Navigation menu

„Je mehr ich erfahre, desto mehr Bedeutung hat das Bild für mich“

Der Film zu Edgar Degas’ Gemälde „Die Orchestermusiker“ mit Nikeata Thompson ist bisher das beliebteste Video der „Meinungsbilder“-Filmreihe. Im Rückblick auf ihre Teilnahme am Projekt haben wir der Choreografin, Autorin und Unternehmerin zum Jahresende noch drei kurze Fragen gestellt.

Susanne Hafner — 19. Dezember 2023

Haben die „Meinungsbilder“ etwas daran geändert, wie du den Künstler Edgar Degas siehst?

Die „Meinungsbilder“ und der Blick hinter die Kulissen des Kunstwerks von Degas haben mich beeindruckt, aber auch zum Nachdenken angeregt. Einerseits haben sie bei mir zu einem tieferen Verständnis – auch der Lebensumstände der Menschen in der damaligen Zeit – beigetragen. Andererseits zeigen sie auch die gesellschaftlichen Unterschiede und Hürden auf, mit denen wir auch heutzutage nach wie vor zu kämpfen haben.

Für Edgar Degas sind seine Kunstwerke „das Ergebnis von Überlegungen“, entstanden in einer Zeit des Umbruchs und der Neuanfänge. Inmitten der Industrialisierung wechselt Degas durch seine Bilder die Perspektive und zeigt so einen neuen Blickwinkel auf die damalige Gesellschaft. Anders als zuvor, lässt er den Betrachter am Geschehen teilhaben. Er war auf jeden Fall ein Pionier auf seinem Gebiet. Wenn man so will, könnte man fast behaupten, dass Degas’ Blickwinkel von vor 150 Jahren ein wenig an die voyeuristische Instagram-Mentalität von heute erinnert.

Edgar Degas, Die Orchestermusiker, 1872 (1874 – 1876)

Edgar Degas
Die Orchestermusiker, 1872 (1874 – 1876)

Gab es einen Aspekt dieses Gemäldes, der dich besonders überrascht oder beeindruckt hat?

Besonders überrascht hat mich vor allem, dass das Gemälde „Die Orchestermusiker“ zwei Jahre nach der Fertigstellung noch einmal überarbeitet wurde. Ursprünglich zeigte das Bild nur die Musiker und einen Ansatz der Beine der Tänzerinnen. 1874 wurden die Tänzerinnen hinzugefügt. Wenn man genau hinsieht, erkennt man dort wo das Bild erweitert wurde eine Naht, die quer durch das Bild verläuft. Auch die Art und Weise, wie die Tänzerinnen gemalt wurden, unterscheidet sich von der Präzision der Musiker und ihrer Instrumente.

Diese Anpassung des Werkes gibt einen ganz neuen Einblick in das Leben an der Oper und zeigt uns, was „Sichtbarkeit“ bedeutet. Welchen Stellenwert Frauen damals in der Gesellschaft hatten und wie wichtig es ist, auch heute noch weiterhin unermüdlich für die Gleichberechtigung einzustehen.

Hinter den Kulissen: Nikeata Thompson und das Produktionsteam beim Dreh der „Meinungsbilder“ im Städel Museum

Warum lohnt sich ein multiperspektivischer Blick auf die Kunst, insbesondere auf die Kunst der vergangenen Jahrhunderte?

Auf den ersten Blick sehen wir immer das, was uns anspricht, das was „dargestellt“ ist, doch hinter jedem Kunstwerk steckt eine tiefere Geschichte. Interessant wird diese nicht nur durch die individuelle Perspektive des Künstlers, sondern auch in Bezug auf unser eigenes Leben heute. Wenn wir diese Bilder im größeren Kontext betrachten, eröffnet sich zudem eine ganz neue, oftmals viel interessantere und detailliertere Ebene. Wenn wir die Lebensumstände zu der Zeit verstehen, wenn wir uns einen Eindruck vom gesellschaftlichen Leben, von den Rollen und Wertvorstellungen der Zeit machen können, in der ein Kunstwerk entstanden ist, dann kann es uns viel mehr sagen, als wir zuerst dachten.

