechnet und die Bilder für die Weitsicht konzipiert. Tatsächlich ist die Orgel mit ihren Flügeln das einzige Kunstwerk der Fuggerkapelle, das von Anfang an für jeden sichtbar (und hörbar) geplant war. Denn ursprünglich hätten ein hohes Gitter und ein Chorgestühl, dessen letzte erhaltene Figuren in der Ausstellung zu sehen sind, die Grablege der Fugger von den Augen der Kirchgänger abgeschirmt.
Durch diese prominente Position seiner Bilder weit über dem Gitter wurde Breu die maximale Aufmerksamkeit der Kirchenbesucher ermöglicht. Kein Wunder, dass seine Orgelflügel kompositorisch wie perspektivisch alle Register ziehen. Schließlich war ein Auftragswerk wie dieses auch Visitenkarte für potenzielle Kunden – besonders, wenn die geschaffenen Orgelflügel oder Altäre in gut besuchten Kirchen waren. Und St. Anna war zur Zeit Jörg Breus eine der beliebtesten Pilgerkirchen der Stadt. Tatsächlich führten nicht nur bedeutende Handelswege vom Süden in den Norden, vom Osten in den Westen durch Augsburg, auch der Jakobsweg hatte hier eine wichtige Pilgerstation. Zudem wurde die Stadt vor allem unter Kaiser Maximilian I., dessen Hofhaltung und Kriege maßgeblich durch Augsburger Darlehen getragen wurden, eine internationale, diplomatische Bühne.
Als die Fugger’sche Orgel auf Maximilians letztem Reichstag 1518 durch den kaiserlichen Hoforganisten Paul Hofhaimer erstmals gespielt wurde, waren die mächtigsten Männer des Reiches in St. Anna versammelt; mit ihnen königliche Gesandte aus Litauen und Polen sowie des Papstes. Ein illustres Publikum, das auf Breus Tafeln die Erfindung der Musik studieren konnte, während es die Klänge dieses damals so seltenen Instruments hörte.
Schon zwei Generationen vor Jakob Fugger (1459–1525) war die Klosterkirche St. Anna durch den Bau der „Goldschmiedekapelle“ zu einem wichtigen Zentrum bürgerlicher Selbstdarstellung geworden. Wie die Fuggerkapelle als prächtige Grabkapelle von dem Kaufmannspaar Konrad und Afra Hirn gestiftet, rezipiert ihre Wandmalerei auffallend früh italienische Renaissance. In der Folge stifteten hier zahlreiche bedeutende Augsburger Familien prunkvolle Kapellen und Altäre. Aber auch bedeutende Handelshäuser weit über Augsburgs Grenzen hinaus finden sich als Wohltäter dieser Karmeliterkirche. Neben dem Nutzen der Stiftungen für das eigene Seelenheil war es eben auch gesellschaftlich wichtig, als Stifter oder Stifterin an einem prominenten Ort gesehen zu werden. Schließlich wollte man zeigen, dass man für wirtschaftliche und familiäre Verbindungen eine „gute Partie“ war.
Die vielen finanzkräftigen Familien, gleich ob einheimisch oder als Besucherinnen und Besucher, zogen Kunstschaffende aus ganz Europa an, die sich ein gutes Auskommen versprachen. Doch nur wenigen gelang es so wie Breu, für diesen Kundenkreis auch sichtbar zu sein.
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