Kein Holz gleicht dem anderen – und genau das reizte die drei „Brücke“-Künstler Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff. Sie machten in ihren Holzschnitten und -skulpturen das Zufällige zum Programm.
Kein Material ist mit der Kunst des deutschen Expressionismus stärker verbunden als Holz. Und nichts ist so sehr „Brücke“ wie der Holzschnitt. Bei der Drucktechnik des Holzschnitts schneidet der Künstler die Darstellung – wie bei einem Relief – in eine schmale Holzplatte. Die Bildidee vermittelt sich entsprechend als Abdruck einer gleichsam bildhauerischen Tätigkeit. Es verwundert daher nicht, dass sich etwa gleichzeitig und auffällig eng mit dem Holzschnitt verbunden die drei „Brücke“-Mitbegründer Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Erich Heckel (1883–1970) und Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) auch der Holzskulptur zuwandten. Um diese drei Künstler und ihren besonderen Umgang mit dem Material Holz dreht sich die aktuelle Ausstellung Geheimnis der Materie.
Schon die Wahl dieses natürlich gewachsenen Materials war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine kleine Revolution. Denn just das, was frühere Künstlergenerationen zurechtgeschnitten, glattpoliert oder überfasst hatten, reizte die drei ‚Rebellen‘: Maserung, Sprünge, Risse, Unebenheiten, auch die unregelmäßig gewachsene Form. All dieses Zufällige der Natur wurde nun in die Gestaltung einbezogen. Es wurde zum künstlerischen Programm.
Seinen Anfang nahm diese Entwicklung in Dresden, an der Technischen Universität. Dort lernten sich die gleichgesinnten Architekturstudenten Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff kennen und gründeten im Juni 1905 mit dem Kommilitonen Fritz Bleyl die heute weltbekannte Künstlergruppe „Brücke“. In Holz hatten sie alle schon als Schüler geschnitten – nun wurde es Ausdruck ihres künstlerischen und weltanschaulichen Verlangens. Sie waren darin vorgeprägt vom Jugendstil und der Arts-and-Crafts-Bewegung: Schon deren Anhänger hatten die Abkehr von einem industriell überformten Lebensraum und die Rückkehr zum Natürlichen und Hand-Werklichen gefordert. Auch Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff suchten nach authentischen Kunstformen und ursprünglichen Lebenserfahrungen. Sie richteten ihren Blick auf vorindustrielle Lebenskulturen innerhalb und außerhalb Europas – und auf das Naturmaterial Holz.
Dem Holzschnitt kam dabei eine besondere Bedeutung zu. Kirchner schnitt bereits 1906 das Programm der „Brücke“ in Holz. Eine der ersten Ausstellungen der Künstlergruppe zeigte ausschließlich Holzschnitte. Überhaupt wurde der Holzschnitt zum wichtigsten Medium ihrer Werbe- und Ausstellungsgrafik. Doch auch noch lange nachdem sich die Künstlergruppe 1913 aufgelöst hatte, blieb der Holzschnitt eines der wichtigsten druckgrafischen Medien im Schaffen von Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff.
Über die bewusste Arbeit mit dem Material entwickelten die drei Künstler seit 1905 eine eigene, entschieden moderne Formensprache: Sie schnitten meist ohne präzise Vorzeichnung mit dem Messer oder anderem Schneidewerkzeug ins Holz. Die Spuren des Arbeitsprozesses ließen sie bewusst als Teil des Kunstwerks sichtbar. Noch vehementer als Munch oder vor ihnen Gauguin integrierten sie die Maserung, Astlöcher oder den unregelmäßigen Wuchs des Holzes in ihre Gestaltung. Die Härte des Materials verlangte ihnen dabei eine große Formvereinfachung ab. Gerade die frühen, vom Jugendstil gelösten Holzschnitte prägt daher etwas scheinbar Dilettantisch-unbeholfenes. Sie treten mit dem Betrachter in keinen gepflegten Dialog, sondern schockieren ihn in ihrer Unmittelbarkeit, in ihrer unbändigen Ausdrucksstärke.
Im Dialog mit den unterschiedlichen Holzarten, deren Besonderheiten die Künstler genau registrierten, entstanden um 1906 auch die ersten Holzskulpturen. Formal und inhaltlich stehen sie in enger Beziehung mit den Druckgrafiken. Hier wie dort „schälten“ die Künstler aus der natürlich gewachsenen, zufälligen Form der Stämme ihre Figuren „heraus“ (Kirchner). Die Oberflächen wurden nicht poliert; selbst bei farbiger Fassung bleibt der ‚schöpferische Fingerabdruck‘ und das Material deutlich erkennbar. Auf der Spur nach dem „Geheimnis der Materie“ (Rosa Schapire) lassen die Künstler das Holz ‚mitsprechen‘.
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