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„Hart wie eine Kokosnuss!“

Zeitlebens hat es die Berliner Künstlerin vermieden, Auskunft über ihr Privatleben zu geben. Warum? Und haben wir bei Künstlerinnen ein größeres Recht auf Anteilnahme als bei den männlichen Kollegen?

Katharina Ferus — 3. März 2017
Jeanne Mammen, o. T. (Selbstbildnis), um 1926, Aquarell, Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V., © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Mathias Schormann

Jeanne Mammen, o. T. (Selbstbildnis), um 1926, Aquarell, Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V., © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Mathias Schormann

Der „Geschlechterkampf“ in der Kunst hat viele Facetten – das zeigt die aktuelle Ausstellung im Städel. Der Geschlechterkampf im Museum ebenfalls. So ist für das überwiegend weibliche Museumspublikum der Ausstellungsbesuch bei einer Künstlerin nach wie vor Ehrensache. Liebevoll werden „Paula“, „Jeanne“ und „Frida“ gewürdigt, und nicht selten ist es dabei viel spannender zu wissen „...ob sie wirklich lesbisch war?“, als warum ein Bild ausgerechnet so und nicht anders gemalt wurde. Dass dabei oft der unvoreingenommene Blick für die künstlerische Leistung verloren geht, fällt ebenso schwer sich einzugestehen wie der Umstand, dass die solidarische Vertrautheit auch eine Spur von Respektlosigkeit birgt. Niemand spricht schließlich von „Piet“, „Pablo“ oder „Paul“.

Freiheiten

„Von wegen meiner eigenen Bioschraffie, die ich Dir schuldig sein sollte (warum eigentlich?! So scheene ist det jarnich)“, so schrieb die 80-jährige Jeanne Mammen (1890–1976) einem engen Freund und Förderer. Und dabei hatte ihr Leben eigentlich sehr „scheene“ begonnen. Als Tochter eines gutbürgerlichen und äußerst liberalen deutschen Elternhauses wuchs sie in Paris auf, wo sie gemeinsam mit ihrer Schwester Mimi an der Académie Julian eine exquisite künstlerische Ausbildung erhielt. Zu einer Zeit, als bürgerliche Frauen sich nur in Begleitung auf der Straße zeigen durften, erkundete das Schwesternduo – mit dem Skizzenblock bewaffnet – sowohl den Louvre als auch das großstädtische Nachtleben. Sogar ein zweijähriges Studium an der Kunstakademie in Brüssel war in der elterlichen Fürsorge inbegriffen, ebenso wie anschließend ein gemeinsames Atelier in Paris.

Jeanne Mammen: Frau mit Absinthglas (Moulin Rouge), um 1908–1914, Jeanne Mammen Stiftung, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.

Jeanne Mammen: Frau mit Absinthglas (Moulin Rouge), um 1908–1914, Jeanne Mammen Stiftung, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.

Während dieser unbeschwerten Ausbildungsjahre entstand ein Werkkomplex, der nun in der Ausstellung „Geschlechterkampf“ gezeigt wird. Ein ganzer Raum ist den Grafiken gewidmet, die sich auf vielschichtige Weise mit eben jenem Thema auseinandersetzen: ein bunter Mix aus literarischen Anspielungen, bildnerischen Stereotypen und aktuellen Eindrücken aus dem Großstadtdschungel. Doch ist es fast unmöglich, Mammens eigene Position auszumachen. Eher entsteht der Eindruck, dass sie schon als junge Frau so prägnant wie nonchalant mit den Geschlechterrollen jonglierte, um sich selbst aus jeder festen Zuschreibung herauszuhalten.

Katastrophen

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste Familie Mammen über Nacht aus Paris nach Berlin fliehen. Das Vermögen wurde konfisziert, fortan musste Jeanne Mammen selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Neben dem Kulturschock in der ihr fremden Stadt und den Entbehrungen der Kriegsjahre war dies eine gewaltige Herausforderung. Kaum einer Künstlerin ihrer Generation ist es gelungen, sich über einen so langen Zeitraum – schließlich über 60 Jahre – allein zu versorgen. Zunächst konnte sie als Modezeichnerin, Werbegrafikerin und Chronistin des Berliner Großstadtlebens in der Zeitschriftenbranche Fuß fassen. Im Jahr 1930 brachte ihr endlich eine erfolgreiche Einzelausstellung in der Galerie Gurlitt Anerkennung als freie Künstlerin ein.

Jeanne Mammen: Mörder und Opfer (Reue), um 1908–1914, Jeanne-Mammen-Stiftung, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: © 2016 Reschke, Steffens & Kruse

Jeanne Mammen: Mörder und Opfer (Reue), um 1908–1914, Jeanne-Mammen-Stiftung, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: © 2016 Reschke, Steffens & Kruse

Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten fand ihre Karriere abermals ein jähes Ende. Mammen verweigerte sich der Gleichschaltung. Sie ging stempeln, schnitt Oberleder für Schuhe zurecht, bepinselte am Reichsinstitut für Puppenspiel zwei Dutzend Handpuppenköpfe pro Nacht und machte eine Zwangsausbildung zum „Feuerwehrmann“. Parallel zum Kampf um das tägliche Überleben ging jedoch die künstlerische Arbeit heimlich weiter. Ein Freund auf Fronturlaub besuchte die „malbesessene Jeanne“ und sah in ihrem winzigen Wohnatelier „riesige halbfertige Tafeln, bedeckt mit entarteter Kunst“.

Die „malbesessene" Jeanne Mammen in ihrem Atelier, um 1945, hinter ihr das Gemälde "Der Würgeengel", (um 1939–1942), Foto: Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.

Die „malbesessene" Jeanne Mammen in ihrem Atelier, um 1945, hinter ihr das Gemälde "Der Würgeengel", (um 1939–1942), Foto: Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.

Schubladen-Phobie

Am gleichen Ort, im Herzen von Berlin, lebte und arbeitete Jeanne Mammen noch bis 1976. Geblieben ist ihr eine ausgeprägte Abneigung dagegen, ihre Kunstwerke in Schubladen gesteckt zu sehen. Nicht umsonst ist ausgerechnet ihre private sexuelle Orientierung bis heute ein Geheimnis geblieben. Wäre sie bekannt, so würde sich dieses Wissen unweigerlich wie eine Folie vor ihre Werke schieben. Wer auch ohnedies Jeanne Mammens saloppen Scharfblick in Geschlechterfragen in Frankfurt schätzen gelernt hat (noch bis 19. März 2017), der kann sich im Herbst auf eine Fortsetzung freuen: Die Berlinische Galerie zeigt Mammens Gesamtwerk in einer großen Retrospektive.


Katharina Ferus ist Ausstellungsguide und freischaffende Kunsthistorikerin, in Berlin aufgewachsen, und ein Fan von Jeanne Mammens schnoddrigem Humor.

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