Seit 50 Jahren hängt Picassos „Bildnis der Fernande Olivier“ an den Wänden des Städel. Seine Geschichte erzählt vom Aufbau der modernen Sammlung – der wiederum mit einem anderen Picasso-Porträt begann.
Am 2. Dezember 1967 – vor etwas mehr als 50 Jahren also – kam das kubistische Bildnis der Fernande Olivier von Pablo Picasso nach Frankfurt. Anlass dieser spektakulären Erwerbung war das 150-jährige Jubiläum des Städelschen Kunstinstituts. Fast eine halbe Million hatte das Gemälde damals gekostet und dass dieser Betrag zusammenkam, ist dem großzügigen Engagement zahlreicher Spender des Städelschen Museums-Vereins zu verdanken. Der Ankauf – noch zu Lebzeiten des damals über 80-jährigen Künstlers – hatte zudem eine besondere historische Bedeutung.
Fast 100 Jahre zuvor, in den 20er Jahren, war das Museum schon einmal in Besitz eines Frauenporträts des Künstlers gekommen, einem Frauenkopf von 1922. Er zeigte die erste Frau des Künstlers, Olga Khokhlova. Der damalige Direktor Georg Swarzenski hatte das Gemälde – ebenfalls mithilfe eines engagierten Förderers – angekauft in dem Anliegen, eine zeitgenössische Kunstsammlung aufzubauen. Dies entsprach dem Auftrag der 1907 gegründeten Städtischen Galerie, die dem Städelschen Kunstinstitut angegliedert wurde: Sie sollte Werke von noch lebenden Künstlern erwerben und die „bildenden Künste der Gegenwart“ repräsentieren. Insgesamt vier Picassos – das Gemälde sowie drei Grafiken – hatte Swarzenski in den Jahren seiner Amtszeit nach Frankfurt gebracht. Allerdings war darunter kein einziges Werk aus der kubistischen Phase des Künstlers zu finden, denn Swarzenskis Gestaltung der modernen Sammlung konzentrierte sich auf figurative Kunst.
Der stolze Preis für den Frauenkopf lag damals bei 2975 Mark. Swarzenski hatte ihn von der besten Adresse erworben: Rue Boétie Nr. 21 in Paris, der Galerie Paul Rosenbergs. Rosenberg stellte zeitgenössische Künstler wie Braque, Léger, Matisse und eben Picasso in seinen Räumen aus. Der mit ihm befreundete „Pic“ hatte sein Atelier ab Herbst 1919 sogar direkt neben der Galerie.
Im Juli 1937 wurde das Gemälde im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda als „entartete Kunst“ aus der Städel Sammlung entfernt. „Beschlagnahmt“ lautet der Eintrag für das Frauenbildnis im Inventarbuch. Swarzenski war zu diesem Zeitpunkt bereits aus seiner Position als Generaldirektor der Städtischen Museen entlassen worden – wegen seiner jüdischen Herkunft, aber auch, weil er sich für die moderne Kunst engagiert hatte.
Die aus deutschen Museen beschlagnahmten Objekte, darunter vier Gemälde von Picasso (aus dem Städel Museum in Frankfurt, der Kunsthalle Hamburg, dem Wallraf-Richartz Museum in Köln und der Städtischen Bildergalerie in Wuppertal), brachte man in die Sammelstelle für „entartete Kunst“ in das Schloss Niederschönhausen nach Berlin. Dort wurden sie für die weitere, systematische „Verwertung“ vorbereitet.
Um zu testen, welche Preise man für die modernen Werke auf dem internationalen Kunstmarkt erzielen konnte, wurde die Galerie Fischer in Luzern damit beauftragt, ausgewählte Werke aus dem beschlagnahmten Bestand, darunter die vier Picassos, zu versteigern. Ziel war die für die Mobilisierung notwendige Erwirtschaftung von Devisen. 125 Werke kamen schließlich am 30. Juni 1939 in der Auktion Gemälde und Plastiken Moderner Meister aus Deutschen Museen unter den Hammer. Im Katalog der Auktion liest man unter der Los-Nr. 117: „Frauenkopf. Brauner, derbgemalter Kopf einer vollblütigen Südländerin mit weissem Hemd gegen dunkelbraunen Hintergrund.“ Die erzielten Gesamteinnahmen der Auktion beliefen sich auf 627.000 Schweizer Franken, 8000 davon wurden über den Picasso erzielt. Das Gemälde wurde von einem Schweizer Privatsammler ersteigert und gelangte später in den Besitz des renommierten belgischen Picasso-Sammlers René Gaffe. Im November 2001 wurde es aus dem Nachlass seiner Witwe bei Christie’s in New York zu einem Preis von 6.826.000 Dollar verkauft. Wo es sich heute befindet, ist nicht bekannt.
