Navigation menu

Den Schrecken zum Leben erwecken – Schwarze Romantik im Horrorfilm

In der „Schwarzen Romantik“ sind neben Gemälden, Skulpturen und Zeichnungen auch Klassiker des Horrorfilms zu entdecken, denn auch die Filme „Frankenstein“, „Nosferatu“ oder „Dracula“ vermögen es, beim Betrachter nicht nur Unbehagen, sondern einen angenehmen Schauer hervorzurufen. Stefanie Plappert vom Deutschen Filmmuseum führt in die Welt des frühen Horrorfilms ein und zeigt auf, welche Einflüsse die bildenden Künste auf die filmischen Werke hatten.

Stefanie Plappert — 15. November 2012
Friedrich Wilhelm Murnau (1888–1931), Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, Deutschland 1922, Filmstill, Stummfilm, schwarz-weiß / viragiert, deutsche Zwischentitel, © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Filmstill aus dem Film Nosferatu (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau, © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

So erschreckend den Zeitgenossen Goyas gesellschaftkritischer Zyklus „Los Caprichos“ vorgekommen sein muss, so unerhört Füsslis Gemälde „Der Nachtmahr“, so unbehaglich Carl Friedrich Lessings „Felsenlandschaft: Schlucht mit Ruinen“: derartige Motive, eigentlich dazu angetan vielleicht unbewusstes, doch tief empfundenes Unbehagen beim Betrachtender hervorzurufen, übten immer auch einen subtilen Reiz, einen angenehmen Schauer, aus. Im 18. und 19. Jahrhundert stellten die avantgardistischen Strömungen in der bildenden Kunst schöne Leichen, alptraumhafte Empfindungen und übersinnliche Geschehnisse in den Mittelpunkt, im 20. Jahrhundert fanden diese Themen dann zunehmend im neuen Medium Film ihren Ausdruck.

1895, dem gleichen Jahr, in dem die Brüder Lumière ihren „Cinématographe“ der Welt vorstellten, publizierten Sigmund Freud und Joseph Breuer ihre bahnbrechenden „Studien über Hysterie“: Das Kino und die Psychoanalyse entstanden nahezu gleichzeitig. Künstler und Naturwissenschaftler teilten die frühe Faszination am bewegten Bild; Gleiches gilt für die Psychoanalyse, die das Interesse am Unbewussten, Unkontrollierten, Alptraumhaften und Unerklärlichen in wissenschaftliche Bahnen lenkte. Im jungen Medium Film verschmolzen auf diese Weise schwarzromantische Themen mit ihrer modernen Repräsentations- und Darstellungsform.

Die Pioniere der bewegten „lebenden“ Bilder experimentierten nicht nur mit technischen Möglichkeiten, sondern auch mit inhaltlichen Inspirationen aus dem Bereich der klassischen Künste wie der Literatur. Sie fanden rasch die heute nicht minder  aktuellen Texte von Mary Shelley und Bram Stoker, die die Grundlagen der ersten Horrorfilme bildeten. „Frankenstein“ (1818) wurde bereits 1910 von J. Searle Dawley das erste Mal verfilmt, das erste Drehbuch für „Dracula“ (1897) schrieben der deutsche Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau und sein Drehbuchautor Henrik Galeen. Ihre nichtautorisierte Adaption des Stoffes, verfilmt als „Nosferatu“  (1922), übernahm die Grundhandlung von „Dracula“ und einige Motive, änderte jedoch die Namen der Figuren in verfremdender Absicht. Der Vampir heißt im Film Graf Orlok; mit seinen Rattenzähnen, den spitzen Ohren, und in der dürren Gestalt von Max Schreck ist ein Unikat: ikonografisch irgendwo zwischen Tod und Teufel angesiedelt, blieb er der untypischste Graf Dracula der Geschichte. In der US-amerikanischen Erstverfilmung von Tod Browning, „Dracula“  (1931) verkörpert der ungarische Schauspieler Bela Lugosi den Vampir. Als attraktiver Verführer in Smoking und Fliege, als Herr über ein verfallenes Schloss in der Wildnis Transsilvaniens sowie über drei Töchter (schöne Wiedergängerinnen mit unstillbarem Blutdurst) setzte er die bis heute gültigen visuellen Standards für Dracula.

