Nicht nur der Sommer hat sich abgekühlt: Auch die Fotografien in der aktuellen Ausstellung Lichtbilder. Fotografie im Städel Museum von den Anfängen bis 1960 fühlen sich bei kalter Raumtemperatur wohl. Auf unserem Blog entführen wir Euch in die Bilderwelt der Neuen Sachlichkeit – eine der neun Etappen, die Ihr in der Schau entdecken könnt.
„Neue Sachlichkeit“ lautete die Parole der 1920er-Jahre. Ungewöhnliche Perspektiven, starke Kontraste oder überraschende Motive lösten den althergebrachten schönen Schein ab, der die Kunstfotografen um die Jahrhundertwende noch begeisterte. Statt sich an der Bildsprache der Malerei zu orientieren, hoben die Fotografen der Neuen Sachlichkeit die dem fotografischen Medium eigenen Stilmittel, wie Präzision, Schärfe und Detailgenauigkeit hervor. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, die von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt waren, suchte man andere Werte und Ideale. Mit dem Wunsch nach realistischen Darstellungsmöglichkeiten widmeten sich die Künstler der Zwischenkriegszeit neuen optischen Strategien.
„Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bedeuteten auf vielen Gebieten einen Neubeginn. [...] Ich fragte, zunächst ganz unsystematisch: Was ist die Fotografie? Welches sind die Gesetze der Dinge, die ich aufnehme?“ konstatierte Hans Finsler (1891–1972), der als einer der Hauptvertreter der Fotografie der Neuen Sachlichkeit gilt. In „Tasse, Untertasse, Teller“ (1931) stellt er die glänzende Oberfläche des weißen Porzellans diametral dem dunklen Bildraum gegenüber. Komposition, Materialität und Funktionalität spielen die Hauptrolle bei der Fotografie des Hermes-Service.
Auch der Kölner Architekturfotograf Werner Mantz (1901–1983) reduzierte die Inszenierung seiner Aufnahmen auf die elementaren Gestaltungsgesetze: Wie eine Horizontlinie trennt der kubische Bau den Bildvordergrund vom Himmel. Der von Schlagschatten umrahmte Durchblick unter der Brücke wiederholt die strenge Waagrechte und führt die Bildebene sogartig weiter: Die Unterführung wird zum Bild im Bild.
Alltägliches festzuhalten gehört zu den entscheidenden Leistungen von Albert Renger-Patzsch (1897–1966), dem in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet ist. Einem Kaktus – modische Pflanze und beliebtes Motiv der Neuen Sachlichkeit – schenkt der Fotograf seine volle Aufmerksamkeit: Durch sorgsame Beleuchtung komponiert er die Linienführung der Oberfläche, betont die Schönheit und Klarheit der Einzelheiten. Auch bei seinen Detailaufnahmen der Fabrik der Spinnereimaschinenhersteller Schubert & Salzer um 1950 behält er dieses künstlerische Credo bei: Rohre, Armaturen oder Druckspüler der Maschinen setzt der Fotograf bildfüllend in Szene.
Neben der Dingwelt wurde auch das Porträt unmittelbar und ungeschönt ins Bild gesetzt. Obwohl der Dresdner Atelierfotograf Hugo Erfurth (1874–1948) vorzugsweise Prominente vor die Kameralinse lockte, waren seine Aufnahmen so gar nicht glamourös: Auf jegliche Accessoires verzichtend rückte er sein Modell in den Bildvordergrund – keine Falte, keine Regung bleibt hier verborgen. Einen gezielt typologisierenden Blick auf die Gesellschaft der Weimarer Republik richtete August Sander (1876–1964). Unter dem Titel „Menschen des 20. Jahrhunderts“ versammelte er um 1925 in einem Bildatlas Vertreter verschiedener Gesellschaftsschichten, die er nach ihrem sozialen oder beruflichen Stand auswählte und in Szene setzte.
Mit nüchternen Kompositionsmitteln versuchten die Künstler der Neuen Sachlichkeit ihre Umwelt fotografisch zu dokumentieren. „Sachlich“ bedeutete hierbei jedoch nicht, ein bloßes Abbild der Welt zu geben, denn die Künstler bedienten sich verschiedenster Mittel, um ihre Modelle und Motive zu inszenieren und stilisieren. Ihre Fotografien laden den Betrachter dazu ein, das Reizvolle an scheinbar banalen Dingen zu entdecken. Einen Einblick in diese ganz eigene Ästhetik der 1920er-Jahre erhaltet Ihr noch bis zum 05. Oktober 2014 in „Lichtbilder".
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