Degas’ Werk „Die Orchestermusiker“ ist vor ca. 150 Jahren in Paris entstanden. Es war die Zeit der Industrialisierung und des Deutsch-Französischen Krieges. Eine Zeit des Neubeginns, in der der Großteil der Gesellschaft am Existenzminimum lebte. Das Leben an der Oper stellt einen harten Bruch zu den damaligen Lebensverhältnissen dar. Vor allem für Frauen gab es kaum Möglichkeiten, eigenes Geld zu verdienen. Und auch heute, 150 Jahre später, kämpfen wir Frauen weiterhin für Gleichberechtigung in der Gesellschaft. Auch heute befinden wir uns in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit. Je mehr ich erfahre, desto mehr Bedeutung hat das Bild für mich. Weil ich verstehe, wie es zustande gekommen ist und ein Gefühl dafür bekomme, was diese Frauen damals durchgemacht haben. Um Veränderung zu schaffen, muss man ein System durchbrechen und ein Umdenken anregen. Wir müssen uns eine eigene Meinung bilden, um für unsere Werte einzustehen. Und dazu kann auch die Kunst und ein Blick in die Vergangenheit einen großen Teil beitragen.


Für die Filmreihe „Meinungsbilder“ stellte die Choreografin, Autorin und Unternehmerin Nikeata Thompson mit ihrem ganz persönlichen Blick Edgar Degas Gemälde „Die Orchestermusiker“ (1872/1874–1876) aus der Städel Sammlung vor.

Die Fragen stellte Susanne Hafner, Referentin für Presse und Onlinekommunikation.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Städel | Frauen

    Marie Held: Kunsthändlerin!

    Teil 5 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • Fantasie & Leidenschaft

    Eine Spurensuche

    Bei der Untersuchung von über 100 italienischen Barockzeichnungen kamen in der Graphischen Sammlung bislang verborgene Details ans Licht.

  • Städel Mixtape

    Kann man Kunst hören?

    Musikjournalistin und Moderatorin Liz Remter spricht über Ihre Arbeit und den Entstehungsprozess des Podcasts.

  • Städel | Frauen

    Künstlerinnen-Netzwerke in der Moderne

    Kuratorin Eva-Maria Höllerer verdeutlicht, wie wichtig Netzwerke für die Lebens- und Karrierewege von Künstlerinnen um 1900 waren und beleuchtet deren Unterstützungsgemeinschaften.

  • Muntean/Rosenblum

    Nicht-Orte

    Anonyme Räume, flüchtige Begegnungen: Kuratorin Svenja Grosser erklärt, was es mit Nicht-Orten auf sich hat.

  • Städel Mixtape

    #42 Albrecht Dürer - Rhinocerus (Das Rhinozeros), 1515

    Ein Kunstwerk – ein Soundtrack: Der Podcast von Städel Museum und ByteFM.

  • Alte Meister

    Sammler, Stifter, Vorbild

    Sammlungsleiter Bastian Eclercy und Jochen Sander im Interview zum neuen Stifter-Saal.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Städel Dach

    Hoch hinaus

    Die Architekten Michael Schumacher und Kai Otto sprechen über Konzept, Inspirationen und die Bedeutung des Städel Dachs für Besucher und die Stadt.

  • Gastkommentar

    Kunst und die innere Uhr mit Chronobiologe Manuel Spitschan

    Was sieht ein Chronobiologe in den Werken der Städel Sammlung?

  • Städel Digital

    Städel Universe: Von der Idee zum Game

    Im Interview gibt Antje Lindner aus dem Projektteam Einblicke in die Entstehung der hybriden Anwendung.

  • Engagement

    Die „Causa Städel“

    Was an Städels letztem Willen so besonders war und worauf man heute achten sollte, wenn man gemeinnützig vererben möchte.