In der Weimarer Republik machten viele Künstler Sexualmord, Gewalt und Prostitution zu ihrem Thema. Sie reagierten damit auf eigene Kriegtraumata – und das neue Verhältnis zwischen den Geschlechtern.
Es ist ein dunkles Kapitel der deutschen Kunstgeschichte, und die Ausstellung „Geschlechterkampf“ widmet ihm einen ganzen Raum: Das Thema Lustmord erlebte in der Kunst der Weimarer Zeit einen regelrechten Boom. Heinrich Maria Davringhausen, Otto Dix, Karl Hubbuch, George Grosz und Rudolf Schlichter schufen die bekanntesten Darstellungen. Reale Verbrechen von Jack the Ripper, Fritz Haarmann oder Peter Kürten waren ihnen traurige Inspirationsquelle.
In den Bildern sind die Geschlechterrollen klar verteilt: Der männliche Täter vergeht sich auf brutale Weise an dem weiblichen Opfer, das in den Bildern als nackte, geschundene, noch blutende Leiche den Blicken des Betrachters ausgeliefert ist. Meist finden die Morde in Schlaf- und Wohnzimmern statt, deren Ordnung aus den Fugen geraten ist. Der Mörder ist noch ganz im Rausch der Tat oder nach dem Mord, in Gedanken versunken, mit leerem Blick dargestellt.
Bemerkenswert ist, dass sich die Künstler teilweise selbst in ihre Bilder einbrachten: George Grosz ließ sich als Jack the Ripper fotografieren, Otto Dix zeigte sich ebenfalls in der Rolle des Frauenmörders. Letzterer zeigt auch, welchen Stellenwert Lustmord-Darstellungen für die männliche künstlerische Identität haben konnten: Seiner Frau Martha schenkte Dix das Aquarell eines sexuellen Übergriffs zum Geburtstag. Was aber reizte die Künstler an diesen misogynen Szenen?
Der Lustmord besaß kritisches Potenzial. Er versinnbildlichte die Krise der Geschlechter, die sich nach dem Ersten Weltkrieg immer deutlicher abzuzeichnen begann. Insbesondere die Kriegserfahrungen hatten die traditionelle Geschlechterordnung ins Wanken gebracht: Zahlreiche traumatisierte Soldaten kehrten als „Verlierer“ heim und trafen dort auf erstarkte Frauen, die sich zunehmend an neuen Rollenbildern orientierten. Die Frau wurde als Bedrohung der männlichen Identität angesehen, auch wegen ihrer sexuellen Anziehungskraft. Die Lustmörder von Dix machen diese Zerrissenheit zwischen männlichem Machtanspruch, Identitätsverlust und sexuellem Begehren anschaulich. Vom Furor gepackt, gibt sich der Mörder triumphierend, hält Messer und ein abgetrenntes Bein wie Trophäen in den Händen, inmitten von entblößten Leichenteilen, die eines verdeutlichen: Das Weib ist vernichtet.
Zugleich sind solche Motive eine Absage an die engen bürgerlichen Geschlechterideale: Der Lustmörder sprengt mit seiner Tat alle Normen – und zeigt so die gesellschaftlichen Reglementierungsmechanismen auf. Radikaler könnte der Sexualtrieb nicht dargestellt werden.
Der Lustmord-Diskurs war nicht nur in der Weimarer Kunst präsent, auch die Wissenschaft versuchte sich in Erklärungen. Kriminalanthropologie, Kriminologie und Sexualwissenschaft definierten ihn als vorsätzliche Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs. Damit war er Ausdruck einer pathologischen Sexualität, die sich – nach Auffassung damaliger führender Wissenschaftler – sogar an körperlichen Merkmalen erkennen ließ.
Dieses biologistische Denken war charakteristisch für die Weimarer Kultur. Die Definition von menschlichen Typen und deren Bedeutung für die Gemeinschaft durchdrang sämtliche gesellschaftliche Bereiche und sollte, so die Hoffnung, dem Fortschritt dienen. Man war sogar überzeugt, bei richtiger Typisierung den geeigneten Ehepartner finden zu können. Tatsächlich war das Ergebnis dieser Lehren die Entfremdung der Geschlechter.
Auf der einen Seite stand also die Normierung des Sexualverhaltens – auf der anderen eine drastische Sexualisierung der Öffentlichkeit und die Vergnügungssucht der 1920er-Jahre: Beides zusammen führte zu einem auf den ersten Blick freizügigen, zugleich aber brutalen und respektlosen Umgang mit dem anderen Geschlecht. Die Vorzeichnungen für das Großstadt-Triptychon von Dix und Elfriede Lohse-Wächtlers Milieustudien thematisieren diese degenerierte Gesellschaft ganz deutlich.
Dabei kam der Prostituierten eine gesonderte Bedeutung zu: Sie vereinte die verführerische wie zerstörerische Macht der Sexualität; sie wurde erhöht und zugleich aufs Schlimmste erniedrigt. Opfer realer wie künstlerischer Gewaltszenen waren häufig Prostituierte, wie in Josef Scharls Gemälde Misshandelte Dirne. Gerade in den Städten griff das Geschäft mit der „Liebe“ immer mehr um sich. Bordell wie Straßenstrich waren stark frequentiert, Geschlechtskrankheiten grassierten, und die Anzahl der Sexualverbrechen stieg stetig an. Soziale Ängste waren fest an misogyne Vorstellungen gekoppelt.
Sexualität und Gewalt entwickelten sich zu Paradigmen einer traumatisierten Kriegsgeneration.
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