Julian Schnabel hat einst die totgeglaubte Malerei wieder zum Leben erweckt. Drei seiner Arbeiten aus drei Jahrzehnten befinden sich nun in der Sammlung Gegenwartskunst: „Anh“, „Jane Birkin #3 (Vito)“ und „Untitled“ sind in jedem Sinne schwergewichtige Werke.
Die Malerei sei tot, hieß es in den 1970-Jahren, nachdem die Minimal Art den künstlerischen Gestus auf geometrische Grundstrukturen aus serieller, industrieller Herstellung reduziert hatte. Julian Schnabel war damals gerade 30 Jahre alt geworden, wenige Jahre zuvor aus dem ruralen Texas ins metropolitane New York City gezogen und hatte sich dennoch für die Malerei entschieden. Oder vielleicht auch deshalb. „Ich dachte, wenn Malerei tot ist, dann ist es gerade recht, mit dem Malen zu beginnen“, sagte er 2003 rückblickend selbstbewusst in einem Interview. Schon 1979 bei seiner ersten Galerie-Ausstellung in New York feierten die Kritiker seine Arbeiten als „Wiederkehr der Malerei“.
Dabei greift Schnabel in den seltensten Fällen zu herkömmlichen Farben und Leinwand. Vielmehr experimentiert er seit damals mit den unterschiedlichsten Materialien – sei es Öl, Wachs, Emulsion, Leder, Harz oder Gips. Als Malgrund verwendet er neben der Leinwand auch Holz, Masonit, Scherben, Lumpen, Samt, Zeltplanen und Segeltücher. So erweitert er das malerische Spektrum kontinuierlich mit jeder neuen Werkgruppe, wie auch die vom Städelkomitee 21. Jahrhundert für das Museum neu erworbenen Arbeiten aus den späten 80ern, frühen 90ern und aus 2015 erkennen lassen.
In der ältesten Arbeit „Anh“ (1988) wird eine vorgefundene grünlich-braune Zeltplane zum Trägermaterial für eine weiße, abstrakte Formation, die man figürlich interpretieren könnte, wenn man denn wollte. Abnutzungserscheinungen wie Verfärbungen oder das kleine Loch am oberen Rand kaschiert Schnabel bewusst nicht, um die dem Material inhärente Geschichte offen zu zeigen.
Typisch und wesentlich für Schnabels Arbeiten sind außerdem kryptische Schriftzüge und Titel, die einerseits auf Privates, andererseits auf Öffentliches verweisen. Sie begegnen uns auch in der zwei Jahre später entstandenen Arbeit „Jane Birkin #3 (Vito)“ wieder. Während sich „Anh“ auf den Vornamen seiner damaligen Geliebten bezieht und die Aufschrift „delle Botteghe Oscure“ eine Straße in Rom meint, spielt die sechsteilige „Jane Birkin“- Serie auf die gleichnamige Sängerin und Schauspielerin an – die Schnabel allerdings nie persönlich kennengelernt hat. Die Hommage geht eigentlich auf ein Segelboot mit dem aufgedruckten Taufnamen „Jane“ zurück. Diese Verbindung spiegelt sich im ungewöhnlichen Bildformat mit der abgerundeten Ecke, das nicht nur an ein umgekipptes Segel erinnert, sondern tatsächlich das Trägermaterial darstellt. Schnabel „malte“ hier mit Ölfarben, Harz sowie Gips und stickte Stofflumpen auf ein altes Segel, das er bei einer Reise nach Ägypten gekauft hatte.
Auch wenn die Werke Schnabels auf den ersten Blick abstrakt wirken, erhalten sie durch diese angeeigneten Materialien, die Wortfolgen und nicht zuletzt die Titel eine narrative Komponente. Eine wiederverwertete Zelt- oder Segelplane stellt keine neutrale Oberfläche dar, sondern trägt eine Geschichte in sich und transportiert Stimmung. Schnabel nutzt die Vergangenheit der gefundenen Objekte als wichtige Referenzpunkte.
Grundlage für das jüngste Werk „Untitled“ (2015) ist ein Foto von Schnabels Atelierboden, das er farblich veränderte, im Tintenstrahldruckverfahren auf Polyester-Leinwand übertrug und anschließend mit Sprühfarbe bearbeitete. Damit geht die Erweiterung des malerischen Spektrums so weit, dass die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie verschwimmen.
Neben der materialbestimmten Oberfläche ist noch ein anderes Charakteristikum von Schnabels Arbeiten ersichtlich: ihre monumentale Größe. In der Regel unterschreiten sie das Längen- und Breitenmaß von je zwei Metern nicht, „Jane Birkin #3 (Vito)“ schlägt gar mit mehr als sechs Metern Breite zu Buche. Durch diese Größe, das dazugehörige Gewicht und die fast ins Dreidimensionale gehenden Oberfläche nehmen sie reliefhafte Züge an.
Mit dieser physischen Präsenz ist unweigerlich eine psychische Erfahrung verbunden, die Massigkeit und Schwere ist auch für den Betrachter und die Betrachterin spürbar. Im Metzler-Foyer werden Schwergewichte aufgefahren – Schwergewichte, die trotz ihrer je fast 250 Kilogramm leicht an der Wand hängen.
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