Die derzeitige Sonderausstellung „Lichtbilder“ im Städel Museum widmet sich der Fotografie – von ihren Anfängen bis in die 1960er Jahre. Das Städel spielte 1845 mit der ersten Fotografieausstellung in einem Kunstmuseum weltweit eine wichtige Rolle bei der Etablierung des Mediums. Aber auch zahlreiche Frankfurter Fotoateliers sorgten in den 1840er und 1850er Jahren dafür, dass vor Ort eine lebendige Fotografieszene entstand. Wir sprachen mit Eberhard Mayer-Wegelin, der bereits 1982 einen Band zur frühen Fotografie im Rhein-Main-Gebiet verfasst hat und von dem bald eine Publikation zum Frankfurter Fotografen Carl Friedrich Mylius erscheint, über diese prägenden Jahre der Fotografie in der Region.
Herr Mayer-Wegelin, es vergingen nur sechs Jahre zwischen der Bekanntgabe des neuen Mediums 1839 und der ersten Präsentation von Fotografien in einem Kunstmuseum weltweit, die im Frankfurter Städel stattfand. Wie kam es, dass gerade hier in Frankfurt so früh Fotografie in einem Kunstmuseum zu sehen war?
Dass es bereits 1845 eine Ausstellung von Fotografien im Frankfurter Städel gab, war ungewöhnlich. Es trafen zwei glückliche Umstände zusammen, die diese Präsentation ermöglichten: Zum einen arbeitete der Fotograf Sigismund Gerothwohl in Frankfurt. Er war Städel-Schüler, war also als Maler ausgebildet worden, und hatte im Gegensatz zu allen anderen Fotografen vor Ort, die bisher nur mit der Technik der Daguerreotypie arbeiteten, sich auf die Fotografie auf Papier spezialisiert. Für ihn war der Fotoapparat quasi der Pinsel des Malers. Er pflegte den Kontakt zum Städel und initiierte vermutlich die Ausstellung 1845. Zudem hatte der damalige Städel-Direktor Johann David Passavant besonderes Interesse an dem neuen Medium und speziell an der Fotografie auf Papier. So ließ er sich beispielsweise 1846 von dem sehr angesehen Fotografen Fritz Vogel porträtieren – Gerothwohl hatte Frankfurt damals bereits verlassen. Unter Passavant gab es im Städel nach 1845 noch zahlreiche weitere Fotografie-Ausstellungen.
Zunächst zogen vor allem Wanderfotografen von Ort zu Ort, um die Nachfrage nach fotografischen Abbildungen zu decken, bis sukzessive immer mehr fotografische Ateliers in Großstädten entstanden. Wer waren die damaligen Auftraggeber für diese Aufnahmen und welchen Zwecken dienten diese? Gab es in Frankfurt eine besondere Ausrichtung oder Spezialisierung, beispielsweise im Bereich der politischen Fotografie? Schließlich hatte die Bundesversammlung seit 1815 hier ihren Sitz.
Fotografische Porträts, insbesondere die kolorierten, waren anfangs sehr teuer. Nur das gehobene Bürgertum konnte sich die Aufnahmen leisten. Daher gab es fest etablierte Fotoateliers ausschließlich in größeren Städten. Oft kamen Kunden aus dem Umland in die nächste Stadt, um sich dort aufnehmen zu lassen. Wie gemalte Porträts dienten die Fotografien einerseits als Familienerinnerung. Sehr häufig wurden solche Aufnahmen aber auch an Nahestehende verschenkt. Ein typisches Beispiel hier in Frankfurt ist der Philosoph Arthur Schopenhauer, der sich häufiger fotografieren ließ und die Aufnahmen an einige Verehrer verschenkte, oder auch die Tänzerin und Schauspielerin Marianne von Willemer in ihrer späteren Zeit. 1848 erregten die Abgeordneten des Paulskirchenparlaments besonderes Interesse: Mehrere Fotografen, unter ihnen Hermann Biow, der eigens aus Hamburg anreiste, sowie Fritz Vogel und Jacob Seib aus der lokalen Szene, porträtierten zahlreiche Abgeordnete. Dies waren aber keine Auftragsarbeiten der Abgeordneten, sondern sie dienten vielmehr als Vorlagen für Lithografien, die dann in den Handel kamen. Seib hat zum Beispiel ein Mappenwerk mit 54 Porträts herausgegeben. Die Tätigkeit von Biow erregte solche Aufmerksamkeit, dass die von ihm gefertigten Porträts im August 1848 im Städel ausgestellt wurden. Seib und Vogel porträtierten 1848 auch den Reichsverweser Erzherzog Johann. In den 1850er Jahren ließen sich viele Gesandte am Deutschen Bundestag ablichten, unter anderem der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck.
