Fast täglich ging es 2016 um das spannungsgeladene Verhältnis von Mann und Frau. Wie aktuell das Thema der Ausstellung „Geschlechterkampf“ heute noch ist, zeigt unser Jahresrückblick.
Die Ausstellung „Geschlechterkampf“ geht der künstlerischen Reflexion von sich wandelnden Rollenbildern seit etwa 1860 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nach. Ein historisches Thema – das keineswegs an Brisanz verloren hat. Fast täglich erscheinen Berichte, die sich mit der Beziehung zwischen Mann und Frau befassen. „Gleichheit der Geschlechter: Die große Illusion“, „Hat der Feminismus die Liebe kaputt gemacht?“ oder „Männer sind anders – Frauen auch: Wir gleichberechtigen uns zu Tode“, heißt es da etwa in den Titeln. Einige Medien, darunter die „Zeit“ oder die „Süddeutsche Zeitung“, haben online sogar die Rubrik „Geschlechterkampf“ aufgeführt. In den Kommentarspalten und den sozialen Netzwerken wird diskutiert und gewettert, Trendthemen finden durch Hashtags schnelle Verbreitung. Das Treppenhaus und der Vorraum zur Ausstellung sind mit unzähligen dieser Schlagzeilen und Hashtags an den Wänden gestaltet.
2016 begann bereits turbulent in der Silvesternacht. Die massenhaften Übergriffe auf Frauen in Köln sorgten national wie international für Aufregung: In den ersten Januartagen schafften es die Vorfälle selbst im „Wall Street Journal“ und der „New York Times“ auf die Titelseiten. 1205 Strafanzeigen gingen bei der Kölner Polizei ein, der Großteil mit sexuellem Hintergrund. Elf Monate später wurde die ernüchternde Bilanz der bisherigen Ermittlungen veröffentlicht: Lediglich sechs Täter wurden seitdem verurteilt.
In Reaktion auf die Neujahrsereignisse verschärfte sich der Ton in der Diskussion um die Notwendigkeit eines strengeren Sexualstrafrechts in Deutschland. Auch der umstrittene Prozess rund um Model und TV-Star Gina-Lisa Lohfink heizte das Klima weiter auf. Nach dem Prinzip „Nein heißt Nein“ wurde im September 2016 schließlich das Strafgesetz aktualisiert. Sexuelle Belästigung und Gewalt sollen nun einfacher zur Rechenschaft gezogen werden können.
„Wie sexy darf Werbung sein?“, fragte das „Wochenblatt“ im Frühjahr dieses Jahres und bezog sich damit auf die Bestrebungen des Justizministers Heiko Maas, geschlechterdiskriminierende Reklamen zu verbieten. Auch im Netz wurde Protest gegen sexistische Werbekampagnen laut: Unter dem Hashtag #IchKaufDasNicht verbreitete sich massive Kritik gegen diverse Unternehmen, die Frauen als Lustobjekte vermarkten.
Aber ab wann ist Werbung sexistisch? Das Kampagnenmotiv unserer Ausstellung zeigt Gustav Adolf Mossas Gemälde „Sie“ – eine männermordende, völlig überzeichnete Femme fatale aus dem Jahr 1905, die uns barbusig entgegenblickt. Sollte man das Ausstellungsplakat zensieren oder gar verbieten?
„Wo sind die echten Männer?“, fragte die „FAZ“ im März und proklamierte den „Bankrott deutscher Männlichkeit“. „Die Welt“ befand im Monat darauf, dass sich der Mann „endlich neu erfinden“ müsse, und attestierte ihm eine Existenzkrise. „Der moderne Mann sieht männlicher aus denn je“, heißt es in dem Artikel: tätowiert und mit hippem Langbart, aber dennoch sei sein Rollenbild durch Gleichstellungsbemühungen ins Wanken geraten.
Verunsicherte Männer angesichts „dominanter“ Frauen – ist das Thema wirklich so neu? Blickt man in die Ausstellung, scheinen Künstler Identitätskonflikte schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigt zu haben. Die konventionellen Geschlechtermodelle wurden im Zuge der weiblichen Emanzipationsbewegung infrage gestellt. Insbesondere männliche Künstler reagierten in ihren Werken auf die gesellschaftlichen Veränderungen und schufen kraftvolle und zugleich bedrohliche Frauentypen. Das Schreckensbild der Femme fatale spiegelt die damalige Furcht des Mannes vor Kontrollverlust wider – obwohl sich der gesellschaftliche und soziale Status von Frauen bis ins 20. Jahrhundert hinein kaum veränderte und sie keine eigentliche Gefahr für die Männer darstellten.
