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Bierstraße oder Schnapsgasse?

In den letzten Jahren hat Gin als neues In-Getränk nicht nur die Bars in London, sondern auch in Frankfurt im Sturm erobert. Wie William Hogarth im 18. Jahrhundert mit zwei Druckgrafiken versucht hat, seine Zeitgenossen vor den katastrophalen Folgen des Konsums zu warnen, lest Ihr in hier.

Annett Gerlach — 16. Juli 2015


Noch heute, mehr als 250 Jahre nach dem Tod des bedeutenden englischen Künstlers William Hogarth (1697–1764), zieren die beiden Druckgrafiken „Beer Street“ und „Gin Lane“ (wohl mehr zur Unterhaltung als zur Mahnung) zahlreiche Londoner Pubwände. Auch in unserer derzeitigen Sonderausstellung in der Graphischen Sammlung „Laster des Lebens“ mit insgesamt 70 der kritischen, geistreichen und aufmerksam beobachteten Druckgrafiken von William Hogarth, sind diese beiden Werke gemeinsam zu sehen. Doch welcher kulturgeschichtliche Hintergrund verbirgt sich eigentlich hinter den beiden Arbeiten, die Bier und Gin zum Thema haben?

Mit den eindringlichen Werken beteiligte sich Hogarth 1751 an einer öffentlichen Debatte um die Verabschiedung des sogenannten „Gin Acts“: Ein Gesetz, das  durch höhere Steuern und die Beschränkung der Ausschanklizenzen den immer weiter ansteigenden Konsum von Gin innerhalb der Londoner Bevölkerung eindämmen sollte. Das aufgeklärte Bürgertum des 18. Jahrhunderts, dazu gehörte auch der Maler, Kupferstecher und Radierer William Hogarth, betrachtete es als Pflicht seines Standes, gegen die grassierenden Laster innerhalb der sozial schwächeren Bevölkerung vorzugehen.

Die Gin-Krise in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Die große Verbreitung von Gin in Großbritannien im 18. Jahrhundert wurde wiederum selbst durch ein Gesetz aus dem Jahr 1689 begünstigt, das die Einfuhr von französischem Wein und Schnaps verbot. Stattdessen förderte der Staat die Produktion von Spirituosen aus einheimischen Pflanzen. Bereits vor 1751 hatte es zahlreiche Versuche seitens der Regierung gegeben, die Kontrolle über die Produktion und den Vertrieb von Gin zurückzugewinnen, die allerdings aufgrund von Protesten der Bevölkerung allesamt gescheitert waren.

Die beiden Druckgrafiken „Beer Street“ und „Gin Lane“ sind als Gegenstücke konzipiert. Während Hogarth in „Gin Lane“ die Spirituose als Getränk vorstellt, das Armut und Not bringt und den Einzelnen wie auch die Gesellschaft zerrüttet, wird in „Beer Street“ der Genuss von Bier als wohltuend und der Gesundheit zuträglich vorgestellt.

Die in der „Beer Street“ dargestellte Szene spielt im wohlhabenden West End Londons. Foto: Städel Museum – ARTHOTHEK

Die in der „Beer Street“ dargestellte Szene spielt im wohlhabenden West End Londons. Foto: Städel Museum – ARTHOTHEK

Beer, happy Produce of our Isle! (Bier, glückseliges Erzeugnis unserer Insel)

Die in der „Beer Street“ dargestellte Szene spielt im wohlhabenden West End Londons. Das Gewerbe blüht und es herrscht Wohlstand und Zufriedenheit unter den biertrinkenden Bewohnern. Die Stadt feiert den Geburtstag des Königs (darauf deutet die Flagge und seine Thronrede an das Parlament auf dem Tisch) und von den Dächern prosten die Handwerker einander zu. Hogarth setzte damit den Genuss von Bier mit der guten politischen und ökonomischen Stellung des Landes gleich. Die Fischmädchen im Vordergrund waren für ihn Sinnbild ehrlicher und bodenständiger Arbeit.

Dargestellte Szene im damaligen Elendsviertel St. Giles: Die Gin Lane. Foto: Städel Museum – ARTHOTHEK

Dargestellte Szene im damaligen Elendsviertel St. Giles: Die Gin Lane. Foto: Städel Museum – ARTHOTHEK

Gin cursed Fiend, with Fury fraught (Gin entsetzlicher Feind, mit Wut erfüllt)

Während das Haus des Pfandleihers in „Beer Street“ am rechten Bildrand das einzig baufällige Gebäude ist, gehört das Pfandleihhaus in „Gin Lane“ neben der Gin-Brennerei und dem Haus des Bestatters zu den wenigen erhaltenen Gebäuden. Diese Druckgrafik zeigt das damalige Elendsviertel der Stadt, die Gemeinde St. Giles. Dort empfängt der Pfandleiher gerade Mantel, Säge und Kochtöpfe von einem Paar in abgetragener Kleidung. Vor der Brennerei schlagen sich ein Lahmer und ein Blinder, zwei Waisenhaus-Kinder trinken unbeobachtet und selbst Babys wird der unheilvolle Schnaps eingeflößt. Im Hintergrund kann man den Trauerzug um die bereits Verstorbenen nur erahnen. Im Vordergrund lässt das unheilvolle Bild einer Mutter, die im Vollrausch ihr Kind die Treppe hinunterstürzen lässt, keinen Zweifel an der Botschaft William Hogarths: „Gin Lane“ ist eine Sackgasse in Abhängigkeit, Armut, Elend und Tod.

Blick in die Ausstellung "Laster des Lebens". Foto: Städel Museum

Blick in die Ausstellung "Laster des Lebens". Foto: Städel Museum


Die Autorin Annett Gerlach hat die Ausstellung im Städel kuratiert und wird ab September für drei Monate in der englischen Metropole leben. Dort wird sie sowohl Bier als auch Gin eine Chance geben.

Die Sonderausstellung Laster des Lebens. Druckgrafik von William Hogarth ist noch bis zum 6. September 2015 zu sehen. Da alle Werke aus dem Bestand des Städel stammen, habt Ihr auch danach noch die Möglichkeit, Euch die Grafiken im Studiensaal der Graphischen Sammlung vorlegen zu lassen.

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