Picassos Galerist Paul Rosenberg verurteilte die Auktion in Luzern und warnte potenzielle Käufer davor, dass alle auf der Auktion eingenommenen Devisen „uns in Gestalt von Bomben auf den Kopf fallen werden“. Er sollte Recht behalten. Genau ein Jahr später, im Juni 1940, besetzten die Nazis Paris. Der jüdische Kunsthändler musste mit seiner Familie fliehen, seine Picassos wurden beschlagnahmt. Seine berühmte Galerie war ab Mai 1941 Sitz des sogenannten „Instituts für Judenfragen“. Nach dem Krieg bemühte sich Rosenberg, die verlorenen Werke seines Freundes „Pic“ wiederzufinden. Das Haus in der Rue Boétie verkaufte er jedoch, er wollte dort nicht mehr wohnen.
Mit der Erwerbung des Bildnisses der Fernande Olivier, einem Schlüsselwerk des analytischen Kubismus, knüpfte man im Städel 1968 nicht nur an die 150-jährige Geschichte des Museums an, sondern auch an den Verlust des Frauenbildnisses und seine bewegte Geschichte. Ernst Holzinger, Direktor seit 1938, war in den letzten zwanzig Jahren seiner Amtszeit insbesondere mit dem Wiederaufbau der zerstörten modernen Sammlung beschäftigt. Das mäzenatische Engagement des Städelschen Museums-Vereins – der im Jahr 1958 neugegründet wurde – spielte dabei die zentrale Rolle. Unbedingt wollte Holzinger einen Picasso ans Städel holen – und bekam am Ende sogar zwei: Femme acroupi (1960), ein Gemälde aus der späteren Phase des Künstlers, das sich heute in der Sammlung Gegenwartskunst befindet; und schließlich das Bildnis der Fernande Olivier.
Das Bildnis der Fernande war eines von zahlreichen Porträts, die der Künstler 1909 in dem spanischen Bergdorf Horta de Ebro von seiner Partnerin schuf. Der erste bekannte Besitzer des Gemäldes war der Pariser Privatsammler Paul Guillaume. Er hatte 1914 eine eigene Galerie gegründet, die 1920 ebenfalls in die Rue Boétie zog. Neben der Kunsthandlung von Paul Rosenberg war es eine der wichtigsten Adressen für moderne Kunst im damaligen Paris. In seiner Privatsammlung befanden sich zahlreiche Picassos, darunter auch das Bildnis der Fernande. Guillaume sammelte außerdem afrikanische Kunst und war ein begeisterter Anhänger des Jazz. Er pflegte intensive Kontakte zum amerikanischen Kunstmarkt und zu amerikanischen Kunstsammlern. So gelangte das Gemälde 1931 über den Atlantik und wurde in einer Ausstellung des Künstlers in der Demotte Galerie in New York gezeigt.
Guillaume starb 1934 im Alter von 43 Jahren. Erbin seiner Kunstsammlung war seine Witwe Domenica Guillaume. Ob das Gemälde noch zu Lebzeiten Guillaumes in den USA verkauft wurde oder aus seinem Nachlass, ist unklar. Guillaumes Witwe ging nach dem Tod ihres Mannes eine Beziehung mit dem Architekten Jean Walter ein, mit dem sie bereits eine Affäre hatte. Domenica Guillaume – ab 1938 Domenica Walter – veräußerte große Teile der Sammlung nach dem Tod ihres Mannes insbesondere Werke, die nicht ihrem Geschmack entsprachen: alle kubistischen Picassos sowie die afrikanische Kunst.
Als der Städelsche Museums-Verein das Bildnis der Fernande Olivier im Dezember 1967 über die Schweizer Galerie Beyeler in Basel ankaufte, war sein letzter Besitzer der amerikanische Unternehmer Le Ray Berdeau gewesen, der es vermutlich bereits in den 1930er Jahren erworben hatte. In diesem Jahr feiert der Picasso sein 50-jähriges Jubiläum als Dauergast in der Galerie der modernen Kunst im Städel.
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