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Dora Hitz: Zwischen Anerkennung und Vorurteil?

Das Werk der Künstlerin Dora Hitz (1853–1924) spiegelt die gesellschaftlichen Herausforderungen ihrer Zeit wider. Zwischen symbolistischen Märchenwelten und modernem Ausdruck bewegte sie sich stets im Spannungsfeld von Anerkennung und geschlechtsbedingten Vorurteilen – ein Konflikt, der ihre Karriere faszinierend und zugleich beispielhaft für Künstlerinnen der Jahrhundertwende macht.

Anna Heilmann — 6. Dezember 2024

Ein Leben für die Kunst

Dora Hitz (1853 in Altdorf geboren) zeigte früh künstlerische Begabung. In München erhielt sie Unterricht an einer Kunstschule für Mädchen. In der Öffentlichkeit wurde ihr Talent erstmals bei einer Ausstellung im Münchner Glaspalast gewürdigt, einer ihrer ersten wichtigen Karriereschritte. Dort wurde Fürstin Elisabeth zu Wied, die spätere Königin von Rumänien, auf Hitz aufmerksam. Zuvor hatte sich Hitz bei dem Historienmaler Wilhelm Lindenschmidt d. J. und dem Genremaler Heinrich Stelzner weitergebildet – entscheidende Stationen ihrer Professionalisierung. Dem königlichen Ruf folgend, zog sie an den rumänischen Hof, wo sie als erste weibliche Hofmalerin arbeitete. Aus dieser Zeit ist insbesondere ein eindrucksvoller Zyklus von Wandmalereien hervorzuheben, der ihr außergewöhnliches Talent unter Beweis stellt. Zudem setzte sich Hitz intensiv mit rumänischen Volksmotiven auseinander und gab Malunterricht für Waisenmädchen.

C. J. van Dühren: Dora Hitz in ihrem Berliner Atelier, um 1920, Fotografie, Jonas Cohn-Archiv, Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen, Inv.-Nr. 098. 

Hinter der Künstlerin ist auf der Staffelei das verschollene Gemälde „Mutterliebe“ zu sehen. Mutter-Kind-Darstellungen bilden den größten Themenschwerpunkt ihres Werks.

Trotz der Sicherheit am Hof suchte Hitz in den 1880er-Jahren ganz bewusst den Weg nach Paris, um sich bei dem für Historiengemälde und Wandmalereien berühmten Luc-Olivier Merson weiterzubilden. In der Kunstmetropole lernte sie bei renommierten Künstlern und nahm neue Strömungen auf. Vor allem der französische Maler und Lithograf Eugène Carrière prägte ihr Werk nachhaltig und inspirierte ihre zahlreichen Mutter-Kind-Darstellungen. Ihre Zeit in Paris verschaffte Hitz auch den Zugang zu einem kreativen Netzwerk, das sie auch mit der Frankfurter Malerin Ottilie W. Roederstein verband und ihr die Aufnahme in bedeutende Künstlervereinigungen ermöglichte. Überlieferte Briefe, heute im Roederstein-Jughenn-Archiv, zeugen von einer langjährigen Bekanntschaft, in der sich die Frauen gegenseitig unterstützten. Nach kurzen Aufenthalten in London und Dresden eröffnete Hitz in Berlin eine Damenmalschule und etablierte sich als gefragte Porträtistin. Als Mitbegründerin der Berliner Secession (Gründung 1899) setzte sie sich gemeinsam mit bedeutenden Vertreterinnen und Vertretern der Kunstwelt wie Max Liebermann und Käthe Kollwitz für die künstlerische Unabhängigkeit von traditionellen akademischen Vorgaben ein.

„Weibliche“ Bildthemen – Stärke oder Korsett?

In der männlich dominierten Kunstkritik wurden die Werke von Hitz der sogenannten „Frauenkunst“ zugeordnet – einer Kategorie, die geschaffen wurde, um die von Frauen gefertigte Kunst als weniger bedeutend abzuwerten. Diese Kritik wirkte wie ein unsichtbares Korsett, das dazu führte, dass auch begabte Künstlerinnen nicht als gleichwertig mit ihren männlichen Kollegen angesehen wurden. Die Äußerungen vieler (männlicher) Kunstkritiker dieser Zeit waren von der Vorstellung geprägt, dass Frauen in der Kunst nicht denselben Platz wie ihre männlichen Kollegen einnehmen könnten.

