Vor acht Jahren eröffneten die Gartenhallen mit der Sammlung Gegenwartskunst – jetzt wird sie erstmals neu präsentiert. Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr sprach mit der Künstlerin Corinne Wasmuht, Sammlungsleiter Martin Engler und Architekt Wilfried Kuehn.
Elke Buhr: Was macht ein gutes Museum aus?
Corinne Wasmuht: Wenn ich beim Besuch etwas lerne, inspiriert werde, neue Bilder denke. Voriges Jahr besuchte ich mehrmals die Ausstellung Mantegna und Bellini in der Gemäldegalerie in Berlin. Die Ausstellung Sturm-Frauen in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt fand ich beispielsweise wichtig, weil ich neue Sachverhalte oder Kunstpositionen kennenlernen konnte.
Wilfried Kuehn: Was erwarten wir von einem Museum? Erwarten wir eher Sonderausstellungen, eher eine Sammlung oder ein Zusammenspiel zwischen beidem? Ich finde den Aspekt des Bewahrens im Verhältnis zur Aktualisierung interessant. Aus dem Bewahren wird ein Forschen, daraus ein Zeigen. Und dann das Entdecken für uns, das Publikum. Ich bin ja kein Forscher und kein Wissenschaftler, sondern Architekt und künstlerisch interessiert. Es gibt sehr unterschiedliche Perspektiven auf eine Sammlung.
Martin Engler (Städel Museum): Als ich vom Kunstverein ans Museum gewechselt bin, dachte ich, meine Aufgabe wäre es, die Gegenwartskunst am Städel Museum neu zu definieren. Aber de facto hat das Städel im gleichen Maße mein Konzept von Gegenwartskunst neu definiert. Alles, was man am Museum tut, basiert auf etwas, was andere getan haben, nämlich auf einer Sammlung. Jedes neue Werk, das dazukommt, ob von Corinne Wasmuht oder Philip Guston, bekommt einen neuen Sinn auf der Basis dessen, was schon da ist. Diese Fähigkeit des Museums, permanent neuen Sinn zu erzeugen, ist das, was Museen so wichtig macht.
Wasmuht: Für mich sind Ausstellungen, wo ich auch als Profi etwas lerne, wichtiger als eine Aneinanderreihung von Kunstwerken, die letztendlich wie Trophäen präsentiert werden: Sammlungspräsentationen, die immer gleich aussehen und nichts anders bewirken als ein Abhaken. Wobei es ja auch gelungene Sammlungspräsentationen gibt, bei denen neue Zusammenhänge entstehen.
Das Städel will ja jetzt genau in diesem Sinne der frischen Perspektiven seine Sammlung Gegenwart neu präsentieren. Was sind die Leitlinien?
Engler: Es ist die erste komplette Neupräsentation der Sammlung Gegenwartskunst, seit wir sie vor acht Jahren eröffnet haben. Die Idee war damals wie heute, die Vielfalt und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Gegenwarten abzubilden. Wir wollten schon damals nicht diesen Irrglauben weiter befeuern, es gäbe eine Gegenwart vom Informel über die Konzeptkunst bis heute, die man linear erzählen kann. Sondern wir wollen das Museum als einen Ort begreifen, der viele unterschiedliche Gegenwarten umfasst und es bewusst vom Betrachter verlangt, sich zu orientieren. Manchmal sind die spannenderen Momente da, wo die Grenzen unscharf werden, wo ein Kunstwerk da oder dort hängen könnte und man als Betrachter und als Kurator plötzlich Verbindungen herstellt zwischen Werken, die in der herkömmlichen Lesart in unterschiedliche Schubladen sortiert wurden.
Ist die Hängung noch chronologisch?
Engler: Ja, aber wir versuchen diese Chronologie immer wieder zu brechen. Es geht nicht darum, die Kategorien abzuschaffen, sondern darum, sie durchlässig zu machen und zu zeigen, wie aus verschiedenen künstlerischen Erzählungen ein breiteres, widersprüchlicheres, aber auch kompletteres Panorama wird. Das Städel Museum wird irrigerweise immer noch als ein Museum der Moderne und der alten Meister wahrgenommen – was es weder für seinen Gründer war noch heute ist. Es gibt dort ganz unterschiedliche Erwartungen an die Gegenwartskunst, unterschiedliche Generationen kommen zusammen. Auch das müssen wir integrieren.
