Das Städelkomitee 21. Jahrhundert ist ein deutschlandweit einzigartiges Gremium, das uns den Ankauf zeitgenössischer Kunst ermöglicht. Zum ersten runden Geburtstag blicken wir auf die schönsten Erwerbungen.
Jahrelang konnten die Frankfurter die Fortschritte der großen Städel Baustelle von außen beobachten: Neben dem historischen Museumsbau wuchs ein markanter Hügel, der schnell selbst zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Als der Erweiterungsbau für Gegenwartskunst, die Städel Gartenhallen 2012 schließlich eröffneten, zeigte sich, was sich in den vergangenen Jahren unter diesem Hügel getan hatte – 80 % der Kunstwerke, die auf den neuen 3000 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentiert wurden, waren Neuerwerbungen der vorangegangenen fünf Jahre. Dem Städelkomitee 21. Jahrhundert verdanken wir viele, vor allem einige ganz besondere Neuerwerbungen. Bereits 2007, also vor genau zehn Jahren, hatte sich dieser engagierte Kreis gebildet: ein deutschlandweit einzigartiges Gremium von derzeit 45 engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die es uns bis heute ermöglichen, die Sammlung der Gegenwartskunst strategisch weiterzuentwickeln.
Die Initiative hat in den letzten zehn Jahren deutliche Spuren innerhalb unserer Sammlung hinterlassen: 159 Werke hat das Städelkomitee 21. Jahrhundert bisher angekauft – darunter Klassiker, Entdeckungen und Wiederentdeckungen. Neben Highlights von Isa Genzken, Philip Guston oder zuletzt Frank Stella finden sich auch viele Künstler mit denen wir den – gängigen – Kanon erweitern konnten, wie Marwan, Hermann Glöckner oder Gerhard Hoehme. Mit den Neuankäufen konnten wir Sammlungskonvolute vervollständigen, internationalisieren und untereinander verknüpfen.
Das Ergebnis ist eine Erzählung der Kunst der Gegenwart, die mit überraschenden Gegenüberstellungen und Nachbarschaften einen Bogen von der Kunst der Nachkriegszeit bis in unsere unmittelbare Gegenwart spannt. Hier einige der schönsten wie wichtigsten Neuankäufe, die zentrale Werkgruppen unserer Sammlung – und zugleich wichtige Entwicklungslinien der Kunst nach 1945 – verstärken und weiterdenken.
Eine Spur der Zerstörung zieht sich durch die Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Grenze zwischen Abstraktion und Gegenstand – den beiden Extremen der künstlerischen Moderne – verschwimmt. Mit den fortschrittsgläubigen Avantgarden hatte die Abstraktion im frühen 20. Jahrhundert ihren Weg in die Moderne gefunden. In den Bilder von Daniel Richter, Corinne Wasmuht oder Philip Guston sieht sich die Figuration, der Mensch unsere immer Welt immer bedroht durch den Abgrund des Ungegenständlichen.
Nach dem zweiten Weltkrieg entstand eine vielschichtige, internationale Bewegung, getragen von Künstlern in Paris, Mailand, Rom, Düsseldorf oder Frankfurt, die von den Zerstörungen des Krieges ebenso geprägt waren, wie von einem unbedingten Willen zu Freiheit und Befreiung. Was alle vereinte: Der Körper, das Abbild des Menschen, verschwindet aus dem Bild und wird abgelöst durch die abstrakte Geste des Künstlerkörpers. Dieser ebenso verstörende wie befreiende Neuanfang blieb über Jahrzehnte zeitgenössisch. K. O. Götz etwa, Mitbegründer des deutschen Informel, hat dieses Bildkonzept bis zu seinem Tod 2017 verfolgt.