Dora Hitz, Bildnis Marie von Brocken, o.D., Öl auf Leinwand, 94,2 x 55,3 cm, Museum Behnhaus Drägerhaus Lübeck, Inv.-Nr.: 1942/3062, © Lübecker Museen, Museum Behnhaus Drägerhaus

Dora Hitz, Bildnis eines kleinen Mädchens, vor 1897, Öl auf Leinwand, 100,5 x 73 cm, Nationalgalerie Berlin, Inv.-Nr.: A I 580, © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger, Public Domain Mark 1.0

So erkannte der namhafte Kritiker Karl Scheffler zwar das Talent von Dora Hitz an, in den vorderen Reihen der Kunstgeschichte wollte er sie dennoch nicht sehen. Über Hitz schrieb er: „Die Eigenart der Persönlichkeit, die Reinheit des Talents, der menschliche Charakter und der Zeitpunkt des Wirkens: alles dieses hat Dora Hitz befähigt, innerhalb der neuen deutschen Malerei eine Art von Mission zu erfüllen und einen Platz in der Kunstgeschichte dieser Jahrzehnte einzunehmen. Nicht einen Platz in den vorderen Reihen, aber einen, von dem sie nicht mehr verdrängt werden kann. [...] Durch einen männlichen Willen zur Wahrheit dringt der Frauenfrohsinn immer wieder siegreich vor und giebt [sic] dieser Kunst den feinen weiblichen Charakter. Dem arg verrufenen Begriff der Frauenkunst hat Dora Hitz die Würde zu wahren oder gar zurückzugewinnen verstanden.“ (Scheffler, Karl: Dora Hitz, in: Kunst und Künstler, 14 (1916), S. 388)

Dass Dora Hitz im Laufe ihrer Karriere Darstellungen von Frauen, Mädchen, Müttern mit Kindern und florale Szenen in den Mittelpunkt rückte, mag diese Vorurteile in den Augen mancher bekräftigt haben. Diese „weiblichen“ Motive entsprachen jedoch dem Geschmack der Zeit und ließen sich gut verkaufen. Hitz bediente damit also auch eine Nachfrage. Als ehe- und kinderlose Künstlerin war Hitz schließlich auf ihr eigenes Einkommen angewiesen. Für die Künstlerin war die Diskriminierung daher schwer zu ertragen; sie bezeichnete sie in einem Brief als „eckelhaft [sic]“.

Dora Hitz, Kniende Frau mit Baby, o.J., Bleistift auf Papier, 20,9 x 32,9 cm, Städel Museum Frankfurt, Inv.-Nr.: SG 869

Dora Hitz, Kinderakt, o.J., Pastellkreide über Bleistift auf Papier, 32,7 x 24, 7 cm, Städel Museum Frankfurt, Inv.-Nr.: SG 864

Kunst zwischen Anpassung und Protest

Die Werke von Dora Hitz strahlen Harmonie aus, doch ihr spätes Werk „Kirschenernte“ bricht mit dieser Idylle. Am linken Bildrand entfaltet sich ein Konflikt: Eine junge Bäuerin weicht der scheinbaren Annäherung eines Arbeiters aus. Hilft er nur beim Tragen der Kirschen, oder überschreitet er Grenzen? Die Formebene lenkt von der erzählerischen Ebene ab. Besonders die ausdrucksstarke Malweise, mit breitem Pinselstrich und intensiver Farbgebung, verschiebt den Fokus von der Handlung hin zur Form. Dennoch bleibt im Werk Raum für Reflexion: Sollten sich die Betrachtenden empören?

Dora Hitz, Die Kirschenernte, vor 1905, Öl auf Leinwand, 160 x 232 cm, Nationalgalerie Berlin, Inv.-Nr.: A II 129, © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Reinhard SaczewskiPublic Domain Mark 1.0

Ein Vermächtnis mit Strahlkraft

Dora Hitz hinterlässt ein beeindruckendes Gesamtwerk und engagierte sich unermüdlich für die Gleichstellung von Künstlerinnen und die Förderung weiblicher Kreativität. Als Mitbegründerin von Künstlerinnenvereinigungen wie dem Frauenkunstverein und durch die Einreichung mehrerer Petitionen für die Zulassung von Frauen an Kunstakademien setzte sie ein starkes Zeichen für einen Fortschritt in ihrer Zeit.

Käthe Kollwitz brachte die Bedeutung von Dora Hitz für die Kunstgeschichte auf den Punkt:

Das Beste was Du gemacht hast wird bleiben. [...] Dein Platz ist Dir sicher.

Kollwitz, Käthe: Gedenkwort an Dora Hitz. In: Sozialistische Monatshefte, 31 (1925), S. 29.

Was bleibt, ist mehr als eine Sammlung von Gemälden und Zeichnungen. Ihr Werk ist ein Zeugnis für den entschlossenen Einsatz einer Frau, die für ihre Kunst und die Rechte ihrer Zeitgenossinnen kämpfte. Das Vermächtnis von Dora Hitz ist damit aktueller denn je. 100 Jahre nach ihrem Tod 1924 waren ihre Werke nicht nur im Rahmen der Ausstellung „Städel | Frauen“ im Städel Museum zu sehen. Auch widmen sich mehrere monografische Schauen in Peleş (Rumänien), Berlin und Coburg dieser herausragenden Künstlerin. Es ist eine Erinnerung daran, dass Kunst keine Grenzen kennt, außer jene, die ihr von der Gesellschaft, ihren Strukturen und Normen, oder manchmal auch von individuellen Vorurteilen auferlegt werden.


Die Autorin Anna Heilmann ist Mitarbeiterin im Team Engagement und ehemalige Werkstudentin im Bereich der Provenienzforschung am Städel Museum.

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