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Eine Vision wird Wirklichkeit

Vor 100 Jahren wurde der Deutsche Museumsbund im Städel gegründet. Damit einher ging eine visionäre Debatte um die Demokratisierung des Kunstmuseums – und seine Öffnung hin zur Avantgarde.

Jana Baumann — 9. Mai 2017

Am 23. Mai 1917 versammelten sich 22 Museumsdirektoren, um einen Zusammenschluss der Museen für Kunst- und Kulturgeschichte zu erwirken. Tagungsort war das Städel Museum, Gastgeber Städel Direktor Georg Swarzenski. Es war die Geburtsstunde des Deutschen Museumsbundes – und der Ausgangspunkt einer Entwicklung, die das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst nachhaltig definieren, ja überhaupt erst hervorbringen sollte.  Es ging um die Öffnung hin zur eigenen Gegenwart und damit um die Aufnahme der Kunst der Avantgarde, deren Präsentation und  Vermittlung. Nicht zuletzt aber auch um das Museum selbst und sein Publikum – und darum, wie beide zusammenfinden konnten.

Einzug der Avantgarde ins Museum

Unter Kritikern, Künstlern, Sammlern und Museumsdirektoren war eine Debatte entfacht. Sie erreichte ihren Höhepunkt nach dem ersten Weltkrieg mit der Publikation des Deutschen Museumsbundes „Die Kunstmuseen und das deutsche Volk“ im Jahr 1919. Es gingen erste Museen mit radikalen Neuerungen beispielhaft voran, darunter das Kronprinzenpalais der Berliner Nationalgalerie als Dependance für neuere Kunst (1919/20), das Städel Museum mit seinem Erweiterungsbau (1921), die Kunsthalle Mannheim oder das Landesmuseum Hannover. Ihre Strahlkraft reichte bis über den Atlantik: 1927 begab sich der amerikanische Kunsthistoriker Alfred Barr auf Europareise, um nicht nur die Kunstszene und ihre Avantgarde, sondern auch die innovativen, strukturellen Wandlungen in der deutschen Museumslandschaft zu studieren. Seine Beobachtungen bildeten die wesentliche Grundlage für die Organisation des neu gegründeten Museum of Modern Art in New York 1929. Es war eine Fortführung eben jener Entwicklung, die in Deutschland ihren Anfang genommen hatte. Mit der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten wurde ihr jedoch ein abruptes Ende bereitet: Es fand eine dramatische Verschiebung der kulturellen Kräfte im Museumswesen von Europa in die USA statt.

Kronprinzenpalais Berlin: Raum von Franz Marc und Wilhelm Lehmbruck, 1933

Kronprinzenpalais Berlin: Raum von Franz Marc und Wilhelm Lehmbruck, 1933

Doch zurück zu den Anfängen, nach Deutschland. Allzu selbstverständlich erscheinen uns heute die Errungenschaften der Museen aus den 1920er Jahren: eine Ordnung der Sammlung nach kunsthistorischen Gesichtspunkten, Präsentationen mit experimentellen Erzählstrukturen, eine breitenwirksame Vermittlung der Kunst sowie eine Auseinandersetzung mit aktuellen künstlerischen Tendenzen. Die Situation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war eine besondere, denn die Gesellschaft befand sich im Umbruch und politische Demokratisierungsbestrebungen rückten ins allgemeine Interesse. In der Kunst gaben unterschiedliche künstlerische Gruppierungen den Ton an, bestimmten das Geschehen auf dem Kunstmarkt, in Galerien und in der Kunstkritik: Expressionisten, Futuristen,  Konstruktivisten oder das Bauhaus – die Ausdrucksformen der Avantgarden waren vielfältig.

Radikale Selbstbefragung der Museen

Und die deutschen Museen?  Sie hatten bis dato vielerorts lediglich die Aufgabe der Bewahrung und Deutung der Vergangenheit  inne. Die Welten diesseits und jenseits der massiven Museumsmauern klafften teils weit auseinander. Wollten die Institutionen relevant bleiben, in einer sich wandelnden Gesellschaft eine Rolle spielen, mussten sie sich ändern und auf die gegenwärtigen Herausforderungen reagieren.

