Der Film zu Edgar Degas’ Gemälde „Die Orchestermusiker“ mit Nikeata Thompson ist bisher das beliebteste Video der „Meinungsbilder“-Filmreihe. Im Rückblick auf ihre Teilnahme am Projekt haben wir der Choreografin, Autorin und Unternehmerin zum Jahresende noch drei kurze Fragen gestellt.
Haben die „Meinungsbilder“ etwas daran geändert, wie du den Künstler Edgar Degas siehst?
Die „Meinungsbilder“ und der Blick hinter die Kulissen des Kunstwerks von Degas haben mich beeindruckt, aber auch zum Nachdenken angeregt. Einerseits haben sie bei mir zu einem tieferen Verständnis – auch der Lebensumstände der Menschen in der damaligen Zeit – beigetragen. Andererseits zeigen sie auch die gesellschaftlichen Unterschiede und Hürden auf, mit denen wir auch heutzutage nach wie vor zu kämpfen haben.
Für Edgar Degas sind seine Kunstwerke „das Ergebnis von Überlegungen“, entstanden in einer Zeit des Umbruchs und der Neuanfänge. Inmitten der Industrialisierung wechselt Degas durch seine Bilder die Perspektive und zeigt so einen neuen Blickwinkel auf die damalige Gesellschaft. Anders als zuvor, lässt er den Betrachter am Geschehen teilhaben. Er war auf jeden Fall ein Pionier auf seinem Gebiet. Wenn man so will, könnte man fast behaupten, dass Degas’ Blickwinkel von vor 150 Jahren ein wenig an die voyeuristische Instagram-Mentalität von heute erinnert.
Gab es einen Aspekt dieses Gemäldes, der dich besonders überrascht oder beeindruckt hat?
Besonders überrascht hat mich vor allem, dass das Gemälde „Die Orchestermusiker“ zwei Jahre nach der Fertigstellung noch einmal überarbeitet wurde. Ursprünglich zeigte das Bild nur die Musiker und einen Ansatz der Beine der Tänzerinnen. 1874 wurden die Tänzerinnen hinzugefügt. Wenn man genau hinsieht, erkennt man dort wo das Bild erweitert wurde eine Naht, die quer durch das Bild verläuft. Auch die Art und Weise, wie die Tänzerinnen gemalt wurden, unterscheidet sich von der Präzision der Musiker und ihrer Instrumente.
Diese Anpassung des Werkes gibt einen ganz neuen Einblick in das Leben an der Oper und zeigt uns, was „Sichtbarkeit“ bedeutet. Welchen Stellenwert Frauen damals in der Gesellschaft hatten und wie wichtig es ist, auch heute noch weiterhin unermüdlich für die Gleichberechtigung einzustehen.
Warum lohnt sich ein multiperspektivischer Blick auf die Kunst, insbesondere auf die Kunst der vergangenen Jahrhunderte?
Auf den ersten Blick sehen wir immer das, was uns anspricht, das was „dargestellt“ ist, doch hinter jedem Kunstwerk steckt eine tiefere Geschichte. Interessant wird diese nicht nur durch die individuelle Perspektive des Künstlers, sondern auch in Bezug auf unser eigenes Leben heute. Wenn wir diese Bilder im größeren Kontext betrachten, eröffnet sich zudem eine ganz neue, oftmals viel interessantere und detailliertere Ebene. Wenn wir die Lebensumstände zu der Zeit verstehen, wenn wir uns einen Eindruck vom gesellschaftlichen Leben, von den Rollen und Wertvorstellungen der Zeit machen können, in der ein Kunstwerk entstanden ist, dann kann es uns viel mehr sagen, als wir zuerst dachten.
Degas’ Werk „Die Orchestermusiker“ ist vor ca. 150 Jahren in Paris entstanden. Es war die Zeit der Industrialisierung und des Deutsch-Französischen Krieges. Eine Zeit des Neubeginns, in der der Großteil der Gesellschaft am Existenzminimum lebte. Das Leben an der Oper stellt einen harten Bruch zu den damaligen Lebensverhältnissen dar. Vor allem für Frauen gab es kaum Möglichkeiten, eigenes Geld zu verdienen. Und auch heute, 150 Jahre später, kämpfen wir Frauen weiterhin für Gleichberechtigung in der Gesellschaft. Auch heute befinden wir uns in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit. Je mehr ich erfahre, desto mehr Bedeutung hat das Bild für mich. Weil ich verstehe, wie es zustande gekommen ist und ein Gefühl dafür bekomme, was diese Frauen damals durchgemacht haben. Um Veränderung zu schaffen, muss man ein System durchbrechen und ein Umdenken anregen. Wir müssen uns eine eigene Meinung bilden, um für unsere Werte einzustehen. Und dazu kann auch die Kunst und ein Blick in die Vergangenheit einen großen Teil beitragen.
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