Navigation menu

Frankfurts berühmte Tochter

Vor 300 Jahren starb die Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian. Im Herbst widmet das Städel ihr eine Ausstellung. Kurator Martin Sonnabend über die außergewöhnliche Frankfurterin.

Martin Sonnabend — 12. Januar 2017

Maria Sibylla Merian (1647–1717) ist in Frankfurt am Main zur Welt gekommen, als Tochter des berühmten Buchdruckers und Verlegers Matthäus Merian des Älteren. Ihr Vater starb, als sie noch ein kleines Kind war. Die Mutter heiratete danach einen Maler, dessen Spezialität die Blumendarstellung war. Im 17. Jahrhundert war dies ein lukratives Geschäft: Blumen galten als Luxusgegenstände. Reiche Leute besaßen Gärten mit teuren, oft exotischen Arten, mit Tulpenzwiebeln konnte man an der Börse spekulieren. Blumengemälde oder -zeichnungen waren jedenfalls gefragt.

Die Blumenmalerin

Maria Sibylla erlernte als Heranwachsende in der Werkstatt ihres Stiefvaters die Blumenmalerei. Es war nicht ungewöhnlich, dass Mädchen aus Künstlerhaushalten nützliche berufliche Fähigkeiten erwarben: Man ging davon aus, dass sie damit später zum Einkommen ihrer Familie beitragen konnten. So war es auch hier. Maria Sibylla heiratete mit 18 Jahren den Maler Johann Andreas Graff, bekam ein Kind und zog mit ihrer Familie 1668 in die Heimatstadt ihres Mannes, nach Nürnberg. Dort schuf sie prachtvolle Blumenzeichnungen mit Deckfarben auf Pergament,  erteilte Damen der gehobenen Gesellschaft Zeichenunterricht und veröffentlichte ein Buch mit Blumenvorlagen, nach denen gezeichnet oder auch gestickt werden konnte.

Maria Sibylla Merian: Buschrose mit Miniermotte, Larve und Puppe, 1679, Aquarell auf Pergament, Städel Museum

Maria Sibylla Merian: Buschrose mit Miniermotte, Larve und Puppe, 1679, Aquarell auf Pergament, Städel Museum

Die Insektenforscherin

Aus der üblichen Praxis, schöne Blumendarstellungen mit Insekten, vor allem Schmetterlingen, zu schmücken, entwickelte Maria Sibylla Merian eine ganz eigene Beschäftigung. Schon  als Kind hatte sie die Metamorphosen von Raupen zu Schmetterlingen beobachtet. Irgendwann fing sie an, selbst Raupen zu sammeln und ihre Verwandlungen nicht nur zu beobachten, sondern auch akribisch über Jahre hinweg schriftlich und in Zeichnungen festzuhalten.

Die Ergebnisse dieser Forschung veröffentlichte sie 1679 in ihrem Raupenbuch. Darin zeigte sie auf 50 Tafeln die Stadien von Raupen, Puppen und Schmetterlingen zusammen mit der Nahrungspflanze des Insekts – und zwar exakt so, wie sie es beobachtet hatte. Ihre Darstellungen waren sowohl künstlerisch meisterhafte Kompositionen als auch innovative naturwissenschaftliche Forschung. Viele der Verwandlungen, die sie vorstellte, waren der Naturwissenschaft der Zeit völlig unbekannt, ebenso wie niemand zuvor die Symbiosen von Pflanzen und Insekten beschrieben hatte.

Eine Scheidung im 17. Jahrhundert

Das Raupenbuch machte Maria Sibylla deutschlandweit bekannt. Vielleicht war das einer der Gründe, dass die Ehe mit ihrem – weniger erfolgreichen – Mann brüchig wurde. Die Familie zog auf ihren Wunsch 1681 nach Frankfurt zurück. Ein paar Jahre später trat Maria Sibylla zusammen mit ihren inzwischen zwei Töchtern in eine fromme calvinistische Sekte ein. Deren Mitglieder lebten auf einem Schloss in Holland wie in einem Kloster zusammen. Ihrem Mann, der kein Calvinist war, wurde der Zugang verweigert: Nur Ehen unter Mitgliedern waren in der Gemeinschaft anerkannt, sodass er keine Ansprüche auf seine Frau und Kinder erheben konnte. Das war offensichtlich Maria Sibyllas Absicht – sie hätte sich damals auf andere Weise nicht legal scheiden lassen können.