Eine radikale Selbstbefragung der Museen war nunmehr unausweichlich: Wer sind wir? Was wollen wir? Und wen sprechen wir an? Der neue Stilpluralismus sowie ein erweiterter Werkbegriff der Avantgarden verlangten nach einer Öffnung der Museen, nach einem Nebeneinander verschiedener künstlerischer Tendenzen. Diese Wendung war für das 20. Jahrhundert ein wegweisender Durchbruch. Aus dem Bestreben, die Gesellschaft durch die Kunst zu reformieren, erwuchs neben einer neuen Künstlergeneration – auch eine Avantgarde an Museumsvertretern.

Landesmuseum Hannover: Raum der Abstrakten, 1928

Landesmuseum Hannover: Raum der Abstrakten, 1928

Mit dieser Öffnung ging eine weitere Auseinandersetzung mit neuen Kunst- und Bildvorstellungen, mit unterschiedlichsten Themen, Materialien, Medien und Techniken einher: So hielt beispielsweise mit El Lissitzkys Abstrakten Kabinett im Landesmuseum Hannover eine neue intermediale Raumerfahrungen Einzug ins Museum: Prozess, Bewegung und Dynamik. Museum und Künstlerschaft begegneten sich im Wechselspiel, wobei letztere nun Einfluss auf die Präsentation und die Gestaltung der Hängung nehmen konnten. Es ergaben sich völlig neue, experimentelle Erzählstrategien. Zeitgenössische Kunstpositionen wurden bewusst in einen Dialog zu historischen Entwicklungen gesetzt. Die dadurch forcierte Überprüfung tradierter Wissensordnungen führte zu der Herausarbeitung neuer kunsthistorischer Entwicklungslinien. Kunstgeschichte wurde fortan nicht nur an Universitäten, sondern insbesondere auch im Museum geschrieben.

Öffnung für ein breites Publikum

Die Zeitenwende der Weimarer Republik mit der Einführung einer parlamentarischen Demokratie markierte die Verschiebung hin zu einer sozialen Verantwortung des Staates gegenüber Bürgern und Kunst gleichermaßen. Kulturpolitiker forderten, dass die Museen als Ausdruck demokratischen Geistes neu zu definieren seien: Die Bevölkerung sollte am Kunstleben teilhaben können. Erweiterte Öffnungszeiten und moderate Eintrittspreise gehörten zu den simplen, aber weitreichenden Maßnahmen, die ein breites Publikum – vom Arbeiter bis zum Unternehmer – in die Museen lockten. Für gerade einmal ein paar Pfennig gab es eine Jahresmitgliedschaft beispielsweise in der Kunsthalle Mannheim. Nicht zuletzt bildeten die experimentierfreudigen Präsentations- und innovativen Vermittlungsstrategien die Grundlage, um ein großes und neues Spektrum an Besuchern anzusprechen.

Nach dem Erweiterungsbau für die moderne und zeitgenössische Kunst: Blick in den Impressionistensaal im Städelschen Kunstinstitut mit innovativer Hängung, um 1922

Nach dem Erweiterungsbau für die moderne und zeitgenössische Kunst: Blick in den Impressionistensaal im Städelschen Kunstinstitut mit innovativer Hängung, um 1922

1921 schrieb Städel Direktor Georg Swarzenski:

„Das Erfassen der eigensten Aufgabe des Museums bestimmt sein Verhältnis zum Publikum. Hierin erweist sich seine Sonderstellung. Wie kein anderes kulturelles Unternehmen steht es den Massen offen, aber spricht zum Einzelnen. Es wendet sich an die Masse, aber nicht im Sinn der größtmöglichen Zahl, sondern der absoluten Ausschaltung aller Schranken und Vorurteilen des Standes, Berufes, Vermögens und der Klasse, ja selbst des Wissens, der Bildung und der Erziehung.“

Hier schließt sich wiederum der Kreis zum Städel Museum, dem Veranstaltungsort der ersten Tagung des Museumsbundes. Als erste kulturelle Bürgerstiftung Deutschlands trug es die demokratisierenden Bestrebungen schon seit über hundert Jahren in seinem Stiftergedanken. Ganz im Sinne Johann Friedrich Städels, der sich mit seinem Vermächtnis ein Museum für alle, in der Mitte der Gesellschaft, gewünscht hatte, das mit aktuellen Entwicklungen mitgeht – ein Museum in Bewegung.


Jana Baumann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Gegenwartskunst. Ihre Dissertationsschrift „Museum als Avantgarde. Museen moderner Kunst 1918–1933“ ist kürzlich im Deutschen Kunstverlag erschienen. Am 17. Mai 2017 spricht sie im Städel Museum über die Gründung des Deutschen Museumsbundes und die Demokratisierung des Kunstmuseums vor 100 Jahren.

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