Es ist eines der wertvollsten Gemälde des Städel – und das Schlüsselwerk des französischen Künstlers Antoine Watteau. Was macht „Die Einschiffung nach Kythera“ so besonders?
Antoine Watteau, der später zu den einflussreichsten Künstlern seiner Zeit gehören sollte, kam als junger Mann 1702 aus der französischen Kleinstadt Valencienne nach Paris. Ohne eine „richtige“ Ausbildung arbeitete er knapp zehn Jahre lang hauptsächlich in den Werkstätten von Dekorationsmalern. 1712 gelang ihm schließlich der Schritt in die Unabhängigkeit und zu überraschendem Erfolg: Er wurde in der offiziellen Académie royale de peinture et de sculpture aufgenommen – mit einem völlig neuen Bildthema.
Um als vollgültiges Mitglied akzeptiert zu werden, musste Watteau ein sogenanntes Akademieaufnahmestück abgeben. Als Thema wählte er: die Einschiffung nach Kythera. Die erste Fassung des Gemäldes (ca. 1709–1712) hängt heute im Städel, die zweite reichte Watteau schließlich 1717, mit einer Verspätung von fünf Jahren, an der Akademie ein. Heute befindet sich dieses offizielle Aufnahmestück in der Sammlung des Musée du Louvre, Paris. Eine weitere Variante wird in Schloss Charlottenburg, Berlin verwahrt. Das Städel Museum erwarb 1982 die früheste, und zugleich kleinste Fassung dieses Themas; es war das erste Gemälde Watteaus, das seit dem 18. Jahrhundert für eine deutsche Sammlung erworben wurde.
Am Strand der Liebesinsel Kythera soll Venus, die Göttin der Liebe, aus den Wellen geboren worden sein. In seinem Gemälde bezieht sich Watteau allerdings nicht auf den Mythos der „Schaumgeborenen“, sondern fasst die Insel als den Ort auf, an dem sich die Liebe frei entfaltet kann.
Watteau zeigt uns in seinem Gemälde eine Gruppe junger Frauen und Männer, die sich an einem Uferstreifen versammelt haben, um nach Kythera aufzubrechen. Sie halten rosenbekränzte Pilgerstäbe in ihren Händen und sind mit einem kurzen Schulterumhang, wie ihn Pilger tragen, bekleidet. Die Blicke der Wartenden sind auf ein Paar gerichtet, das den ersten Schritt zu machen scheint und sich – noch leicht zögernd – zu der am Ufer gelegenen, mit Putten umflatterten Barke begibt. Das Ziel der Reise liegt nicht fern. Es ist im Mittelgrund durch eine Treppenanlage angedeutet, auf der sich ebenfalls mehrere Putten in freudiger Erwartung der Liebenden versammelt haben.
Wie die Personen, so hat Watteau auch die Architektur seiner eigenen Lebenswelt entnommen. Ähnliche Terrassen befanden sich im Park von St. Cloud, der am Stadtrand von Paris gelegen war und damals als beliebtes Ausflugsziel genutzt wurde.
Zudem finden sich mehrere Details aus dem Theater in der Komposition wieder: Vergleichbar mit Akteuren auf einer Bühne hat der Künstler die Gruppe der Pilger in einem Spalier angeordnet. Zudem mutet die Landschaft im Hintergrund wie ein Prospekt, ein perspektivisch gemalter Hintergrund einer Bühne, an. Tatsächlich gehen die Berührungspunkte mit dem Theater auf ein reales Vorbild zurück. Im Finale des Bühnenstückes Die drei Kusinen (Les trois cousines) von Dancourt (1700 uraufgeführt) treten die verliebten Bewohner eines Dorfes eine Pilgerfahrt nach Kythera an. Watteau überführte die im bäuerlichen Milieu spielende Szene in eine Parklandschaft mit elegant gekleideten Personen seiner Zeit. So verband er die künstliche Theaterwelt mit seiner eigenen Realität.
Auch die beiden anderen Versionen der Einschiffung nach Kythera sind nicht in den mythologischen Kontext der Erzählung eingebettet, sondern wurden in die Gegenwart Watteaus verlagert. Als die Akademie realisierte, dass Watteaus Aufnahmestück nicht den Mythos darstellte, also nicht dem Bereich der Historienmalerei zuzuschreiben war, änderte sie den Titel des Gemäldes und nannte es eine Fête Galante, ein galantes Fest. Mit diesem Sujet sollte Watteau zu großem Erfolg und weitreichender Berühmtheit gelangen.
In der Ausstellung wird das Gemälde erstmals mit zwei Zeichnungen präsentiert, von denen einzelne Figuren in das Gemälde übernommen worden sind. Eine Rötelzeichnung zeigt in der Mitte einen Pilger mit hoch erhobenem Arm und ausgestrecktem Zeigefinger. Watteau hat diese Figur eins zu eins in sein Gemälde übertragen.
Die zweite Zeichnung, eine Leihgabe aus dem Dresdner Kupferstichkabinett, zeigt links einen Pilger, der ebenfalls im Gemälde des Städel Museums zu sehen ist. In der Zeichnung streckt der Pilger seine linke Hand einer sitzenden Dame entgegen, als wolle er ihr beim Aufstehen behilflich sein. Während die männliche Figur nahezu unverändert in das Gemälde eingearbeitet worden ist, wurde die Frau durch eine stehende Pilgerin ersetzt. Die dritte Figur auf der Dresdner Studie, ein kniender Mann, findet sich zwar nicht in der Frankfurter Version wieder, jedoch in den anderen beiden Fassungen der Pilgerfahrt nach Kythera.
Watteau ging unakademisch und frei mit seinen Zeichnungen um. Selten fertigte er detailreiche Vorzeichnungen für seine Gemälde an. Vielmehr nutzte er die Zeichnung, um seine Modelle, ihre freien Bewegungen, spontanen Gesten und Gesichtszüge unmittelbar festzuhalten. Das Momenthafte der Zeichnung versuchte er in seine Gemälde zu überführen. Watteau komponierte seine Gemälde also fast wie Collagen. Die Präsentation der beiden Zeichnungen zusammen mit dem Frankfurter Gemälde der Einschiffung nach Kythera veranschaulicht diese besondere Arbeitsweise. Zudem werden die unterschiedlichen Einflüsse sichtbar, die sich in der Fête galante vereinen, wie die damals freie und ungezwungene Welt des Theaters und die unmittelbare Lebenswelt des Künstlers.
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