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Städel Museum Städel Museum

Wandel als Vermächtnis

Mit seinem Testament legte Johann Friedrich Städel den Grundstein für das heutige Städel. Wer könnte die Geschichte des Museums besser bezeugen als die Kunst, die sie durchlebte? Eine Zeitreise.

Almut Pollmer-Schmidt — 1. Dezember 2016

Johann Friedrich Städel wurde 88 Jahre, einen Monat und einen Tag alt, wie die Sterbeurkunde akribisch vermerkt – ein Alter, das nur wenige seiner Zeitgenossen erreichten. Als unverheirateter Geschäftsmann war er reich geworden und zählte zu den fünf Millionären Frankfurts. „Nur“ 1.300.000 Gulden habe Städel hinterlassen, schrieb der gebildete Sammler und Diplomat Johann Isaak von Gerning an Johann Wolfgang von Goethe: „Das war ein Kunst-Kautz! Fast alles wird auf auf seine Anstalt verwendet.“

Städel hatte seine Vorstellungen für ein Kunstinstitut konkret formuliert: Sein Stiftungsbrief enthielt sogar die Namen ersten Vorstandsmitglieder. Nur gut zwei Stunden nach Städels Tod trafen sich die fünf Administratoren im Sterbehaus zu einer ersten Sitzung! Nachdem das Verfahren geregelt und die Frist für mögliche Erbansprüche abgelaufen war, wurde das Städelsche Kunstinstitut am 10. März 1817 offiziell.

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Entstand nach seinem Ableben: Porträt Johann Friedrich Städel, um 1850 (?); Johann David Passavant (zugeschrieben); Bleistift auf Büttenpapier, 394 mm x 250 mm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum

Startkapital am Rossmarkt

Johann Friedrich Städel hatte dem Kunstinstitut Geldvermögen, seine Immobilie – eine noble Adresse am Rossmarkt –  sowie seine gesamte Kunstsammlung vermacht. Diese bestand aus knapp 500 Gemälden, 4631 Handzeichnungen, etwa 9000 Druckgrafiken, einigen Kleinplastiken sowie seiner Bibliothek. Während die Bücher in einem Raum neben seinem Privatzimmer im Hinterhaus untergebracht waren, schmückten die Kunstwerke das repräsentative Vorderhaus.

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Städels Haus wird am rechten Bildrand zur Hälfte angeschnitten: Der Rossmarkt mit dem geplanten Gutenberg-Denkmal (Detail), 1840, Historisches Museum Frankfurt

Der Gewürzhändler und Bankier Städel hatte das Erdgeschoss für Verhandlungen, Empfänge und Geschäftsessen genutzt. In den oberen Stockwerken war die Sammlung ausgestellt. Dank des Forschungsprojekts „Zeitreise“ können wir uns jetzt eine bildhafte Vorstellung davon machen, was Besucher dort zu sehen bekamen. Im ersten Obergeschoss gab es fünf Zimmer, die über und über mit Gemälden geschmückt waren; auch das Treppenhaus zierten Bilder.

Städels Stifterbrief hatte es ausdrücklich erlaubt, dass die „vorräthige Sammlung“ nicht nur erhalten und „vermehrt“, sondern auch, „durch Austausch der vorhandenen schlechtern und mittelmäßigen Stücke gegen bessere, vervollkommnet“ würde. Schon 15 Jahre später hatte die Administration zwei Drittel von Städels Gemäldesammlung veräußert – nicht ohne allerdings hunderte Werke neu angekauft zu haben. Deshalb finden sich auf unseren Rekonstruktionen zahlreiche leere Rahmen; die Platzhalter stammen von den historischen Hängeplänen in Städels Inventarbuch, die Städels Sekretär Johann Gottfried Jäger sorgfältig gezeichnet und mit Inventarnummern versehen hatte.

Städel hatte sein Kunstinstitut als öffentliches Museum und als Ausbildungsstätte für angehende Entwerfer, Kunsthandwerker und Architekten bestimmt. Damit wechselten die Prioritäten – es ging nun nicht mehr um den repräsentativen Kunstgeschmack einer einzelnen Persönlichkeit, sondern um die praktische Nutzbarmachung der Sammlung. Schon bald nach 1817 ließ man Städels Haus umbauen und errichtete einen Anbau mit Oberlichtsälen. Doch offenbar genügte dies den wachsenden Ansprüchen an ein modernes Kunstinstitut nicht. 1833 zogen das Museum und die Kunstschule an die Neue Mainzer Straße. 1878 eröffnete schließlich der großzügige Neubau Oskar Sommers am Schaumainkai, nachdem bereits ein Jahr zuvor die Städelschule in einem separaten Gebäude eingeweiht worden war.

