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Das Aufklärungs­buch

Die meisten Werke dieser Ausstellung möchte man sich nicht übers Sofa hängen. Den Geschlechterkampf-Katalog sollte man sich aber unbedingt ins Regal stellen. Gestaltet wurde er von der Agentur Very.

Sarah Omar — 17. März 2017

Das Büro von Very befindet sich am Ende der Frankfurter Zeil, dort wo die Schaufenster nicht mehr aufgeräumt leuchten und das Geld der Kauffreudigen schon ausgegeben ist. Hier arbeiten zwei Frauen für die Kultur: Alexandra Papadopoulou und Marie Schoppmann sitzen in einem großzügigen, lichtdurchfluteten Büro, das man eher im hippen Bahnhofsviertel vermuten würde. Ihre Kollegin Nathalie Landenberger führt eine zweite Dependance in Hamburg. Mitten im Raum des Frankfurter Büros steht ein Arbeitstisch, hinten eine zehn Meter breite, unbearbeitete Wand. „Wenn wir an einem Buchprojekt arbeiten, drucken wir immer alles aus und hängen es hier auf“, erklärt Marie. Ich stelle mir vor, wie das im Fall von Geschlechterkampf ausgesehen haben mag. Wie es wohl wäre, wenn man monatelang praktisch in dieser Ausstellung lebt, mit ihrer hohen Quote an mordenden Femme Fatales und nackten Brüsten. Marie bestätigt mein Gefühl: „Ja, zwischendurch dachte man sich schon: Bitte guckt uns nicht so an!“

Bereits ein Jahr vor Beginn von Geschlechterkampf kamen die Kuratoren Felicity Korn und Felix Krämer mit dem Projekt auf sie zu. Die beiden Designerinnen gestalten nicht nur Ausstellungskataloge, sondern auch Künstlerbücher oder Corporate Designs, hauptsächlich im Bereich Kunst. Man kannte sich bereits vom Katalog der Ausstellung Lichtbilder, in der es um die Fotografiegeschichte der Städel Sammlung ging, um Schwarz-Weiß in all seinen Schattierungen, ein subtileres, weniger aufgeladenes Thema.

Nun also Geschlechterkampf. Dass ein Buchprojekt so früh beginnt, ist eher ungewöhnlich, war in diesem Fall aber ein willkommener Luxus. „Wir fuchsen uns immer in die Hintergründe rein und versuchen, etwas über die Ausstellungsgeschichte zu erfahren. Die Bilder sollen am Ende nicht nur gut aussehen, wir wollen zeigen, was die Kuratoren transportieren möchten“, erklärt Alexandra. Nach längeren Gesprächen und ersten Ideen ließen die beiden das Thema erst mal ein paar Monate sacken.

Brisanz ohne Drama

Die Ausstellung beleuchtet Geschlechterrollen und -beziehungen in einem Zeitraum von rund hundert Jahren, von den ersten Emanzipationsbestrebungen Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den vergangenen Fünfzigerjahren, nicht gerade einem Paradejahrzehnt für die Frauenbewegung. Kunsthistorisch geht es also um die „Moderne“. Dass der Blick auf die oft polarisierenden Werke jedoch immer ein aktueller – und zudem ein sehr subjektiver – ist, haben Marie und Alexandra schon beim ersten Treffen festgestellt: „Das Thema hat uns sofort persönlich angesprochen.“ Wie aber transportiert man die Kunstgeschichte in die heutige Zeit, ohne einen persönlichen Kommentar dazu abzugeben? Wie gibt man dem Thema gestalterisch eine Brisanz, ohne es zu dramatisieren? Very sind einen Schritt zurückgegangen, sie interessierte erst mal die Frage: Was ist dazwischen passiert?

