Mit einem unvergesslichen Panoramablick auf die Stadt begeistert das in diesem Frühjahr eröffnete Städel Dach zahlreiche Besucher. Die Architekten Michael Schumacher und Kai Otto sprechen im Interview über Konzept, Inspirationen und die Bedeutung der neuen Dachterrasse für Besucher und die Stadt.
Was hat Sie inspiriert und welchem Konzept sind Sie bei der Gestaltung des Städel Dachs und der Spindeltreppen gefolgt?
Michael Schumacher: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Dass wir das Projekt umsetzen konnten, war zu Beginn wegen verschiedener Herausforderungen nicht ganz klar, zum Beispiel wegen des Denkmalschutzes, der nicht wollte, dass die „historische“ Ansicht verändert wird. Inspiriert hat uns die Frage: Was sieht man, wenn man vom Holbeinsteg aus auf das Städel Museum blickt und was sieht man durch das große Fenster in der Fassade von den Treppen, die zur Besucherterrasse führen? Kai, möchtest Du erklären, welche Ideen und Vorschläge es dazu gab?
Kai Otto: Gerne – es gab zwei Vorschläge. Du hattest eine Zeit lang eine mehrläufige Treppe im Raum, also im „Main Blick“, favorisiert. Wir haben uns dann aber für die zwei Spindeltreppen als Entwurf entschieden, die den Raum mehr oder weniger unberührt lassen. Die Wirkung im Raum, auch vom Main aus betrachtet, ist mit den Treppen als skulpturale Elemente großartig.
Ein wichtiges Anliegen war auch, dass die gesamte Baumaßnahme von der anderen Mainseite aus nicht sichtbar sein sollte. Der Denkmalschutz hatte eine Retusche aus dem 19. Jahrhundert gefunden: Geplant war auf dem Dach eine Figurengruppe aufzustellen. Das Dach war kein Satteldach, sondern eine Art Stufenpyramide. Wir konnten nachweisen, dass dort nie eine Figurengruppe stand und die Pläne nicht weiterverfolgt wurden. Deshalb konnten wir das Dach abtragen und ermöglichten somit die benötigte Fläche für die Besucherterrasse.
Wie haben Sie die Herausforderungen gemeistert, ein modernes Design in den historischen Museumsbau zu integrieren und gleichzeitig den Denkmalschutz zu wahren?
Michael Schumacher: Das Städel-Gebäude ist aufgrund seiner historischen Substanz und durch den Umbau nach der Zerstörung im Krieg ein interessantes Bauwerk. Johannes Krahn, Architekt und Professor für Architektur an der Städelschule, hatte das Städel nach dem Krieg wiederaufgebaut. Besonders die äußeren Risalite, auf denen Flakgeschütze standen, waren stark zerstört. Seine moderne Interpretation, vorhandene Bausubstanz mit Neuem zu verbinden, finden wir großartig. Das Städel in seinen Ursprungszustand zurückzuversetzen, war nach dem Krieg keine Option. Krahn ist es gelungen, das gesamte Gebäude mit seinen modernen Eckbauten als stimmiges Ganzes erscheinen zu lassen.
Kai Otto: Die architektonischen Prinzipien der Moderne sind im Städel sehr präsent, zum Beispiel im Haupttreppenhaus mit den Glasgeländern aus den 60er-Jahren.
Michael Schumacher: Sie wirken wie ein selbstverständliches, nicht wie ein auffälliges, unpassendes Element. In gewisser Weise folgen wir Krahns Logik und sehen auch die Spindeltreppen als neues Element, das sich harmonisch in den Bau eingliedert. Das ist die Qualität unserer Arbeit.
Wie wurden die Treppen eingelassen und befestigt?
Kai Otto: Die Treppen wurden am Stück in einer Werkstatt produziert und dann von oben ins Haus eingelassen. Dafür mussten zwei massive Wände von oben bis unten in der vollen Breite geschlitzt werden. Die Treppen hängen an den flankierenden Wänden und sind nicht an der Decke befestigt. Das war eine anspruchsvolle und komplexe Arbeit, besonders in einem Altbau.
Welchen Einfluss nimmt das Städel Dach in Ihren Augen auf die Besuchserfahrung?
Michael Schumacher: Wir können nur über unsere eigenen Besuchserfahrungen sprechen, aber auch darüber, was wir bei anderen Besuchern beobachten. Wir beide laufen jeden Tag über den Holbeinsteg und sehen, dass jetzt immer Menschen auf dem Städel Dach sind. Statt einer Figurengruppe, statt eines monumentalen Denkmals, stehen jetzt auf dem Dach Besucher, die sich für kulturelle Werte interessieren.
Kai Otto: Du hast recht. Das Städel Dach ist jetzt für alle da. Von oben sieht man über die Häuser hinweg den Taunus und die faszinierende Skyline Frankfurts. Die Skyline wandelt sich kontinuierlich, und die Besucher können das beobachten – wie ein reales Stadtbild.
Michael Schumacher: Es gibt das Zitat des amerikanischen Architekturkritikers Lewis Mumford: „Die Stadt ist das größte Kunstwerk der Menschheit“. Kunstwerke können besser oder schlechter sein, und in dieser Beziehung können wir uns in Frankfurt auf die Schultern klopfen. Wir haben ein markantes Stadtbild, erkennbar und einzigartig.
Gibt es Momente, die Ihnen im Prozess besonders in Erinnerung geblieben sind?
Kai Otto: Der erste Moment, als wir die Bestandssituation vor Ort besichtigten, war beeindruckend, besonders weil es noch wackelig war. Auch das Einheben der Treppen war faszinierend, es sah aus, als würden sie eingedreht.
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