Der Städelsche Museums-Verein hat sich mit den Erben der im Nationalsozialismus ermordeten Eigentümer geeinigt: Max Beckmann „Eisgang“ bleibt am Ort seiner Entstehung für die Öffentlichkeit zugänglich.
Im Zuge seiner systematischen Provenienzforschung erhielt das Frankfurter Städel Museum von dritter Seite Hinweise auf die belastete Provenienz des Werkes Eisgang (1923) von Max Beckmann (1884–1950). Das im Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes gelistete Ölgemälde zeigt das charakteristische Mainpanorama Frankfurts mit Blick auf den Eisernen Steg und wurde 1994 vom Städelschen Museums-Verein erworben. Es stellte sich heraus, dass der erste Besitzer des Werkes Fritz Neuberger war, ein jüdischer Textilfabrikant aus Frankfurt, der das Gemälde direkt von Max Beckmann gekauft hatte. Neuberger und seine Frau Hedwig wurden von den Nationalsozialisten verfolgt, deportiert und in Ostpolen ermordet. Was mit dem Bild im Einzelnen geschah, ist über weite Strecken nicht ermittelbar. Alles spricht dafür, dass Eisgang dem Ehepaar Neuberger verfolgungsbedingt abhandenkam. Nach langjährigen Forschungsarbeiten des Städel Museums und intensiven Gesprächen zwischen dem Vorstand des Städelschen Museums-Vereins und den Erben einigten sich beide Parteien nun auf eine einvernehmliche „Goodwill - Vereinbarung“ im Sinne der Washingtoner Prinzipien zur NS-Raubkunst, welche eine faire und gerechte Lösung des Falles darstellt und die den dauerhaften Verbleib des Gemäldes in Frankfurt ermöglicht. Zudem wird mit einer Tafel am Gemälde an das tragische Schicksal des Voreigentümers Fritz Neuberger und seiner Frau erinnert werden.
Großzügige finanzielle Unterstützung für die vereinbarte Einigung erhielt der Städelsche Museums-Verein von der Bundesrepublik Deutschland. Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärte: „Das Gemälde Eisgang, das während der Frankfurter Jahre Beckmanns entstand, ist nicht nur ein zentrales Werk im Oeuvre dieses großen deutschen Expressionisten. Durch die Darstellung des Eisernen Stegs, eines Wahrzeichens der Stadt, ist dieses Bild für alle Menschen in der Main-Metropole und darüber hinaus ein wichtiges, beliebtes und identitätsstiftendes Zeugnis. Anliegen des Bundes ist es, durch die Förderung solcher Ankäufe zu fairen und gerechten Lösungen und Einigungen im Sinne der Washingtoner Prinzipien beizutragen. Dass der Eisgang nun endgültig seinen Platz im Städel Museum gefunden hat, ist ein Gewinn nicht nur für Frankfurt, sondern für die deutsche Museumslandschaft überhaupt.“
„Wir freuen uns sehr, dass wir eine einvernehmliche und faire Lösung erzielen konnten, die Beckmanns Eisgang für die Sammlung des Städel Museums erhält und das Bild damit weiterhin am Ort seiner Entstehung der Öffentlichkeit zugänglich macht. Mit der nun gefundenen Einigung wollen wir als Städel Museum und Städelscher Museums-Verein abermals ein deutliches Zeichen setzen, dass auch wir als nichtöffentliche Institutionen die Prinzipien der Washingtoner Erklärung anerkennen und uns der Verantwortung gegenüber historischem Unrecht stellen“, kommentiert Städel Direktor Philipp Demandt.
„Max Beckmanns Eisgang ist eines jener Gemälde, die beim Frankfurter Publikum besonders beliebt sind und die Identität der Städelschen Sammlung maßgeblich prägen. Umso glücklicher bin ich, dass es uns gelungen ist, den Verbleib des Gemäldes in Frankfurt zu erreichen, dessen Erwerb schon 1994 nur durch den Städelschen Museums-Verein ermöglicht werden konnte“, so Sylvia von Metzler, die Vorsitzende des Städelschen Museums-Vereins.
