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Ein rätselhaftes Porträt

Gut 160 Jahre war nicht bekannt, wo sich das „Porträt eines 37-jährigen Herrn aus der Familie Fischer“ befindet. Jetzt ist es in Privatbesitz wiederaufgetaucht. Im Interview verrät Kurator Bodo Brinkmann vom Kunstmuseum Basel, wie er das Puzzle zur Geschichte des Gemäldes damit neu zusammensetzen konnte.

Romy Kahler — 29. Januar 2024

Wie haben Sie dieses Gemälde entdeckt? 

Eine befreundete Kollegin wies darauf hin, dass das lange verschollene Gegenstück zu dem seit 1958 in Basel befindlichen Frauenbildnis aufgetaucht sei. Das ‚Puzzle‘ besteht nämlich aus zwei Tafelbildern, eben dem Porträt Fischers und dem weiblichen Pendant dazu und drei Zeichnungen: Zwei Bildnisstudien im Berliner Kupferstichkabinett, die offenbar die beiden auf den Gemälden Dargestellten zeigen, und eine weitere im British Museum in London, wohl eine Nachzeichnung nach der Dame.

Ausstellungsansicht, Foto: Städel Museum - Norbert Miguletz

Wen zeigt das Porträt?

Der Dargestellte trägt einen Ring mit dem Familienwappen und den Initialen „MF“. Diese lassen sich wohl als „Marx Fischer“ auflösen, denn so kann man die Beschriftung auf der Berliner Vorzeichnung dazu lesen. Leider ist der Vorname in dieser Inschrift fast zerstört. Früher hatte man ihn als „Jörg“ gelesen. Bei den Recherchen für die Ausstellung „Holbein und die Renaissance im Norden“ stieß Guido Messling vom Kunsthistorischen Museum in Wien dann aber in den Augsburger Steuerlisten um das Entstehungsjahr des Porträts (in denen ein „Jörg“ fehlt) auf Marx (d.h. Markus) Fischer. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass Marx unser Mann ist.

Hans Holbein d.J. (hier zugeschrieben), Bildnis des Marx (?) Fischer (Detail), 1512, Privatbesitz

Wer war hier tätig und wie rekonstruieren Sie die Geschichte dieses Gemäldeauftrags?

Es gilt, eine plausible Erklärung für einen komplexen und etwas verwirrenden Befund zu finden. Die beiden Vorzeichnungen stammen mit Sicherheit von Hans Holbein d.Ä. Dieser hat jedoch keines der beiden Gemälde ausgeführt, weder Marx Fischer noch seine Gattin. Zudem weichen die Gemälde in markanten Details von den Zeichnungen ab, das männliche Porträt sogar in der Körperdrehung des Dargestellten.

Hans Holbein d.Ä. muss also seine vorbereitenden Zeichnungen zwei verschiedenen Malern gegeben haben, die sie bei der Ausführung des Auftrags relativ frei interpretieren durften. Es liegt nah, an die beiden Söhne Ambrosius und Hans d.J. zu denken, damals etwa 18/19 bzw. 14/15 Jahre alt. Vielleicht wollte der Vater sie gar zu einem brüderlichen Kräftemessen animieren…

Ambrosius Holbein (hier zugeschrieben), Bildnis der Gattin des Marx (?) Fischer, 1512, Basel, Kunstmuseum Basel

Warum kann das Bildnispaar der Eheleute Fischer nicht von ein und demselben Künstler stammen?

Die Malweise ist ähnlich, aber nicht identisch: Die Weißhöhung handhabt der Maler der Frau Fischer weitaus gemäßigter und kleinteiliger, das Inkarnat modelliert er geschlossener und glatter, seine Formen sind insgesamt rundlicher und sanfter. Die Figur setzt er maßstäblich kleiner vor den blauen Hintergrund.

Infrarotreflektographie: Hans Holbein d.J. (hier zugeschrieben), Bildnis des Marx (?) Fischer, 1512, Privatbesitz 

Infrarotreflektographie: Ambrosius Holbein (hier zugeschrieben), Bildnis der Gattin des Marx (?) Fischer, 1512, Basel, Kunstmuseum Basel

Welche Bedeutung hat die Wiederentdeckung und neue Zuschreibung für die Forschung zu Hans Holbein d. Ä. und seinen Söhnen?

Wenn all dies zutrifft, lägen uns mit dem Bildnispaar Fischer die frühesten erhaltenen Malereien von Ambrosius und Hans Holbein d.J. vor, ihre allerersten Schritte auf dem Weg zur künstlerischen Meisterschaft. Man kann den Stolz des Vaters, der die Söhne in seine Bilder einbaut, in einem sogar mit dem Finger auf Hans zeigt, noch besser nachvollziehen.


Dr. Bodo Brinkmann ist Kurator Alte Meister, 15.–18. Jahrhundert, am Kunstmuseum Basel. 

Die Fragen stellte Romy Kahler, Mitarbeiterin der Onlinekommunikation, Städel Museum.

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