Dramatisch und voller Leuchtkraft – so inszenierte Rembrandt vor fast 400 Jahren „ Die Blendung Simsons“. Nun werden die Pigmente des Gemäldes entschlüsselt: Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend!
Makro-Röntgenfluoreszenzanalyse, kurz MA-XRF. Das klingt erst einmal kryptisch. Gemeint ist eine hochmoderne Untersuchungsmethode, die uns unter die Oberfläche von Objekten schauen lässt. Seit 2019 arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fachbereichen Restaurierung, Kunstgeschichte und Physik zusammen, um Gemälde aus dem Städel Museum mit dem MA-XRF-Gerät M6 Jetstream in einem groß angelegten Forschungsprojekt zu untersuchen.
Bereits 2016 wurden im Städel Museum Teile des Altenberger Altars mit dem MA-XRF-Gerät durchleuchtet und brachten neue Erkenntnisse zum ursprünglichen Bildprogramm hervor. Im März 2021 wurde kurzerhand der Rembrandt-Saal zum Untersuchungsraum umfunktioniert: Hier wird nun ausgerahmt eines der Hauptwerke des Museums, Die Blendung Simsons mit dem M6 Jetstream gescannt. Um das monumentale Werk zu erfassen, werden insgesamt 17 Scans durchgeführt. Jeder einzelne dauert 21 Stunden!
Seit Jahrzehnten werden Rembrandts Werke nicht nur kunsthistorisch, sondern auch gemäldetechnologisch umfangreich erforscht – wie etwa kürzlich in der Operation Nachtwache im Amsterdamer Rijksmuseum. Bei der MA-XRF-Analyse werden in der Bildschicht des untersuchten Gemäldes kurzfristig Elektronenübergänge angeregt. Dabei entsteht Energie, die ein Detektor registriert. Sie ist für jedes chemische Element charakteristisch. Ausgewertet geben diese Messungen Auskunft darüber, in welchem Maße etwa Blei, Kupfer oder Quecksilber – typische Elemente in historischen Pigmenten – enthalten sind. Ihre Verteilung wird in sogenannten Element-Maps sichtbar gemacht: Je heller das Grau in den Maps erscheint, desto größer ist der Anteil des jeweiligen Elements. Die MA-XRF-Analyse liefert damit Einblicke in die chemische Farbzusammensetzung und den Farbauftrag im Malprozess, die weder mit bloßem Auge noch mit konventionellen Röntgen- oder Infrarotaufnahmen gewonnen werden können. Ein weiterer großer und wichtiger Vorteil der Methode: Sie ist vollkommen zerstörungsfrei, ganz im Gegensatz zu anderen Techniken, wo zur Untersuchung Proben entnommen werden müssen. Wie spannend die Befunde für Rembrandts Blendung Simsons ausfallen dürften, lässt schon der erste Detailscan erahnen.
Im Fokus des ersten Detailscans steht der Mann mit der Lanze im linken Vordergrund des Bildes – eine Figur, die auch aus kunsthistorischer Perspektive hochinteressant ist. Neben der dramatischen Zuspitzung des Geschehens und der emotionalen Charakterisierung der Figuren war die raffinierte Lichtregie schon früh das künstlerische Markenzeichen, mit dem Rembrandt sich auf dem Amsterdamer Kunstmarkt der 1630er-Jahre behauptete.
Hell von hinten erleuchtet, tritt der Mann mit der Lanze aus dem Schatten des Vordergrunds der Bledung Simsons hervor. Er schirmt das gleißende Gegenlicht, das Rembrandt wie einen Scheinwerfer auf den gewaltsamen Überfall und den brutalen Moment des Augenausstechens gerichtet hat, nach vorne hin ab. Sein rotschwarzes Gewand besteht aus bauschigen Ärmeln, einer Pluderhose und einer Weste, um die ein Leopardenfell samt Tatze geknotet ist. Die haptische Gestaltung der orientalisierten Kleidung speist sich aus einer Faszination für luxuriöse importierte Materialien wie Seide, aber auch aus tradierten Klischees, mit denen zu Rembrandts Zeit sowohl populäre Feindbilder reproduziert als auch Vorstellungen vom Altertum vermittelt wurden.
Welchen Aufwand Rembrandt betrieben hat, um die Farben des Kostüms zum Schimmern zu bringen, zeigt sich bis in die Pigmente. Das chemische Element Quecksilber etwa ist einzig in dem Rotpigment Zinnober, einem besonders leuchtstarken Rotton, enthalten.
Die Element-Map beweist, dass Rembrandt das kräftige Zinnoberrot sowohl in Ausmischung zur Farbanlage als auch ganz gezielt ungemischt für die Lichtakzente des Ärmelstoffes einsetzte. Letztere schuf er durch den schnellen Auftrag einzelner Pinselstriche und charakterisierte das Material dadurch gekonnt als einen glänzenden Stoff, vermutlich Seide.
Die Verteilung von Kupfer offenbart, verglichen mit der von Quecksilber, an derselben Stelle einen gravierenden Unterschied: Die blaue Anlage des Hintergrundes mit einem kupferhaltigen Blaupigment sparte ursprünglich nicht den bauschigen Ärmel aus, sondern nur die Form des Armes. Die über dem blauen Hintergrund gemalte zinnoberrote Farbschicht konnte die unterliegenden Kupfersignale nicht völlig abschirmen, sodass die blaue Schicht durch die MA-XRF-Analyse sichtbar gemacht werden kann. Die Untersuchung bestätigt: Der Krieger sollte nicht von Beginn an die Kleidung tragen, die Rembrandt ihm schlussendlich gab.
In der Kupfer-Map werden im Ärmel jedoch auch Bereiche sichtbar, die sich wie feine schwarze Stege durch den sonst hell erscheinenden Bereich ziehen. Hier scheinen auf den ersten Blick keine Kupfersignale vorzukommen, doch das ergibt wenig Sinn. Eine Lösung für diese Ungereimtheit bildet die Verteilung des Elements Blei.
Bleiweiß ist bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das historische Weißpigment überhaupt. Da Blei sehr schwer ist, kann es unterliegende Signale leichterer Elemente wie z. B. Kupfer dämpfen. Im Ärmel wurde es zur Ausmischung von Lichtstegen eingesetzt und lässt daher diese Bereiche in der Kupferverteilung schwarz erscheinen.
Dieses kleine Detail auf dem großen Gemälde legt schon viel von Rembrandts Arbeitsweise offen, dem Auftrag der Farben und den Umarbeitungen im Malprozess. Eine detaillierte Datenauswertung wird zurzeit durchgeführt und wird wegen der Größe des Gemäldes noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Ergebnisse werden im Rahmenprogramm der Rembrandt-Ausstellung ab Herbst 2021 präsentiert.
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