Dürer und Selfies? So ganz abwegig ist diese Verbindung nicht, war doch Dürer ein Meister des Selbstporträts. Unser Blogartikel zieht Parallelen von Dürers Selbstbildnissen zum gesellschaftlichen Massenphänomen des Selfies.
Er streckt den Arm aus, schürzt die Lippen, blickt in die Linse seiner Smartphone-Kamera und drückt den Auslöser. Vielleicht würde der große Renaissance-Maler Albrecht Dürer (1471–1528) heutzutage so ein Selbstbildnis von sich anfertigen, oder zumindest eine Vorstudie dazu. Was als künstlerisches Genre begann, ist heute längst zum Massensport geworden. Von Barack Obama über die dänische Premierministerin bis hin zu Tobias Schmidt aus der 10b sind Selfies inzwischen Standard in Sachen Selbstinszenierung und –vergewisserung. Vom Oxford English Dictionary wurde das Selfie sogar jüngst im September zum englischen Wort des Jahres 2013 gekürt. Das fotografische Selbstporträt wird von der großen, bei Facebook so kategorisierten Gruppe der 14 bis 24-Jährigen mit enormer Reichweite über die verschiedenen Social-Media-Kanäle Instagram, Facebook und Twitter distribuiert: #selfie #picoftheday. Die Alternative zum ausgestreckten Arm ist der abfotografierte Blick in den Spiegel.
Ohne Spiegel und entsprechenden Konstruktionen konnte in der Renaissance kein Selbstporträt entstehen. Statt Smartphone kamen dann allerdings Silberstift und Pinsel zum Einsatz. Nördlich der Alpen zählt Albrecht Dürer zu den ersten selbstporträtierenden Künstlern. So blickte bereits der 13-jährige Dürer immer wieder in den Spiegel um sein Antlitz genauestens zu untersuchen, um dann seinen Blick aufs Blatt zurichten. Das so 1484 entstandene Silberstift-Selbstporträt markiert zum einen den Beginn von Dürers künstlerischem Schaffen, zum anderen aber auch den Beginn seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der Physiognomie, insbesondere der eigenen. Dürer dienen sein Gesicht und sein Körper als Studienobjekt. Vor allem in seinen späteren bekannten Selbstbildnissen werden diese dann auch zum Medium der Selbstbefragung und Selbstdarstellung.
Obwohl die Ausstellung im Städel keine der bekannten Selbstporträts vom Renaissance-Meister im Pelzrock oder am Fenster zeigt, hat sich Dürer gleich zweimal persönlich in die Ausstellung gemogelt – und zwar „in Assistenza“. Das heißt, Dürer hat sich selbst in Auftragsbilder integriert, etwa beim „Trommler und Pfeiffer“ (um 1503/05) oder der Mitteltafel des „Heller-Altars“ (1507-1509). Auf dem Weg zum ersten Teil der Ausstellung begrüßt die Besucher eine überlebensgroße Reproduktion des Trommlers, der die Gesichtszüge von Albrecht Dürer aufweist. Im Original widmet sich der Trommler dann im Untergeschoss der Ausstellung zusammen mit einem Pfeiffer tröstend dem Hiob auf dem Misthaufen zu. Auch auf der Mitteltafel des „Heller-Altars“ ist Dürer noch einmal zu sehen: vor einem Baum zwischen zwei Gruppen von betenden Aposteln, sein Namensschild haltend.
Das Schild als Vorläufer des Hashtags, sozusagen. Ob Dürer aber tatsächlich die Lippen zum berüchtigten Duckface gespitzt hätte? Wer weiß. Nötig gehabt hätte der Pionier in Sachen Selbstbildnis derartige Eitelkeiten ganz sicher nicht.
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