Wie wir im letzten Teil der Reihe erfahren haben, waren bis 1845 die ersten Schritte der Fotorevolution im 19. Jahrhundert getan. Jedoch beschränkt sich die Fotografie noch auf einen kleinen Kreis von Künstlern und Wissenschaftlern mit finanziellem Freiraum. Die Entwicklung der Fotografie zum vielverbreiteten Massenphänomen und die wichtigsten Fortschritte unter der Vielzahl von Methoden und Prozeduren auf dem Weg dorthin werden wir in den folgenden zwei Teilen beleuchten.
Die Möglichkeiten der Papiernegative, wie Talbot sie verwendete (siehe letzter Beitrag), waren begrenzt. Papier ist immer teilopak, erlaubt also kein völlig ungehindertes Durchdringen des Lichtes. Zudem bedingt der Faserverbund des Materials immer eine gewisse Unebenheit der Oberfläche, weswegen zahlreiche Details der Abbildungen „geschluckt“ wurden. Hier versprach Glas als klares, glattes Trägermaterial Besserung. Aber wie konnte die lichtsensitive Schicht aufgebracht werden? Einen Durchbruch in der planvollen Suche nach verbesserten Verfahren stellte das sogenannte „Nasse Kollodiumverfahren“ zur Herstellung von Negativen dar. Der französische Maler Gustave le Gray sowie auch die Briten Fredrerick S. Archer und Robert J. Bingham experimentierten etwa zeitgleich um 1850 mit Kollodium als Bindemittel für die lichtempfindlichen Silbersalze. Kollodium, bekannt in der zeitgenössischen Rüstungsindustrie, ist nitrierte Cellulose, gewonnen aus mit Salpeter- und Schwefelsäure behandelter Baumwolle, der sogenannten Schießbaumwolle.
Archer publizierte als erster eine nachvollziehbare Versuchsbeschreibung:
Die Schritte 2-4 mussten möglichst zeitnah in gleichmäßig nassem Zustand erfolgen, da sonst mit dem schnellen Auftrocknen der etherhaltigen Kollodiumschicht die Lichtempfindlichkeit des darin befindlichen Silbernitrates nachließ. Das zeigt, wie präzise die Fotografen auch in den provisorischen Feldlabors arbeiten mußten.In dieser Technik angefertigte Glasnegative boten in Schärfe und Detailreichtum uneingeholte Abbildungen. Es konnten beliebig viele Kontaktabzüge und dann auch Vergrößerungen angefertigt werden, was zur wirtschaftlichen Durchsetzungsfähigkeit des Verfahrens beitrug. Je nach Bedarf ließ sich nach Entwicklung der Platte der fertige Kollodiumfilm sogar von der Glasplatte trennen und in gerollter Form aufbewahren. Dieses Prinzip wurde bei der Herstellung uns noch bekannter Filmnegative im 20. Jahrhundert wieder aufgegriffen.
Dabei gestalteten sich die Fahrten der Landschaftsfotografen noch als wahre Abenteuer:
„Es war eine schwere Last, die Kamera in ihrem festen Kasten die Felsen hinaufzuschleppen, aber das war nichts verglichen mit dem Kasten für die Chemikalien und die Kassetten, die ihrerseits wieder federleicht waren gegenüber dem (…) Ungetüm, das als Dunkelkammer diente. (…) Dieses war der eigentliche Kummer der Expedition, denn sie mußte auf Gipfel von 200 bis 900 Meter Höhe.“
Darüber hinaus mussten die fertig entwickelten Glasplatten (mit der zum Teil beachtlichen Größe von 60 x 50 cm) mit den wertvollen Negativen ja auch unbeschadet wieder in das immobile Labor des Fotografen, oder in eine der industrialisierten Kopieranstalten. In den meisten Fällen wurden erst dort die Abzüge angefertigt, die dann in den Verkauf gelangten und so die aufwändigen Expeditionen der Fotografen entlohnten. Aber auch Misserfolge gehörten zum Geschäft:
„Zwei Photographen, die einen Abstecher zum Kanab Canyon gemacht hatten, brachten kein einziges Negativ mit zurück. ‚Mit dem Silberbad stimmte etwas nicht, und das Pferd, das die Kamera trug, stürzte einen Steilhang hinunter und landete genau auf der Kamera – unnötig zu beschreiben, wie sie nachher aussah.‘“ (Beide nach Newhall, Geschichte der Photographie, S. 95.)
Auch auf dem Feld der Vervielfältigung der Bilder gab es Fortschritte zu verzeichnen. Um 1848 veröffentlichte Désiré Blanquart-Evrard seine Methode zur Herstellung von Albuminabzügen, die dem Detailreichtum der neuen Negative Rechnung trugen.
Pascale Sébahs Blick auf die Pyramiden von Gizeh spielt schon durch den gewählten Standpunkt, der die streng geometrischen Monumente wie zarte Schemen hinter der belebten Landschaft erscheinen lässt, mit der breiten Tonalität und Tiefenwirkung der neuen Technik.
Diese orientiert sich als Auskopierverfahren durch Kontaktabzug praktisch noch an Talbots Vorgänger des Salzpapierdruckes:
Ein dünnes Papier wird 1. mit Albumin (ein aus Hühnereiweiß gewonnenes Protein), Kaliumbromid und Essigsäure beschichtet; 2. mit Silbernitratlösung sensibilisiert; 3. mit dem Negativ in einen Kopierrahmen gespannt, mit Sonnenlicht belichtet und so entwickelt; 4. mit Natriumthiosulfat fixiert; 5. in Wasser ausgewaschen, um überschüssige Chemikalien zu entfernen; 6. getrocknet. Je nach Bedarf an matter oder hochglänzender Oberfläche geschieht dies in einer erwärmten Metallpresse.
Bei ungenauer Verarbeitung und Auswaschung der Chemikalien altern Albumindrucke besonders schnell. Die Bilder vergilben vor allem in eigentlich hellen Bereichen (den Highlights) und verblassen – oftmals – von den Kanten ausgehend zur Bildmitte hin. Typisch ist zudem das Phänomen der „Aussilberung“ (silver mirroring), wie es auch im rechten Rand von Sébahs Bild auftritt. Silberpartikel sind aus der gebundenen Schicht an die Blattoberfläche gelangt.
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