Frank Stella gehört zu jener Künstlergeneration, die seit den 1960er-Jahren die Malerei in den Raum erweitert hat. Die Serie Polish Village stellt einen Wendepunkt in seinem Schaffen dar.
Lässt sich Räumlichkeit im Zweidimensionalen auch anders als durch perspektivische Darstellung und optische Kniffe bewirken? Wie schaffen Flächen, Farben und Formen einen tatsächlichen, realen und nicht illusionistisch erzeugten Bildraum?
Der US-amerikanische Maler und Objektkünstler Frank Stella machte diese Fragen zum zentralen Thema seines künstlerischen Schaffens. Damit zählt er zu den wichtigsten Protagonisten jener Künstlergeneration, die die Erweiterung des Malerischen in den Raum seit den 1960er-Jahren kontinuierlich vorantrieb. „Letztlich geht es in der Kunst immer darum, Raum zu schaffen – Raum, in dem der Gegenstand des Bildes leben kann. Das war seit jeher das Anliegen der Malerei“, sagte Stella in einer Vorlesungsreihe zur Kunst der Alten Meister Anfang der 1980er-Jahre.
In seiner eigenen Kunst hatte sich Stella mit der Serie Polish Village selbst ganz neue Bildräume eröffnet. Die Werkgruppe ist sowohl in ihrer Erscheinungsform als auch in ihrer Technik neuartig und stellt innerhalb Stellas Gesamtwerks einen entscheidenden Wendepunkt dar. Das vom Städelkomitee 21. Jahrhundert für die Sammlung des Museums neu erworbene Cieszowa III (1973) ist Teil dieses 130 Werke umfassenden Konvoluts, an dem Stella zwischen 1970 und 1973 arbeitete. Jedes Werk daraus ist nach einem polnischen Dorf benannt, in dem einst eine hölzerne Synagoge stand, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde.
Cieszowa III bewegt sich an der Grenze zwischen Gemälde und Relief, es ist ein Wandobjekt, das aus dem zweidimensionalen Bildformat ins dreidimensionale Plastische übergeht. Seine klar abgegrenzten geometrischen Formen lösen sich subtil, aber merklich aus der Bildoberfläche heraus und verleihen dieser dadurch eine besondere Körperhaftigkeit und Lebendigkeit.
Stella entwickelte die Wandobjekte der Polish Village-Serie aus seinen früheren abstrakten Malereien – etwa den minimalistischen Black Paintings, den unregelmäßigen Shaped Canvasesund kraftvollen Irregular Polygon Paintings, in denen die einheitliche Bildoberfläche rein visuell aufgebrochen wird. In diesen Gemälden wird die Leinwand allein durch Linien und Farben gegliedert, der Bildraum wandert durch Illusion und optische Täuschung in die Tiefe beziehungsweise dem Betrachter entgegen.
In Cieszowa III lösen sich und kippen einzelne Bildelemente tatsächlich aus der (imaginären) Grundfläche heraus: In der Mitte neigt sich das obere Eck des grauen Dreiecks gen Besucher, die zwei hellbraunen Elemente darüber bilden dazu ein Gegengewicht. Auch die grünen und türkisfarbenen Flächen sind miteinander verkantet. Jede Form scheint in einem anderen Winkel in eine andere Richtung zu ziehen – mit dem Ziel, die homogene Bildoberfläche zu sprengen.
Stella gelangte zu diesem Erscheinungsbild in mehreren Arbeitsschritten. Jedes Werk der Polish Village-Serie gibt es in zwei oder gar drei Varianten, in denen er auch mit der farblichen Zusammenstellung experimentierte: Während sich in der jeweils ersten Version aus Papier, Filz und Leinwand die Höhen der einzelnen Elemente nur minimal unterscheiden, steigert die zweite Variante den Objektcharakter der Bilder, da Stella hierfür Materialien wie Sperrholz, Hartfaserplatte und Pappe verwendete. Existiert eine dritte Version, wie etwa mit Cieszowa III, neigen sich in dieser die einzelnen Ebenen zusätzlich in unterschiedlichen Winkeln. So entsteht eine reliefartige Struktur mit mehreren Höhen und Tiefen.
Damit verlässt Stella die bekannte Kategorie des Tafelbildes und geht über das objekthafte Gemälde, beziehungsweise das Wandobjekt schrittweise in den Raum – in den Ausstellungsraum und in den Raum der erweiterten Malerei.
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