Kann Kunst komisch sein? Oder ist Kunst immer ernst? Wo verortet man in diesem Kontext die „One Minute Sculptures” Erwin Wurms? Bis zum 13. Juli 2014 haben die Besucher die Möglichkeit in der Städel Sammlung und im Städel Garten sowie zu Hause oder an ausgesuchten Stellen in der Frankfurter Innenstadt den Handlungsanweisungen Erwin Wurms zu folgen und selbst zum Kunstwerk zu werden.
„Auf die Latte legen – kein Teil berührt das Podest.“ Diese Anweisung von Erwin Wurm (*1954) klingt simpel, doch ihre Ausführung ist es ganz und gar nicht. Der Künstler hat es selbst probiert und sich dabei gefilmt. 1997 bildet dieses Video den Auftakt zu seinen „One Minute Sculptures“, die der Idee folgen, eine bestimmte Position einzunehmen und 60 Sekunden lang zu halten. Man sieht Wurm zu, wie er sich abmüht, um seinen Körper seitlich auf einer Latte zu platzieren. Beständig variiert er seine Position, muss sich immer wieder abstützen, die Muskeln zittern. Nach diversen Anläufen ist Wurm endlich am Ziel: kein Kontakt mehr zum Boden. Doch sobald es scheint, als habe der Künstler den schmalen Grat des Gleichgewichts gefunden, kippt er zur Seite und landet wie ein Käfer auf dem Rücken.
Solche Versuche, eine „One Minute Sculpture“ umzusetzen, sind anstrengend und scheinbar sinnfrei. Der Erfolg ist nur kurz und stets gefolgt von einem erneuten Scheitern. Das kann Verzweiflung auslösen, aber es kann auch zum Lachen anregen. Wie kommt es zustande, dass manche „One Minute Sculptures“ komisch wirken? Der Humor in den Arbeiten Wurms beruht hauptsächlich auf Absurdität. Der Künstler konfrontiert den Betrachter mit ungewöhnlichen, stark von der Norm abweichenden Situationen. Wenn jemand seinen Kopf in einen Mülleimer oder eine Mauer steckt, steht das dem alltäglichen Erleben verstörend entgegen. Die Handlungsanweisungen Wurms dienen allerdings nicht primär der Unterhaltung oder Belustigung des Betrachters. Sie behandeln Alltagsprobleme: Wie stelle ich mich in der Öffentlichkeit dar? Wie sehen mich die anderen? Wofür schäme ich mich? Welche Wirkung hat meine Körperhaltung auf mich und andere? Die Themen in Wurms Arbeiten sind universell, sie gehen alle an. Die Leichtigkeit, die durch die Formreduzierung und den materiellen Minimalismus der Werke erreicht wird, öffnet die Kunst für den Betrachter. Eine vermeintlich einfache Körperübung birgt in sich Grundsätzliches, vielleicht auch Abgründiges. Aus diesen Gegensätzen zwischen Form und Inhalt entsteht bisweilen eine skurrile Komik.
Mit der Body Art und dem Wiener Aktionismus wird in den 1960er Jahren der menschliche Körper zum künstlerischen Medium. So lässt sich Künstler Peter Weibel 1968 als Hund von seiner Partnerin Valie Export durch die Wiener Innenstadt führen. Wurm bezieht sich auf diese Arbeit, wenn er den Betrachter bereits vor dem Eingang des Städel auffordert „Einmal Hund (zu) sein“. Auch die Umfunktionalisierung von Alltagsobjekten, die in der Aktionskunst häufig vorgenommen wird, greift Wurm auf. Für seine Arbeit „An die Verdauung denken” setzt er eine Flasche WC-Ente ein: Der Betrachter soll den Kopf mit der einen Seite auf einem Sockel ablegen und mit der anderen Seite das Reinigungsmittel balancieren.
Wurm verändert das Museum: Besucher werden zu Akteuren; Objekte, die man eher in einer Putzkammer vermuten würde, finden Eingang in die Kunstwelt. Gegenstände werden zweckentfremdet, der menschliche Körper wird zum Balanceobjekt. Dadurch entstehen Bedeutungsverschiebungen, die einen nicht nur verwirren, sondern in letzter Konsequenz eben auch schmunzeln lassen. Das neue Rollenverständnis im Musentempel ist befremdlich und zugleich äußerst befreiend. Indem Wurm Alltagsobjekte entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung verwendet, tun sich ungeahnte Gebrauchsebenen auf.
1905 widmet sich Sigmund Freud dem Phänomen der Komik: Er sieht die kindliche „Lust am Unsinn“ als wesentliches Charakteristikum des Witzes an. Der Witz bietet laut Freud einen Ausbruch aus gesellschaftlicher Reglementierung. Durch seine Widersinnigkeit ermögliche er eine Rückkehr zu kindlicher Gedankenfreiheit. Die Rebellion gegen die Vernunft und Logik prägt auch Wurms „One Minute Sculptures“. In „Sigmund Freud modern“ nimmt der Künstler sogar direkt Bezug auf den Begründer der Psychoanalyse und seine berühmte Couch: Der Ausstellungsbesucher wird aufgefordert seinen Körper auf den Lehnen von zwei Barcelona-Sesseln im Gleichgewicht zu halten. Bequem ist das nicht.
Während die Bildende Kunst traditionell eine visuelle Auseinandersetzung voraussetzt, kommt bei Wurm Körper und Geist zum Einsatz. Wurm bindet den Besucher aktiv in seine Arbeiten ein und fordert somit eine besonders intensive Teilnahme an der Ausstellung. Neben Spontanität braucht es dazu noch eine ganze Menge Mut, die gelernten Verhaltensweisen im Museum abzulegen und vor aller Augen zu Kunst zu werden. Grenzen werden überschritten, man muss über sich selbst lachen können. Die Sache ernst zu nehmen, aber sich selbst locker zu machen – das ist eine große Herausforderung und gleichzeitig die Bedingung, um in die Kunst Erwin Wurms einzutauchen. Durch den Humor ermöglicht der Künstler einen direkten und emotionalen Zugang zu seinen Werken. Dahinter verbirgt sich die Tragik menschlichen Scheiterns, körperlicher Schmerz und die Vergänglichkeit des Augenblicks. Mit tiefgründigem Humor eröffnen die „One Minute Sculptures“ neue Bedeutungsebenen und führen eindrücklich vor Augen: Komik und Ernst liegen nah beieinander – in jeder Minute.
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