Kurz nach Entdeckung der Fotografie arbeiteten so unterschiedliche Berufsgruppen wie Mechaniker, Physiker, Chemiker, aber vor allem auch Lithografen, Kupferstecher und Maler mit Hochdruck an der Weiterentwicklung dieser Erfindung. Gab es in Frankfurt ebenfalls Protagonisten, die zu dem rasanten Prozess beitrugen?
Erfinder, die die Technik der Fotografie weiterentwickelten, gab es in Frankfurt nicht. Aber es gab Fotografen, die durch Ideen für ihre weitere Verbreitung sorgten. Der schon erwähnte Sigismund Gerothwohl erkannte die Vorteile der Fotografie auf Papier und führte sie sehr früh in Frankfurt ein. Fritz Vogel ließ sich als Erster ein Patent für die Fotomontage erteilen. Die Belichtungszeit betrug damals noch mehrere Sekunden. Bei Gruppenaufnahmen bewegte sich immer jemand, insbesondere wenn Kinder dabei waren und so waren die Bilder häufig verwackelt. Deswegen nahm Vogel Personen einzeln auf und montierte die Gruppe in einer Fotografie zusammen. Einige seiner Kollegen verwendeten diese Technik ebenfalls, aber nur Vogel kam auf die Idee, sich das Verfahren patentieren zu lassen, was ihm mächtigen Ärger einbrachte. Im Rahmen seiner öffentlichen Rechtfertigung durfte er 1848 einige seiner Fotomontagen im Städel ausstellen. Darüber hinaus waren die Frankfurter Fotografen in den 1850er Jahren bekannt für die fachmännische künstlerische Kolorierung von Porträts. Die „Retoucheure“, wie man die angestellten Maler nannte, wurden sogar von ausländischen Ateliers abgeworben.
Die damals hier in der Stadt wirkenden Fotografen gehörten zu den Pionieren ihres Faches, sind aber heute kaum mehr bekannt. Welchen Fotografen finden Sie auch rund 170 Jahre später noch erstaunlich und warum?
Von den hier tätigen frühen Fotografen bewundere ich in erster Linie Fritz Vogel, der mit seiner lithografischen Anstalt in Konkurs gegangen war und dann auf die Fotografie umsattelte. Sein Atelier firmierte unter dem Namen „Fritz und Julie Vogel“. Von ihm sind noch zahlreiche Porträts bekannt. Zum Teil sind sie nicht koloriert, wie das von Passavant, meistens aber in perfekter Manier bemalt. Er war sehr angesehen, so hat etwa eine Frankfurter Familie sechs Familienmitglieder porträtieren lassen und eine russische Adelsfamilie, die sich 1847 hier aufhielt, ließ von ihm ein ganzes Familienalbum anfertigen. In den 1850er Jahren stellte das Atelier Steinberger & Bauer wunderschöne, locker gestaltete Ganzporträts mit gemalten Landschaften im Hintergrund her. Aus der Zeit danach ist besonders Carl Friedrich Mylius mit seinen Stadtansichten zu nennen, auf denen er die Sehenswürdigkeiten der Stadt für Touristen ablichtete oder das alte Frankfurt teilweise in der Art eines Denkmalpflegers festhielt.
Sie haben sich intensiv mit den historischen Fotobeständen des Städel Museums befasst. Welche Entdeckung und Erkenntnis war dabei für Sie besonders überraschend?
Was mich besonders überraschte, war die Vielzahl der vorhandenen Fotografien und die Vielzahl der Fotografen, die in diesen historischen Beständen vertreten sind. Die bekanntesten unter ihnen sind Édouard Baldus, Maxime du Camp, Wilhelm Hammerschmidt, Carlo Naya und Giorgio Sommer, aber es gibt auch viele Arbeiten von relativ unbekannten frühen Fotografen. Die Auswahl der Motive ist ebenfalls sehr interessant und deutet auf eine frühe Lehrsammlung hin: Die Bestände enthalten wenige Porträts, sondern vorwiegend Landschafts- und Architekturaufnahmen, vor allem aus Italien, beispielsweise von römischen Baudenkmälern. Dazu kommen Aufnahmen von Skulpturen sowie zeitgenössische Reproduktionen von Gemälden. Die Fotografie war damals die präziseste Art der Vervielfältigung. Mit den Abzügen konnte man seltene Kunstwerke, die sich im Ausland befanden und die nur wenigen Touristen zugänglich waren, einem großen Publikum und auch Städel-Schülern wirklichkeitsgetreu vorführen.
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