Seit einem Jahr bereichert die Multispektralkamera die Arbeit in der Grafikrestaurierung des Städel Museums. Warum dieses „Wundergerät“ heute ein unverzichtbares Werkzeug zur Unterstützung von Restaurierungsarbeiten im Museum ist, erklärt Jutta Keddies, Leiterin der Restaurierung für Zeichnung, Grafik und Fotografie.
Als Leiterin der Grafikrestaurierung des Städel Museums bin ich für die konservatorische und restauratorische Bestandserhaltung von über 100.000 Arbeiten auf Papier vom 14. bis zum 21. Jahrhundert verantwortlich. Dazu zählen ca. 30.000 Handzeichnungen, Aquarelle und Pastelle sowie über 75.000 Druckgrafiken. Die Sammlung Fotografie umfasst über 5.500 historische und zeitgenössische Werke.
Zu unserem Alltagsgeschäft gehören Ausstellungsvorbereitungen, Leihverkehr, Neuzugänge wie Ankäufe und Schenkungen sowie die Bestandspflege. Wir führen auch kunsttechnologische Untersuchungen von Zeichnungen und Grafiken durch, zum Beispiel im Hinblick auf die verwendeten Zeichenmittel, das Papier und den Werkprozess. Solche wissenschaftlichen Analysen gehören heute zur akademischen Ausbildung und zum Studium der Papierrestaurierung und sind für die weitere Arbeit und die Behandlung der Werke essentiell. Sie liefern zudem auch wichtige Erkenntnisse für die kunsthistorische Forschung. Da diese Untersuchungen sehr zeitaufwändig sind, konnten sie in der Vergangenheit oft nicht im gewünschten Umfang durchführt werden. Neue technologische Entwicklungen erweitern seit geraumer Zeit das Spektrum der Möglichkeiten und so wurden auch die Untersuchungsmethoden im Städel Museum modernisiert.
Um die Untersuchungen einfacher und für die fragilen Werke schonender und präziser ausführen zu können, wurde Anfang 2023 eine Multispektralkamera angeschafft. Dieses neu entwickelte, filterlose Kamerasystem (book2net und Xatra GmbH) ermöglicht schonende Aufnahmen in unterschiedlichen Wellenlängen des Spektralsektors. Damit eröffnen sich bahnbrechende Ergebnisse für eine profunde kunsttechnologische Untersuchung von Arbeiten auf Papier. In Vorbereitung auf die Ausstellung „Fantasie und Leidenschaft. Zeichnen von Carracci bis Bernini“ kam die Multispektralkamera in der Untersuchung des Museumsbestandes italienischer Barockzeichnungen zum Einsatz.
Die Untersuchung der Zeichnung „Toter Elefant und zwei Figuren“ (1655) von Stefano della Bella verdeutlicht, welche Erkenntnisse die Arbeit mit der Multispektralkamera ermöglicht. Das Werk ist im Auflicht sowie im Streiflicht zu sehen. Deformierungen und die Oberflächenstruktur des Papiers werden sichtbar. Im Durchlicht sind die Siebstruktur und das Wasserzeichen erkennbar. Sie ermöglichen es die Entstehungszeit und -Ort des Papiers einzugrenzen. Die Nahinfrarot-Aufnahme hilft bei der Identifizierung der Zeichenmaterialien. Bei dieser Zeichnung konnten wir festhalten, dass es sich bei der braunen Tinte um eine Eisengallustinte handelt. Diese Information ist wichtig für die Lagerung und für die Entscheidung über mögliche restauratorische Eingriffe.
Mit der Multispektralkamera können wir auch UV-Aufnahmen erstellen. Diese dienen z.B. der Sichtbarmachung von biologischem Befall und zur weiteren Unterscheidung von Grundierungen und Zeichenmaterialien.
Die kunsttechnologische Untersuchung von Werken ist aber nicht nur für speziell ausgelegte Forschungsprojekte eine Hilfe, sondern ebenso ein wichtiger Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitens als Restauratorin. Geteilt werden unsere Analysen in Fachbeiträgen und Texten in Katalogen sowie im direkten Austausch mit Fachkolleginnen- und Kollegen anderer Häuser. Auch führen die kunsttechnologischen Untersuchungen zu einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse und ermöglichen somit einen erkenntnisgeleiteten Austausch – national wie international.
Die Kamera ist bereits im ersten Jahr ihres Einsatzes in der Werkstatt zu einem unverzichtbaren Werkzeug der restauratorischen Praxis geworden. Jede Arbeit auf Papier, an dem restauratorische Maßnahmen ausgeführt werden, wird zuallererst fotografiert. Dies dient zum einen der eigenen Absicherung, zum anderen ist es ein wichtiges Hilfsmittel zur Beurteilung möglicher Restaurierungsschritte. Frühere Restaurierungen werden sichtbar gemacht und können in die Planung weiterer Maßnahmen einfließen. Zeichenmittel können genauer bestimmt und somit eine Grundlage für die Entscheidung über das weitere Vorgehen geschaffen werden.
Bei Neuerwerbungen, die in den Bestand integriert werden, können bei der Erfassung das Papier auf Wasserzeichen untersucht und weitere Besonderheiten des Werkes dokumentiert werden. Das bedeutet eine immense Zeitersparnis und liefert gleichzeitig das „Rohmaterial“ für eventuelle spätere Forschungen an den einzelnen Kunstwerken. Die Auswertung der einzelnen Aufnahmen erfordert Fachwissen und Zeit, die im Alltagsgeschäft vielfach nur schwer zu erübrigen ist. Dennoch ist das Gerät bereits nach einem Jahr zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Restaurierungsabteilung geworden.
Kommen Arbeiten auf Papier neu in unsere Sammlung, sind wir oft mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehören beispielsweise unsachgemäße oder gealterte Montierungen oder Hinterklebungen, Verschmutzungen und Risse, die aufgrund der Aufbewahrung in unpassenden Mappen und Rahmen entstanden sind, oder Lichtschäden durch lange Hängungen im Tageslicht. Diese Schäden müssen nach heutigem Wissensstand behandelt werden, um den Erhalt der Kunstwerke zu sichern. Auf den ersten Blick nicht erkennbare Risikofaktoren können durch die Untersuchung mit der Multispektralkamera reduziert werden. Unterschiedliche Klebstoffe, Rissverklebungen und Retuschen können erkannt und die Restaurierungsmaßnahmen dementsprechend angepasst werden.
In Vorbereitung auf die zweite Station der Ausstellung „Holbein und die Renaissance im Norden“ im Kunsthistorischen Museum in Wien, haben wir unsere Zeichnung „Der Tod Mariä“ von Hans Burgkmair, genauer in den Blick genommen.
Hier werden in der UV-Falschfarbenaufnahme die Fehlstellenergänzungen und der nicht aktive biologische Befall sichtbar gemacht. Verwellungen, die sich bei klimatischen Schwankungen verändern können, werden in der Streiflichtaufnahme deutlich. Das Werk ist vom 19. März bis 30. Juni 2024 in Wien zu bewundern und danach wieder in der Graphischen Sammlung des Städel Museums auf Anfrage und zu den Öffnungszeiten des Studiensaals zugänglich.
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