Ästhetik und Atmosphäre für alle folgenden Vampirfilmgenerationen prägten jedoch Murnau und sein dem Okkultismus zugeneigter Szenenbildner Albin Grau: Der zahnförmige Burgturm in Nosferatu, die Anfahrt der herrenlosen Kutsche auf das Schloss, die aufgebahrte Frau, die sich dem Blutsauger anbietet, das Geisterschiff mit geblähten Segeln und der Pest an Bord. Der Filmtheoretiker Belá Balázs urteilte, Murnau erzeuge „Naturbilder, in denen ein kalter Luftzug aus dem Jenseits weht.“ Diese Filmbilder erinnern nicht zuletzt an Werke der Malerei, wie etwa an Lessings „Felsenlandschaft: Schlucht mit Ruinen“, an Delaroches „Die Frau des Künstlers“ und an Caspar David Friedrichs „Schiff auf hoher See mit vollen Segeln“, deren visuelle Einflüsse auf die frühe Horror-Filmkunst damit anschaulich nachvollziehbar werden. Im selben Jahr wie „Dracula“ entstand mit James Whales „Frankenstein“ ein weiterer Klassiker des Horrorfilms. Indem er – gottgleich – ein Lebewesen erschaffen will, manövriert sich Viktor Frankenstein in einen Alptraum hinein, zu dessen Bebilderung sich Regisseur Whale auf starke Vorlagen bezieht: der kantige, mechanische Kopf des Monsters erinnert an eine Figur in Goyas Blatt „Los Chinchillas“, die vom Monster niedergestreckte Braut an Füsslis Nachtmahr.

Die Akteure erleben Alpträume – Freud hatte sie Jahre zuvor gedeutet –, die die Filmemacherinnen und Filmemacher versuchen in Bilder zu fassen. So auch Alfred Hitchcock in „Spellbound“ (Ich kämpfe um dich, USA 1945), in dem Salvador Dalís Szenenbild surreale Traumbilder evoziert, deren offenbare Bodenlosigkeit die Orientierungslosigkeit des Protagonisten auf das Publikum übertragen. In der Begegnung mit dem eigenen Unterbewusstsein, den eigenen Träumen und Ängsten manifestiert sich ein großer Teil des Schreckens, der den ungebrochenen Reiz von Horrorfilmen damals wie  heute ausmacht.


Stefanie Plappert, Deutsches Filmmuseum

Übrigens ist die Ausstellung zur Schwarzen Romantik derzeit nicht die einzige Möglichkeit Kinofilme in der ungewohnten Umgebung des Museums zu sehen. Am Freitag, 8. Dezember findet ab 19.30 im Städel Museum die Filmnacht „Großes Kino“ statt, die gemeinsam mit dem Deutschen Filminstitut organisiert wird. Zum kompletten Programm gelangen Sie hier.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Alfred Kubin; Friedhofsmauer, um 1902; Tusche, laviert, auf Papier; 24,8 x 18,2 cm; Oberösterreichisches Landesmuseum, Linz
    „Schwarze Romantik“

    Die Bilderwelten des Alfred Kubin

    Betrachtet man ein Porträt des Künstlers Alfred Kubin, so erblickt man ein  gespenstisches Antlitz: Blässlich, kindlich, lächelnd und trotzdem melancholisch. Ein „greisenhaftes Kindergesicht“, wie Thomas Mann schrieb. 1898 ging der Grafiker, Illustrator und Schriftsteller Kubin nach München und unter dem Einfluss der dortigen Bohème schuf er Fluten verstörender Werke, die in der „Schwarzen Romantik“ natürlich nicht fehlen dürfen.

  • Salvador Dalí; Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Erwachen; 1944; Öl auf Holz, 51 × 41 cm; Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid; © VG Bild-Kunst, Bonn 2013
    Bild des Monats

    Der kleine Dalí mit dem großen Titel

    Wenn sich eine Ausstellung den Nachtseiten der Romantik zuwendet, ist mit wenig Licht zu rechnen. Und bricht doch der Tag herein, dann zeigt sich dieser nicht minder unheilvoll. Das taghellste Bild in der Ausstellung „Schwarze Romantik“ stammt von Salvador Dalí. In seinem Gemälde zeigt der Skandalkünstler, wie ein surrendes Insekt einen Traum auslösen kann und wie Traum und Wirklichkeit miteinander verwoben sind. Es trägt einen Titel, der für unseren Teaser schlicht zu lang ist. Deshalb sei nur so viel gesagt: (Alb-)Träume können einen spannenden und rätselhaften Einblick in die Abgründe des Menschen geben.

