Wie aus einem Leidener Kunststudenten einer der größten Künstler des 17. Jahrhunderts wurde, ist bald im Städel Museum zu sehen. Die Kuratoren, Jochen Sander und Stephanie Dickey, geben Einblicke in ihr Konzept.
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Rembrandt ist ein Dauerbrenner. Zuletzt gab es 2019 ein Jubiläumsjahr mit europaweit vielen Ausstellungen. Was erwartet das Publikum im Städel Museum?
Jochen Sander: „Nennt mich Rembrandt“ schildert erstmals Rembrandts Karriere und atemberaubenden Erfolg in der damaligen Welthandelsmetropole Amsterdam in den Jahren zwischen 1630 und 1655. Dazu zeigen wir nicht nur herausragende Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken Rembrandts, sondern bringen diese Werke in einen unmittelbaren visuellen Dialog mit der künstlerischen Produktion nicht nur von Rembrandts unmittelbaren Vorläufern auf dem heftig umstrittenen Amsterdamer Kunstmarkt, sondern auch mit den Werken seiner Konkurrenten und seiner eigenen Mitarbeiter. So können wird den Besucherinnen und Besuchern auf sehr direkte Weise anschaulich machen, wie unglaublich vielseitig das hochkarätige Angebot in Amsterdam war – aber auch, warum Rembrandts Kunst einzigartig ist und wodurch sie sich auszeichnet.
Rembrandt gelang in Amsterdam der Durchbruch als Künstler. Wie müssen wir uns Amsterdam zu der Zeit um 1630 vorstellen?
Stephanie Dickey: Amsterdam war eine Drehscheibe des globalen Handels mit einem florierenden Kunstmarkt und einer lebendigen Konsumentengemeinschaft. Rembrandt musste eine Möglichkeit finden, in einem Netzwerk hochbegabter Künstler herauszustechen. Ich glaube diese anregende Umgebung half ihm, Neuerungen zu erfinden und so hervorragend zu werden, dass er zu dem bemerkenswerten Künstler werden konnte, den wir heute kennen.
Es heißt Wettbewerb belebt das Geschäft: Was machte Rembrandt anders als seine Mitstreiter?
Stephanie Dickey: Als Maler wie auch als Grafiker war Rembrandt außergewöhnlich kreativ: Es genügte ihm nicht, sich an die Konventionen zu halten und er hörte nie auf, Neues auszuprobieren. Er war auch äußerst vielseitig und bildete Dutzende anderer Künstler aus, seinem Beispiel zu folgen.
Rembrandt hat sich selbst zur Marke gemacht. Wie wichtig war das für seinen Erfolg?
Jochen Sander: Als Rembrandt aus seiner Geburtsstadt Leiden 1630 nach Amsterdam übersiedelte, war er alles andere als unbekannt. Dennoch musste er sich nun gegenüber einer großen Anzahl von Konkurrenten beim Publikum und seinen potentiellen Auftraggebern durchsetzen. Der strategische Einsatz nur seines Vornamens Rembrandt (statt des Familiennamens van Rijn) gehörte zu dem Prozess der Markenbildung ebenso wie die Ausbildung zahlreicher Schüler in seiner Werkstatt, die er dazu ermutigte, seine Bilder zu variieren und damit unter dem Werkstattnamen Rembrandt zu vervielfältigen. Schon zu Lebzeiten hatte Rembrandt damit großen Erfolg – und seine Werke zählen bis heute zu den Blue Chips auf dem Kunstmarkt.
Warum galt Rembrandt als Universalkünstler?
Stephanie Dickey: Viele niederländische Künstler reagierten auf den hart umkämpften Kunstmarkt, indem sie sich in einer bestimmten Bildgattung spezialisierten. Heute würden wir es vielleicht „Nischenmarketing“ nennen. Rembrandts Hauptinteresse war Figurenmalerei, aber er hat alles ausprobiert, von Historie bis Landschaft, – und glänzte in allem, was er tat.
Was macht die Faszination Rembrandt aus?
Jochen Sander: Wie kaum ein anderer Maler besticht Rembrandt mit seiner Fähigkeit zu erzählen, die vielfach dramatische Geschichte auf den Punkt zu bringen. Zugleich weiß er seine Figuren psychologisch so überzeugend zu schildern, dass wir – sehen wir von der uns heute natürlich merkwürdig erscheinenden Kostümierung ab – vielfach das Gefühl haben, diese Person könnte uns auch heute begegnen. Dabei sind die Figuren in ihrem Ausdruck nie eindimensional: Ein Paradebeispiel hierfür ist Dalila, die auf Simson im Moment seiner Blendung mit einer unvergleichlichen Mischung aus Erstaunen und Triumph, Entsetzen und Ekel zurückblickt.
Was können junge Künstlerinnen und Künstler vom Alten Meister Rembrandt mitnehmen?
Stephanie Dickey: Nie aufgeben, hab‘ immer den Mut, Neues auszuprobieren. Mach die Kunst, die Du machen willst, nicht das, was die Leute von dir erwarten. Sei mutig!
Was ist Ihr persönlicher Rembrandt-Moment in der Ausstellung?
Stephanie Dickey: Ich finde es ganz aufregend, Rembrandts Blendung Simsons neben Van Dycks Samson und Dalila aus dem Dulwich Picture Gallery zu sehen—eine Kombination, die hier erstmals präsentiert wird. Erst in jüngster Zeit hat man erkannt, dass Rembrandt das monumentale Gemälde von Van Dyck wahrscheinlich in einer Amsterdamer Sammlung gesehen hat. Er reagierte darauf, indem er etwas ebenbürtig Großartiges, aber dramatisch anders—gewaltsamer und lebensnaher—geschaffen hat. Er wollte sich wirklich von den anderen abheben.
Jochen Sander: Das Nebeneinander zweier großartiger Porträtgemälde, das eine ein Meisterwerk des heute kaum mehr bekannten Malers Nicolaes Eliasz. Pickenoy, das andere ein Hauptwerk Rembrandts. Beide zeigen einen Angehörigen der Amsterdamer Oberschicht in ganzer Figur und in Lebensgröße. Pickenoys Gemälde, heute in Karlsruhe, entstand 1628 und zeigt den prachtvoll gekleideten Unbekannten in einem Innenraum an einem mit einem kostbaren Teppich bedeckten Tisch stehend. So überzeugend und großartig kann Amsterdamer Malerei kurz vor Rembrandts Übersiedlung in die Handelsmetropole sein!
Und doch – nur wenige Jahre später malt Rembrandt seine Version eines solchen repräsentativen Porträts, das heute in Kassel beheimatete Bildnis des Andries de Graeff, und wie lässig sieht der aus! Scheinbar zufällig vor der geöffneten Tür seines Hauses stehend, dramatisch ins Licht gesetzt, vor Selbstbewusstsein strotzend. Gegenüberstellungen wie diese machen in unserer Ausstellung nicht nur unmittelbar augenfällig, wie hochkarätig und vielfältig das Kunstschaffen im Amsterdam im 17. Jahrhundert war, sondern zeigen zugleich das großartige Gespür von Rembrandt, seinen Darstellungen eine unverwechselbare Unmittelbarkeit und Lebendigkeit zu verleihen.
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