Bevor das New Yorker Museum of Modern Art kürzlich seine Sammlungspräsentation neu eröffnete, hat sein Direktor Glenn D. Lowry im Interview mit Monopol gesagt: „Wir behaupten nicht mehr, dass man die Geschichte der Moderne linear erzählen kann.“
Wasmuht: Früher war ja das Zeitverständnis eher linear: Es gibt eine Vergangenheit, es gibt eine Zukunft, und in der Mitte ist Jesus. Wie eine Kette von Zeitereignissen, die wie Perlen aneinandergereiht sind. Das ist seit Anfang des vorigen Jahrhunderts, spätestens jedoch seit Science-Fiction aufgebrochen worden. Es gibt ein Zurück-in-die-Zukunft, alles ist gleichzeitig möglich. Wie bei den Fenstern auf dem Computermonitor oder im Internet switcht man zwischen den Zeiten, es entsteht eine Gleichzeitigkeit. Die Museumsbesucher und Museumsbesucherinnen betrachten mittlerweile Kunst auch so. Deshalb ist dieses lineare Denken veraltet und auch dieses Museumskonzept, wo man von Raum zu Raum, von der Antike in die Gegenwart geht.
Aber wie kann man die Offenheit räumlich umsetzen?
Kuehn: Die Form des Museums ist zunächst einmal völlig frei, weil es keine historische Museumstypologie gibt, von der wir sagen können, so sei das Museum. Die Uffizien in Florenz waren vorher Büros, der Louvre ein Schloss. Der Museumstypus des 19. Jahrhunderts, das Städel des Architekten Oskar Sommer inklusive, hat sich aus solchen geborgten Typologien entwickelt. Die Frage für uns war, wie man das in dem neuen, unterirdischen Schneider+Schumacher-Bauwerk so weiterentwickeln kann, dass die Raumkonstellation nicht mehr diesem Schema verhaftet ist, das patriarchal und hierarchisch organisiert ist. Was passiert, wenn ich das auflöse und trotzdem feste Räume haben will? Wir haben daher das Thema der Konstellationen zur Grundlage der Sammlungspräsentation gemacht. Wie im englischen Landschaftsgarten wird die Wahrnehmung durch einen Parcours organisiert, der nicht geradeaus zum Ziel führt, sondern verschlungen, und der immer wieder neue Blickrichtungen erlaubt. So kann man eine Raumkonstellation schaffen, in der sich unterschiedliche Erzählungen überlagern.
Das wäre dann die Vielfalt, von der Martin Engler spricht.
Kuehn: Ja, wobei ich den Begriff der Vielfalt schwierig finde, weil er als anything goes missverstanden werden kann – das ist dann eine Messe. Der englische Landschaftsgarten ist für mich deshalb als Raummodell so interessant, weil er eben nicht wie eine Messe einfach nur Vielfalt aneinanderreiht, als Riesenbüfett, sondern weil er komplexere, heterogene Ordnungen schafft und spezifische Konstellation erlaubt, in denen ich, je nachdem von wo ich schaue, die Dinge anders lesen kann. Wenn ich linksrum gehe, erfahre ich anders, als wenn ich rechtsrum gehe, und mit der Wahrnehmung ändert sich meine Anschauung der Objekte in Beziehung zueinander.
Wasmuht: Das finde ich ganz wichtig. Man steht in einem Raum und sieht durch die Türöffnungen in die angrenzenden Räume, und es entsteht eine Wechselwirkung. Im Städel ist das sehr deutlich: Je nachdem, wie herum man sich dreht, erfährt man die gleiche Ausstellung ganz anders.
Engler: Gleichzeitig erwarten die Besucher, wenn sie ins Museum gehen, eine Ordnung – zu Recht. Sie dürfen erwarten, dass man ihm einen validen Vorschlag macht, ohne zu behaupten, dieser sei der einzig denkbare. Wir versuchen, gegen ein unspezifisches anything goes anzuarbeiten. Es geht darum, über diese unterschiedlichen Blickachsen und Erzählungen ein Gerüst zu erzeugen, anhand dessen die Betrachter ihren Weg dann selbstständig finden können.
Wie kann die Ausstellungsarchitektur das Erlebnis im Museum beeinflussen?
Kuehn: Sie erzeugt Räume. Räume sind etwas, das sich in unserer Vorstellung entwickelt, sie sind eher abstrakte als konkrete Gebilde, denn wir müssen sie uns erobern, indem wir sie wahrnehmen und sie uns vorstellen. Wenn man in die Gartenhallen hineinkommt, entsteht der Eindruck, auf einem Platz in einer Stadt oder einem Dorf zu sein, an dem einzelne Häuser sind, in die man hineingehen kann. Das gibt einen Neugiereffekt, wir erobern Raum für Raum. Die Innenräume können etwas anderes ausstellen als die Zwischenräume. Und es gibt zwei Ebenen der Intimität. In jedem Raum kann ein anderes Licht herrschen, eine andere Helligkeit. Wir hatten uns immer vorgestellt, dass die Zwischenräume kuratorisch eher vielgestaltig sind, in den Räumen selbst aber auch mal ein einzelner Künstler Platz findet, sodass dann sehr stark subjektivierte Aussagen, die Autonomie beanspruchen, im Verhältnis zu den Zwischenraum-Konstellationen entstehen. Der Besucher hat die Chance, diese Dinge zu erobern und für sich zu entdecken.
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