Die 47,5 auf 59,5 cm große Leinwand ist eine der mehr als ein Dutzend Stadtansichten in Öl aus der Frankfurter Zeit von Max Beckmann. 17 Jahre seines Lebens verbrachte der bedeutende Expressionist in der Stadt. Mit dem Städel Direktor Georg Swarzenski verband ihn eine enge Freundschaft. Bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten im April 1933 hatte Beckmann eine Professur an der Städelschule inne. Sein Gemälde Eisgang zeigt das charakteristische Mainpanorama Frankfurts. An einem stillen Wintermorgen geht der Blick von der Untermainbrücke flussaufwärts auf die Altstadt mit dem Dom St. Bartholomäus, dem Eisernen Steg und rechts dem Ufer der Sachsenhäuser Seite. Die Ansicht war Beckmann sehr vertraut – der Weg von seiner Wohnung in der Schweizer Straße zur Innenstadt führte über die Brücke. Es ist keine topografisch exakte Ansicht: Beckmanns ganze Aufmerksamkeit gilt dem Fluss, der wie ein dunkles Band zwischen den beiden Ufern liegt. Auf dem Main treiben große Eisschollen, wodurch die dynamische Bewegung des Flusses akzentuiert wird. Das kalte Licht eines Sichelmondes betont die in kühlen Farben wiedergegebene Szenerie. Die kahlen Bäume und zwei vermummte Gestalten auf Fahrrädern am Sachsenhäuser Ufer unterstreichen die melancholische Grundstimmung der nächtlich-geheimnisvollen Darstellung. Beckmanns Pessimismus gegenüber einer oftmals als kalt und gefühllos empfundenen Moderne kommt darin beispielshaft zum Ausdruck. Über das Werk, das zu den seltenen Winterbildern in Beckmanns Œuvre zählt, schrieb der Redakteur Benno Reifenberg 1924 anlässlich einer Ausstellung im Frankfurter Kunstverein in der Frankfurter Zeitung:
„Die Stadt duckt sich; als ob sie fröre, als ob sie sich fürchte vor der Gewalt des Flusses, als ob sie sich ineinanderziehe unter dem kalten, unerbittlich grauen Himmel. […] Den dunklen Strom hinab gleiten die Eisschollen. Wie seltsame Fische mit breiten Rücken, spitzen Schnauzen. Sie quellen aus dem Mainbogen. Stumm ziehen sie, gewaltiger Schub aus der Ferne, an der Stadt vorüber. Kaum dass sie den rötlichen Kai streifen. Mit bösem Knirschen.“
Seit 2011 wird das Gemälde, das 1964 auf der Documenta III gezeigt wurde, auf der Liste national wertvollen Kulturgutes geführt. Heute beherbergt das Städel Museum insgesamt fünfzehn Gemälde, zwei Skulpturen und zahlreiche Zeichnungen und Druckgrafiken von Max Beckmann. Das für Frankfurt so signifikante Gemälde Eisgang ist fester Bestandteil der dauerhaften Sammlungspräsentation in einem eigens eingerichteten Beckmann-Saal.
Der Eisgang stammt aus der Privatsammlung des jüdischen Textilfabrikanten Fritz Neuberger (1877–1943), der es vor 1928 direkt vom Künstler erwarb und in dessen Besitz es bis mindestens Dezember 1931 nachzuweisen ist. Hier bricht die bisher vorliegende faktische Dokumentation zur Provenienz des Gemäldes ab. Erst in der Nachkriegszeit tauchte das Gemälde 1952 in Frankfurter Privatbesitz wieder auf, von wo aus es 1953 über eine Galerie an einen Privatsammler verkauft wurde, von dessen Erben der Städelsche Museums-Verein das Bild 1994 erwarb. Der Verein erwarb das Bild in gutem Glauben mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder, der Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung und breiter Unterstützung aus den Reihen seiner Mitglieder und der Frankfurter Bürgerschaft.
Nach heutigem Forschungsstand besteht für den Eisgang eine Provenienzlücke von ca. 20 Jahren, welche die NS-Zeit mit einschließt. Die Recherchen des Städel ergaben jedoch, dass das Gemälde Fritz Neuberger mit großer Wahrscheinlichkeit während der NS-Zeit abhandengekommen ist. Das Ehepaar Neuberger wurde im Sommer 1941 aus seiner Wohnung im Frankfurter Westend vertrieben, nach einem Zwischenaufenthalt im sogenannten Ghettohaus in der Gaußstrasse 14 1942 nach Ostpolen deportiert und vermutlich im Vernichtungslager Majdanek ermordet. Das Ehepaar hinterließ einen Sohn, der den Holocaust überlebte, weil seine Eltern ihn 1939 mit einem internationalen Hilfswerk nach England schicken konnten, von wo aus er ein Jahr später in die USA emigrierte. Wie die Recherchen des Städel rekonstruieren konnten, machte der Sohn der Neubergers bereits nach dem Krieg bis noch Mitte der 1980er Jahre in mehreren Anläufen bei unterschiedlichen Behörden den Verlust des Gemäldes geltend, ohne jedoch dessen Abhandenkommen konkret beweisen zu können und ohne Kenntnis über dessen damaligen Verbleib zu haben. Dabei erwähnte er unter anderem auch, dass sich das Gemälde seiner Erinnerung nach zum Zeitpunkt seiner Emigration im Jahr 1939 noch im Besitz der Eltern befand. Er verstarb 1997 im Alter von 75 Jahren. Im Zuge seiner eigenen Provenienzforschung hatte das Städel Museum nach möglichen Erben von Fritz Neuberger gesucht. Noch bevor es diese ausfindig machen konnte, wurde das Museum von den Bevollmächtigten der Erben angesprochen.
Bereits seit 2001 erforscht das Frankfurter Städel Museum – als eines der ersten deutschen Museen – systematisch die Herkunft aller Objekte, die während der NS-Zeit erworben wurden bzw. in diesem Zeitraum den Besitzer wechselten oder gewechselt haben könnten. Grundlage für diese Forschung bildet die 1998 auf der „Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust“ in Washington formulierte „Washingtoner Erklärung“ sowie die daran anschließende „Gemeinsame Erklärung“. Für jedes Objekt, das nach 1933 erworben wurde und vor 1945 datiert werden kann, wird versucht, eine möglichst lückenlose Provenienz nachzuweisen. Parallel zu diesem laufenden Projekt beschlossen die Administration und die Direktion des Städel Museums 2008, die Geschichte der Institution während des Nationalsozialismus in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Universität Hamburg durch ein unabhängiges Expertenteam aufarbeiten zu lassen. Die Forschungsergebnisse wurden 2011 in der Schriftenreihe der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ im Berliner Akademie-Verlag unter dem Titel Museum im Widerspruch publiziert.
Bisher konnte für elf Objekte aus den Gemälde- und Grafikbeständen des Städelschen Kunstinstituts und der Städtischen Galerie sowie fünf Objekte aus dem Bestand der Liebieghaus Skulpturensammlung ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nachgewiesen und diese restituiert bzw. zurückerworben werden.
Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.