Zwei Zeitzeugen

Durch die „Zeitreise“ in 3D können wir den Wandel, den das Städel Museum nach dem Tod des Stifters erlebt hat, nun eindrucksvoll nachvollziehen. Zu den wichtigsten Gemälden, die sich aus Städels Sammlung erhalten haben, zählt ein Bildnispaar: Die beiden ovalen Porträts von der Hand des Rembrandt-Zeitgenossen Frans Hals.

Sie zeigen einen 44-jährigen unbekannten Mann und seine gleichaltrige Gattin. Städel jedoch hielt sie für Darstellungen von Peter Paul Rubens und dessen erster Frau – und gewährte ihnen einen Platz in einem der drei wichtigsten Sammlungsräume, die in der bel étage seines Hauses zum Rossmarkt hin gelegen waren. Darunter stellte er gleich zwei Gemälde von Rubens und seiner Schule aus: eine „Krokodil- und Nilpferdjagd“ nach Rubens „Erfindung“ (Inv. Nr. 84, wohl eine Kopie des Münchner Gemäldes) sowie einen Entwurf für ein Deckenfresko, „Apoll als Sonnengott und Diana als Mondgöttin mit vielen allegorischen Figuren“ (Inv. Nr. 85). Das Porträtpaar flankierte eine Tür. Wohin sie führte, ist uns bis heute nicht ganz klar – vielleicht zur Treppe für die Bediensteten, vielleicht in einen Studienraum?

1833, in der Neuen Mainzer Straße, stand „Rubens“ im Zentrum des ersten Gemäldesaals. Besucher sahen nicht nur die beiden Porträts, die immer noch als Bildnisse von Rubens und seiner Frau galten, sondern auch vier weitere Gemälde des Meisters. Direkt  „den Eltern“ gegenüber hing ein Kinderbild, das als Rubens’ Söhnchen angesehen wurde.

Der gesamte Raum war der niederländischen Malerei gewidmet. Hier dominierten Porträts, Figuren- und Viehstücke, Landschaften sowie Stillleben – Bildgattungen also, die im Verständnis der akademischen Kunsttheorie nur eine untergeordnete, dienende Funktion besaßen. Durch ihre nachahmende Qualität rangierten die Niederländer weit unter der italienischen Malerei mit ihren Heiligen- und Madonnendarstellungen – so vermittelten es zumindest die Verantwortlichen des Jahres 1833. Eine solche kunsthistorische Trennung nach „Schulen“ hatte bei Johann Friedrich Städel noch keine Rolle gespielt.

Spätestens 1878, als das Kunstinstitut in den heutigen Museumsbau gezogen war, glaubte man nicht mehr an die Rubens-Überlieferung und nannte den Herren mit dem weichen weißem Kragen schlicht „Holländer“. Den künstlerischen Wert von Frans Hals’ Gemälden schmälerte dies nicht. Sie erhielten ihren Platz an der Stirnseite des großen Oberlichtsaals, der heute italienische und französische Malerei beherbergt. Sie eröffneten den Durchblick zu Morettos „Thronende Madonna mit Kind und den vier lateinischen Kirchenvätern“, ein Gemälde, das damals als Hauptwerk des Museums galt.

Heute kann man die beiden Porträts im Treppenhaus vor dem Eingang zur Abteilung Alte Meister bewundern. Die Wand versammelt knapp 50 Gemälde aus Städels Sammlung und erweist dem Stifter – und damit der 200-jährigen Geschichte des Städel Museums – Reverenz. Das hätte sich der „Kunst-Kautz“ sicher nicht träumen lassen.


Dr. Almut Pollmer-Schmidt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Alte Meister, verließ sich für die Vorgänge um Städels Tod 1816 auf „Die Geburt des bürgerlichen Kunstmuseums – Johann Friedrich Städel und sein Kunstinstitut in Frankfurt am Main“. Sie gratuliert der Autorin Corina Meyer noch einmal herzlich zur Verleihung des Johann David Passavant-Preises 2016!

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