Alexandra steht auf und wuchtet einen dicken Zeitschriftenstapel auf den Tisch: „Wir haben uns wegen Geschlechterkampf ein kleines twen-Archiv zugelegt“ sagt sie und lacht. Wir schauen uns die Cover an: Oops! Junge Frauen blicken uns entgegen, viele leicht oder gar nicht bekleidet, sie wirken jedenfalls ziemlich entspannt dabei. Alexandra: „Das war gerade mal 15 Jahre später, eine ganz andere Welt.“ twen – Einschub für die Spätergeborenen – war ein Lifestyle- und Aufklärungsmagazin der Sechzigerjahre, sowas wie die Bravo, nur eben für Twentysomethings und in geschmackvoll. Das Design des legendären Frankfurter Gestalters Willy Fleckhaus ist nüchtern und reduziert, gearbeitet wurde mit den Inhalten – und gemeinsam mit namhaften Fotografen und Illustratoren.

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Viele Komponenten des Geschlechterkampf-Katalogs greifen den stilprägenden Magazincharakter von twen auf: Die Titel der Kapitel und Essays haben eine eigene Seite und üppige Schriftgröße, die Kleinschreibung ist ebenfalls typisch für das klassische Midcentury-Design. Alle Bildseiten des Katalogteils sind auf schwarzen Grund gesetzt, was den „magazinigen“ Eindruck verstärkt. Bei den Werken der Ausstellung habe dieses Mittel noch einen zusätzlichen Effekt erzeugt, ergänzt Marie: „Man sieht ja sehr viel Fleisch auf den Geschlechterkampf-Bildern. Das Schwarz hat sie zum Strahlen gebracht“.

Etwas nüchterner verhält es sich bei den Essays, wo Text und Bilder auf Weiß gedruckt sind – wir befinden uns hier auf der „Beweisebene“ wissenschaftlicher Texte. Wer sich ins Thema vertiefen möchte, hat mit dem Katalog übrigens genug Lesestoff. Aber auch das Visuelle kommt hier nicht zu kurz: Wie auf einer Wäscheleine angeordnet bekommen die sogenannten Vergleichsabbildungen viel Platz – im Gegensatz zum sonst zur Textbebilderung in Katalogen oft üblichen Briefmarkenformat.

Typografie, die sich streitet

Ist die Gestaltung des Katalogs – mit seinen teils verstörend reaktionär anmutenden Geschlechterbildern – also eine Hommage an die aufklärerischen Sechziger-/Siebzigerjahre? Very schütteln den Kopf: „Mit einer Hommage würden wir einen Punkt hinter die ganze Sache setzen. Es ging uns vielmehr darum, nicht in der Kunstgeschichte zu verharren. Wir wollten über einen Zwischenschritt die Thematik der Ausstellung ins Heute zu transportieren, etwas weiterzuführen. Man hat Bilder aus einer bestimmten historischen Zeit, Gestaltungselemente aus einer späteren Zeit. Wir bedienen uns bei allem, agieren aber aus dem Jetzt heraus.“

An dieser Stelle kommt das hinzu, was Very die „Note 20XX“ nennen: Offen, nüchtern, an manchen Stellen fast schon spröde ist die Gestaltungssprache. Im Katalog gibt es – im Gegensatz zu den Wandfarben der Ausstellungsräume – keine Grauzonen. Stattdessen: Schwarz und Weiß. Wo Geschlechterkampf draufsteht, kann es auch nicht lieblich zugehen. Besonders experimentell ist die Typografie, die sich in den Textteilen immer wieder „streitet“: Bei den Essays ist die linke Kolumne links-, die rechte rechtsbündig gesetzt, bei den Texten des Katalogteils verhält es sich umgekehrt: „Diese Spalten schauen sich schon gar nicht mehr an“, assoziiert Marie. Man merkt, dass die beiden Designerinnen eine, nun ja, Beziehung, zum Katalog und seinen Gestaltungselementen aufgebaut haben.

Very incognito: Alexandra Papadopoulou und Marie Schoppmann

Very incognito: Alexandra Papadopoulou und Marie Schoppmann

Die Bilder des Katalogs sind nicht nur von der großen Wand verschwunden, auch die Ausstellung selbst ist nun fast vorbei. Wer möchte, dass Geschlechterkampf weitergeht, der nimmt ihn mit nach Hause – in Form von 336 Seiten, Gewichtsklasse zwei Kilo – und lässt sich noch ein bisschen weiter aufklären.


Sarah Omar arbeitet in der Onlinekommunikation des Städel. Für die Onlinearbeit war der Katalog vier Monate lang ihr wichtigster Begleiter.

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