Jacobus Houbraken nach Georg Gsell: Bildnis Maria Sibylla Merian, um 1717, Kupferstich, aus der ersten lateinischen Ausgabe von Maria Sibylla Merians "Raupenbuch", Amsterdam 1718, Städel Museum, Frankfurt am Main

Jacobus Houbraken nach Georg Gsell: Bildnis Maria Sibylla Merian, um 1717, Kupferstich, aus der ersten lateinischen Ausgabe von Maria Sibylla Merians "Raupenbuch", Amsterdam 1718, Städel Museum, Frankfurt am Main

Von Amsterdam nach Surinam

Nach fünf Jahren verließ Maria Sibylla Merian ihr calvinistisches „Kloster“ und zog mit den zwei Töchtern 1691 nach Amsterdam. Wahrscheinlich konnte sie wegen der Trennung von ihrem Mann nicht mehr so einfach in ihre Heimatstadt Frankfurt zurückkehren. Amsterdam war eine Weltstadt, in der bedeutende Künstler, aber auch prominente Naturwissenschaftler, wohnten. Mit ihrer Verbindung von Blumenmalerei und Naturforschung machte Maria Sibylla sich schnell einen Namen; sie konnte von ihren Blumenzeichnungen, aber auch vom Handel mit Mal- und Zeichenmaterialien leben und kam bald in Verbindung mit entsprechend interessierten Bürgern der Stadt.

Ein anderer Erwerbszweig wurde für sie der Handel mit Tierpräparaten: Schmetterlinge, schließlich auch exotische Insekten, Tiere oder Muscheln, die aus den holländischen Kolonien in Südostasien und Südamerika nach Amsterdam kamen. Um die exotischen Insekten genauso zu erforschen, wie sie es mit den einheimischen getan hatte, fasste Maria Sibylla Merian einen kühnen Plan: 1699 begab sie sich, begleitet von ihrer jüngeren Tochter, auf eine zweijährige Forschungsreise in die holländische Kolonie Surinam an der Nordostküste Südamerikas. Begleitet von Eingeborenen und afrikanischen Sklaven unternahmen die zwei Frauen – in ihren voluminösen barocken Kleidern – etliche Expeditionen in den Regenwald. 1701 kehrten sie mit unzähligen Präparaten, Zeichnungen und Notizen nach Amsterdam zurück.

Maria Sibylla Merian war die erste Frau, die eine solche Reise wagte, ihre Forschungen waren die ersten zu Flora und Fauna Surinams überhaupt. Ihre Erkenntnisse veröffentlichte sie 1705 in der umfangreichen Publikation Metamorphosis Insectorum Surinamensium die, die ihr endgültig einen internationalen Ruf als bedeutende Naturforscherin eintrug. Zugleich unterstrich das Werk, dessen Illustrationen sie selbst komponiert hatte, ihre Bedeutung als Künstlerin.

Merian starb 1717 hochangesehen in Amsterdam. Gleich nach ihrem Tod erwarb der Zar Peter der Große ihren umfangreichen zeichnerischen Nachlass, der sich heute in der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg befindet. Auch andere Kunstsammlungen bewahren heute Werke von ihr, darunter das Städel Museum.


Dr. Martin Sonnabend ist Leiter der Graphischen Sammlung und einer der Kuratoren von Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes, einer Sonderausstellung des Kupferstichkabinetts – Staatliche Museen zu Berlin und des Städel Museums. Ab Oktober 2017 im Städel.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Antoine Watteau Studienblatt
    Kuratoreninterview zu Watteau

    „Das ist hochsensibel“

    Antoine Watteau sei ein Künstler, den man leicht übersehen könne, meint Martin Sonnabend, Kurator der Ausstellung „Watteau. Der Zeichner“. Warum man trotzdem genauer hinsehen sollte, erzählt er im Interview.

  • Antoine Watteau: Die Einschiffung nach Kythera (um 1709–1712), Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum, Mit-Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e. V.
    Bild des Monats

    „Die Einschiffung nach Kythera“ von Watteau

    Es ist eines der wertvollsten Gemälde des Städel – und das Schlüsselwerk des französischen Künstlers Antoine Watteau. Was macht „Die Einschiffung nach Kythera“ so besonders?

  • Zum 200. Todestag von Johann Friedrich Städel

    Wandel als Vermächtnis

    Mit seinem Testament legte Johann Friedrich Städel den Grundstein für das heutige Städel. Wer könnte die Geschichte des Museums besser bezeugen als die Kunst, die sie durchlebte? Eine Zeitreise.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Honoré Daumier

    Zur Ernsthaftigkeit der Komik

    Wie Karikaturen funktionieren und warum Daumier für sie ins Gefängnis kam.

  • Der Film zur Ausstellung

    Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig

  • Die Ausstellungen im Städel

    Highlights 2024

    Unser Ausblick auf 2024: Freut euch auf faszinierende Werke von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz, lernt die Städel / Frauen kennen, entschlüsselt die Bildwelten von Muntean/Rosenblum, erlebt die Faszination italienischer Barockzeichnungen und reist zurück in Rembrandts Amsterdam des 17. Jahrhunderts.

  • Städel Mixtape

    #34 Jan van Eyck – Lucca-Madonna, ca. 1437

    Ein ruhiger Moment mit Kerzenschein, ihr seid so vertieft, dass ihr alles um euch herum vergesst: Vor rund 600 Jahren ging es den Menschen ähnlich, wenn sie vor Jan van Eycks „Lucca-Madonna“ gebetet haben. In diesem STÄDEL MIXTAPE geht es um das Andachts-Bild eines raffinierten Geschichtenerzählers. 

  • Städel | Frauen

    Louise Schmidt: Bildhauerin!

    Teil 2 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.