Wie sieht es heute aus? „Bis zur Gleichberechtigung noch 170 Jahre“, meldete im Oktober „Spiegel Online“. Die Rechnung stammt aus dem Gender Gap Report 2016, der Mann und Frau erst in zwei Jahrhunderten wirtschaftlich auf einem Niveau sieht.
Die Einkommensgefälle sind in manchen Arbeitsbereichen nach wie vor frappierend. Im September schlug das „Wall Street Journal“ in einem kontroversen Beitrag vor, dass Frauen ihr Geschlecht bei einer Bewerbung um einen technischen Beruf verschleiern sollten – um ihre Jobchancen zu erhöhen. Eine ähnliche Strategie wählte übrigens schon 1863 die Schweizer Bildhauerin Adèle d’Affry, die in der Ausstellung mit einem Hauptwerk vertreten ist: Unter dem männlichen Pseudonym Marcello bewarb sie sich um die Teilnahme am Pariser Salon.
Eine Ungleichstellung lässt sich auch in der Filmbranche feststellen. Im August meldete die „FAZ“: „Hollywood ist männlich, weiß und hetero“. Bestrebungen, dies zu ändern, wurden im Netz heiß diskutiert. Die Neuverfilmung des Kinoklassikers „Ghostbusters“ mit Frauen in den Hauptrollen löste einen Shitstorm aus. Und auch die Erwägung, den Agenten 007 künftig als Jane und nicht als James Bond auftreten zu lassen, sorgte für Empörung.
Der Geschlechterkampf wurde bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich über das Bild der Frau verhandelt, das verdeutlichen die Werke der Städel Ausstellung. Ähnliches gilt für die aktuellen Sexismus-Diskussionen in Politik und Gesellschaft. 2013 führte die Feministin Anne Wizorek den Hashtag #Aufschrei ein – unter dem vor allem Frauen über sexistische Erfahrungen auf Twitter berichten – und brachte damit einen Stein ins Rollen.
2016 kursierte #ImZugPassiert, der Hashtag trägt sexistische Erlebnisse in der Bahn zusammen. Bundesfamilienministerin Manuela Schleswig machte unlängst Schlagzeilen, als sie zum Kampf gegen Sexismus aufrief. Sie berichtete von ihren persönlichen Erfahrungen, oft weniger mit ihrer politischen Haltung als mit ihrem Äußeren konfrontiert zu werden. Als „weinerliche Küsten-Barbie“ sei sie etwa von Kollegen bezeichnet worden. CDU-Politikerin Jenna Behrends sorgte ebenfalls mit Sexismus-Vorwürfen gegen ihre männlichen Kollegen für Aufregung und beschwerte sich, „süße Maus“ genannt worden zu sein. Auch wenn ihre Äußerungen infrage gestellt wurden, heizte sie die Diskussion über Sexismus in der Politik weiter an.
Im amerikanischen Wahlkampf fand die Geschlechterkampf-Diskussion 2016 einen Höhepunkt: Präsidentschaftsanwärter Donald Trump machte regelmäßig durch frauenfeindliche Äußerungen – Stichwort: „Grab them by the Pussy“ – auf sich aufmerksam. Daraufhin keimte #NotOkay als amerikanisches Äquivalent zu #Aufschrei auf. Noch-First-Lady Michelle Obama hielt im Herbst eine flammende Rede zu Trumps kontroverser Haltung gegenüber Frauen.
Die Konkurrenz zwischen Hillary Clinton und Donald Trump wurde von den Medien zum modernen Geschlechterkampf ausgerufen. „Clinton versus Trump Is a Battle of two Americas – and of two Sexes“, stellte der „Irish Independent” fest. „The Presidential Debate Was a Battle of the Sexes“, befand auch das Magazin „Time” und bezeichnete die erste Fernsehdebatte der Kandidaten als politische Version des legendären Tenniswettkampfs zwischen Billy Jean King und Bobby Riggs von 1973, der unter dem Namen „The Battle of the Sexes“ in die Geschichte einging. 2017 wird das Sport-Duell im Übrigen als Hollywood-Film in die Kinos kommen, mit Emma Stone und Steve Carrell in den Hauptrollen. The battle continues ...
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