Altkanzler Helmut Schmidt und Bundeskanzlerin Angela Merkel mögen sich politisch manche Kontroverse liefern, aber in der Kunst sind sie durchaus bündnisfähig. Beide sind bekennende Emil Nolde-Fans. In unserer Nolde-Retrospektive dürfte sich manches Bild finden, das die beiden zum unterhaltsamen Austausch jenseits der Politik anregen könnte. Unser Blogbeitrag fragt nach den Hintergründen von Noldes Popularität unter deutschen Spitzenpolitikern.
Wenn Angela Merkel ihre Mitarbeiter zur morgendlichen Besprechungsrunde ins Kanzleramt lädt, thront über den Köpfen der Versammlung das Gemälde einer idyllischen Gartenlandschaft: Emil Noldes „Blumengarten A (Thersens Haus)“ von 1915 ist eines von zwei Nolde-Bildern, die im Büro der Bundeskanzlerin hängen. Ihre Sofaecke, an der mitunter auch Staatsgäste zum Kaffeekränzchen Platz nehmen, krönt das Meeresbild „Brecher“ von 1936. Merkel hat sich die Leihgaben aus der Berliner Neuen Nationalgalerie persönlich für ihr Arbeitszimmer herausgesucht. Emil Nolde ist ihr Lieblingsmaler. Dass sie eine echte Nolde-Verehrerin sein muss, zeigt auch ihre Urlaubslektüre: Wenn Merkel Pause von der Politik macht, reist schon mal Noldes Autobiografie „Mein Leben“ im Koffer mit.
Als Politikerin steht die Kanzlerin mit ihrer Vorliebe für den Künstler nicht allein da. Leihgaben aus der Nationalgalerie haben Tradition im Bundeskanzleramt. Helmut Schmidt, der privat mehrere Nolde-Werke besitzt, organisierte 1982 eine Nolde-Ausstellung im Bonner Kanzleramt. Vor seinem Büro ließ er sogar das Schild „Nolde-Zimmer“ anbringen. Als „kleine Wiedergutmachung“, wie der Altkanzler selbst sagt. Nolde, dessen Werk im Nationalsozialismus als entartet galt, stand lange Zeit für das Bild des leidgeprüften, mit „Malverbot“ belegten Künstlers. Vor diesem Hintergrund könnte man das Nolde-Faible vieler Politiker auch als Akt der Solidarisierung mit einem Verfemten deuten. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker gehört ebenfalls zu den bekennenden Nolde-Verehrern der Spitzenpolitik. Aber allein durch eine schicksalhafte Künstlerkarriere – deren Bild des ewig Verfolgten in der letzten Zeit deutlich relativiert wurde – kann die Popularität, die der Maler in Deutschland genießt, kaum erklärt werden.
In ihrer Sympathie für den Expressionisten scheinen Politiker ein Spiegelbild der Gesellschaft abzugeben, denn Nolde fasziniert ein großes Publikum. Nolde war und ist populär – ungeachtet seiner ambivalenten Rolle im Nationalsozialismus. Welches Rezept steckt hinter Noldes ungebrochener Popularität? Helmut Schmidt bewundert die „geniale Einfachheit“ seiner Arbeiten und „die Kühnheit [...], mit der Nolde die Farben gegeneinandersetzt“. Seine Vorliebe für den Künstler sieht der gebürtige Hamburger außerdem in der „flachen norddeutschen Landschaft“, die zu den bevorzugten Bildthemen des Malers aus Nordschleswig gehört. Auch die Kanzlerin ist ein Kind des Nordens und wurde wie Schmidt in Hamburg geboren. Beide verbindet eine norddeutsche, sich dem politischen Amt unterordnende Art des Auftretens – im Vergleich dazu erscheint Noldes farbgewaltiges Werk fast laut, derb und direkt. Eine Konfrontation mit dem hässlichen Gesicht des Alltags aber bleibt in seinen Bildern aus. Großstadtsumpf, menschliches Elend oder Zeichen von Industrialisierung, wie sie die jüngere Expressionisten-Generation um Ernst Ludwig Kirchner oder Erich Heckel ins Bild setzte, sind bei Nolde weitestgehend ausgeklammert.
Nolde entwirft Utopien, spricht Themen an, die der Zeit enthoben sind. Dazu gehören insbesondere die Landschaft seiner Nordschleswigschen Heimat, die Blumen und Gärten, das Meer in all seinen Facetten sowie seine Fantasiedarstellungen. Letztere sind nicht zuletzt auf seine Begeisterung für Arnold Böcklin zurückzuführen und verdeutlichen, dass Nolde noch dem 19. Jahrhundert verhaftet ist. In seiner Bildkomposition zeigt er sich vergleichsweise konventionell: Seine Arbeiten sind vorwiegend von der Bildmitte aus konzipiert, Vorder-, Mittel- und Hintergrund lassen sich klar differenzieren. Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen bricht Nolde kaum mit den Sehgewohnheiten des Betrachters, sodass sein Werk eine gewisse Ruhe und Vertrautheit ausstrahlt. Hier liegt das Erfolgsrezept des Künstlers: Bei Verzicht auf Themen der Gegenwart hat sein expressionistischer Duktus einen modernen Anstrich und bedient damit das Interesse und Bedürfnis – insbesondere der Nachkriegsgeneration – nach avantgardistischer Kunst.
Die Darstellung von Heimat, das Überzeitliche, Ursprüngliche und Gewachsene – dies sind Themen, die Noldes Malerei überaus konsensfähig machen. Sie haben sich als Teil der Marke „Nolde“ etabliert. Aber den Norddeutschen einen Heimatmaler zu nennen wäre eine verkürzte Darstellung seiner Person. Zahlreich sind die Motive, die er anderswo fand. Die Vorstellung vom einsiedlerischen Künstler ist Ergebnis einer Stilisierung, die der Maler nicht zuletzt selbst mit der Veröffentlichung seiner mehrbändigen Memoiren vorangetrieben hat. Denn Nolde löste sich häufig und gerne von der norddeutschen Heimatscholle. Regelmäßig hielt er sich in Metropolen wie Paris, Berlin oder Kopenhagen auf und reiste um die halbe Welt, etwa nach Russland oder Papua-Neuguinea. Auch heute ist der Weitgereiste noch häufig unterwegs: Er zählt zu den Exportschlagern unter den deutschen Expressionisten. Dazu hat mit Sicherheit auch das Engagement von Altkanzler Schmidt beigetragen, der sich 1980 für die Expressionisten-Ausstellung im New Yorker Guggenheim Museum stark machte, in der selbstverständlich auch Nolde nicht fehlte.
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