Das Quadrat ist der Nullpunkt der abstrakten Malerei, aus ihm entwickelt sich die Geometrische Abstraktion in ihren unterschiedlichsten Varianten bis heute weiter. Die Entwicklungslinie lässt sich ausgehend vom revolutionären Russland oder dem Bauhaus zeichnen bis in die europäische und US-amerikanische Nachkriegszeit. Josef Albers verkörpert diese Verbindung von klassischer Moderne und Nachmoderne, von amerikanischer Nachkriegskunst und ihren Wurzeln in Europa: Er war Schüler und später Lehrer am Bauhaus, 1933 siedelte er in die USA über, wo er an das prägende Black Mountain College berufen wurde – eine der Brutstätten der amerikanischen Nachkriegs-Avantgarden.
Aus ihr gehen etwa die „Shaped Canvases“ von Frank Stella hervor – einer rasanten Neuformulierung des klassischen Tafelbildes, die wir zur selben Zeit auch bei Günter Fruhtrunk in ähnlicher Weise beobachten können. bei Victor Vasarely oder François Morellet wird das Raster und die Strenge der Abstraktion unscharf und beginnt sich zu bewegen. Noch weiter gehen Daniel Buren oder John M Armleder, die sich mit der minimalistisch-geometrischen Tradition auseinandersetzen, jedoch das Bild und die Fläche verlassen.
Die Malerei als Fenster zur Welt – diese Jahrhunderte währende Tradition ging im Laufe des 20. Jahrhunderts offenichtlich verloren. Das Fenster wurde blind, der Raum aus der Malerei vertrieben. Die Realität findet sich als Collage, als Readymade oder Objet trouvé in einer Vielzahl nun kunstwürdiger Materialien mitten im Bild wieder.
Die Malerei wagt sich ins Konzeptuelle vor und wird mit anderen Mitteln fortgesetzt. Dabei kann alles Alltägliche ästhetisch interessant werden: Wäscheleinen und abgerissene Plakate, Plastikmüll, Nägel, Kommoden oder schlicht Wandputz, Daniel Burens gestreifter Markiesenstoff ebenso wie die glitzernden Folien bei Isa Genzken oder Relikte aus dem Baumarkt bei Jessica Stockholder.
Lange galt die Fotografie als Abbild der Realität. Dieses Verständnis stellen die Fotokünstler seit Ende der 1970er Jahre auf den Kopf. Mit digitalen und analogen Mitteln, aber auch durch Inszenierungen erobern sie sich einen Gestaltungsraum, der zuvor der Malerei vorbehalten war.
Wolfgang Tillmans paper drop (window) zeigt ein gebogenes Fotopapier, das einer starken Lichtquelle ausgesetzt ist. Unabhängig davon, ob der Künstler eine Kamera benutzt oder das Fotopapier direkt beleuchtet, formt das Licht das Bild auf seiner Oberfläche. Auch in Tamara Grcics malerischen Rückansichten anonymer Passanten in den Straßen New Yorks werden Fotografie und Malerei, Gegenstand und Abstraktion zu sich gegenseitig bedingenden Gestaltungsmitteln.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts erweitert sich das Feld der Skulptur in ähnlich vielfaltige Richtungen wie jenes der Malerei. Neue „unkünstlerische“ Materialien werden verwendet, Objekte werden in Bewegung versetzt und der Betrachter wird als aktiver Teil des Kunstwerks hinzugefügt.
Norbert Krickes filigrane Raumplastik WeißBlau-Rot besetzt nicht den Raum, sie tritt mit ihm in einen Dialog. Bei Günther Ueckers Sandmühle dreht sich ein Pflug unablässig im Kreis und durchfurcht eine Sandfläche. Wie Uecker kommt auch Adolf Luther aus dem ZERO-Umfeld. An der Außenwand des Ausstellungshauses sind seine bekannten Hohlspiegel angebracht, die das Licht brechen und zur Geltung bringen. Bewegt man sich weiter durch den Städel Garten, entdeckt man viele weitere Werke, die nicht nur mit der Umgebung, sondern auch mit dem Besucher interagieren.
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