  • Arnold Böcklin; Villa am Meer; 1871-1874; Öl auf Leinwand; 108 x 154 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main
    Bild des Monats

    „Villa am Meer“ von Arnold Böcklin

    Als letzten Spross eines alten ruhmreichen Geschlechts – so beschrieb der Maler Arnold Böcklin seine einsame Figur am Strand des Gemäldes „Villa am Meer“, unserem Bild des Monats Dezember. Sie trauere um ihren Gatten, der in der Ferne verschollen sei. Auch der prächtige Familiensitz und die sich im Seewind beugenden Trauerzypressen sind im Inferno der mediterranen Abendsonne dem Untergang geweiht. Währenddessen schlägt das fast bewegungslose Meer nur flach gegen den Strand. Hier steht die schwarzgekleidete Frau still und verlassen und mit nach innen gerichteten Blick.

  • Verbindung

    Romantisches Frankfurt

    So gegensätzlich die Großstadt Frankfurt am Main und die Epoche der Romantik auf den ersten Blick erscheinen, so gibt es doch vielfältige Verbindungen zwischen der pulsierenden Bankenmetropole und der kulturgeschichtlichen Epoche des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Mareike Hennig vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain erläutert diese Verzweigungen, die sich nicht nur in der „Schwarzen Romantik“ wiederfinden lassen, sondern in Frankfurt RheinMain im kommenden Jahr auch in zahlreichen stattfindenden Literatur- und Musikveranstaltungen, Symposien und Exkursionen.

  • Bild des Monats

    Ernst Ferdinand Oehmes „Prozession im Nebel“

    Zwischen bildgewordenen Albträumen und furchterregenden Satansvisionen bilden Landschaften den vermeintlichen Ruhepol der Ausstellung „Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst“. Ein Trugschluss. Das Adrenalin sinkt ab, aber der Pulsschlag bleibt. Mit seiner „Prozession im Nebel“ schuf Ernst Ferdinand Oehme ein Landschaftsbild, das keiner Schauerwesen bedarf, um Beklemmung und Unbehagen zu erzeugen – ein wahrer Landschaftsthriller. Subtil bemächtigt sich seine atmosphärische Stimmung unseres Gemüts, sie macht uns bange und hinterlässt ein Gefühl der Ungewissheit. Aber ein Hoffnungsschimmer bleibt. Unser Bild des Monats zeigt, wie düster die romantische Natur sein kann.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Städel | Frauen

    Marie Held: Kunsthändlerin!

    Teil 5 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • Fantasie & Leidenschaft

    Eine Spurensuche

    Bei der Untersuchung von über 100 italienischen Barockzeichnungen kamen in der Graphischen Sammlung bislang verborgene Details ans Licht.

  • Städel Mixtape

    Kann man Kunst hören?

    Musikjournalistin und Moderatorin Liz Remter spricht über Ihre Arbeit und den Entstehungsprozess des Podcasts.

  • Städel | Frauen

    Künstlerinnen-Netzwerke in der Moderne

    Kuratorin Eva-Maria Höllerer verdeutlicht, wie wichtig Netzwerke für die Lebens- und Karrierewege von Künstlerinnen um 1900 waren und beleuchtet deren Unterstützungsgemeinschaften.

  • Muntean/Rosenblum

    Nicht-Orte

    Anonyme Räume, flüchtige Begegnungen: Kuratorin Svenja Grosser erklärt, was es mit Nicht-Orten auf sich hat.

  • Städel Mixtape

    #42 Albrecht Dürer - Rhinocerus (Das Rhinozeros), 1515

    Ein Kunstwerk – ein Soundtrack: Der Podcast von Städel Museum und ByteFM.

  • Alte Meister

    Sammler, Stifter, Vorbild

    Sammlungsleiter Bastian Eclercy und Jochen Sander im Interview zum neuen Stifter-Saal.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Städel Dach

    Hoch hinaus

    Die Architekten Michael Schumacher und Kai Otto sprechen über Konzept, Inspirationen und die Bedeutung des Städel Dachs für Besucher und die Stadt.

  • Gastkommentar

    Kunst und die innere Uhr mit Chronobiologe Manuel Spitschan

    Was sieht ein Chronobiologe in den Werken der Städel Sammlung?

  • Städel Digital

    Städel Universe: Von der Idee zum Game

    Im Interview gibt Antje Lindner aus dem Projektteam Einblicke in die Entstehung der hybriden Anwendung.

  • Engagement

    Die „Causa Städel“

    Was an Städels letztem Willen so besonders war und worauf man heute achten sollte, wenn man gemeinnützig vererben möchte.