Zwei Jahre verbrachte das Gemälde „Christus an der Geißelsäule“ in der Restaurierungswerkstatt. Ob verworfene Ideen des Künstlers oder Spuren früherer Restaurierungen – alles kommt ans Licht.
In einem dunklen Bildraum steht der Gottessohn gefesselt an der Geißelsäule. Schicksalsergeben erwartet er die Schläge von Pontius Soldaten. Die monumentale Szene des Christus an der Geißelsäule schuf Guido Reni um 1604, kurz nach seiner Übersiedlung nach Rom. Das Gemälde, auch Ausdruck Renis kurzer, aber intensiver Rezeption Caravaggios, ist ein einzigartiges Zeugnis der italienischen Barockkunst im 17. Jahrhundert.
1875 wurde das Werk vom Städel Museum in Frankfurt erworben und seit vielen Jahren dauerhaft in der Sammlung Alte Meister präsentiert. Bis vor kurzer Zeit konnte die qualitätsvolle Malerei durch die Folgen von Materialalterung und mehrfachen Altrestaurierungen jedoch nicht in vollem Umfang vom Betrachter wahrgenommen werden. Die stark beeinträchtigte Ästhetik gab Anlass, das Werk vorbereitend zur Ausstellung „GUIDO RENI. Der Göttliche“ umfassend zu restaurieren. Nach knapp zweijähriger Untersuchung, Konservierung und Restaurierung kehrt das Werk im Herbst dieses Jahres zurück in die Ausstellungsräume des Städel Museums und findet in der großen Reni-Schau seinen Platz neben Domenichinos Gemälde desselben Themas (Boston, Massachusetts, Privatsammlung).
Der praktischen Arbeit gingen naturwissenschaftliche Untersuchungen voraus, die wichtige Fragen zum Entstehungsprozess, zur Maltechnik, zum Schadensbild sowie zur belebten Restaurierungsgeschichte des Gemäldes erhellen konnten. Studien mit Infrarotreflektographie, Röntgenstrahlung und Makro-Röntgenfluoreszenzanalyse erlaubten, unter die Oberfläche des Gemäldes zu blicken und Arbeitsschritte des Künstlers sowie spätere Eingriffe am Kunstwerk nachzuverfolgen. Mehrere Pentimenti, also vom Künstler vorgenommene kompositorische Veränderungen während des Malprozesses, waren bereits mit bloßem Auge ablesbar.
Der Knoten des Lendentuches wurde mehrfach von Reni überarbeitet und der Faltenwurf am oberen Gewandverlauf merkbar korrigiert. Auf Grundlage der Analysemethoden konnten weitere Abweichungen der Bildkomposition erfasst werden, beispielsweise das Versetzen der Schultern Christi oder die Verkleinerung der Geißelsäule. Zudem wurden einige geplante Bildelemente nicht weiter umgesetzt. So wurden zunächst auf dem Kapitell der Geißelsäule Glieder einer eisernen Kette mit einem bleihaltigen Pigment angelegt und im Malprozess verworfen. Um ein weiteres Pentiment könnte es sich bei den nicht näher identifizierbaren Linien im linken Bildhintergrund handeln. Die Anlage einer kreuzförmigen Aureole um den Kopf Christi ist durch eine Übermalung ebenfalls nicht mehr augenscheinlich. Ob der Künstler selbst vom Entwurf des Strahlenkranzes abgerückt ist oder eine nachträgliche Überarbeitung durch zweite Hand erfolgte, bleibt jedoch ungewiss.
Ohne Zweifel ist jedoch die mehrfache Restaurierung des Gemäldes in der Vergangenheit, die irreparable Beschädigungen verursacht hat. Die originale Leinwand wurde mit Wachs rückseitig auf ein neues Gewebe geklebt. Eine sogenannte Doublierung war im 20. Jahrhundert eine gängige, fast schon seriell ausgeführte Maßnahme, um den textilen Bildträger zu stabilisieren. Doch durch den Einsatz von großem Druck und hoher Temperatur wurden Pastositäten verpresst und die Gewebestruktur in die Malerei eingeprägt. Heutzutage weiß man von den damit verbundenen Gefahren, weshalb die Doublierung minimalinvasiven, gemäldeschonenden Verfahren gewichen ist.
Der Gebrauch von zu starken Lösungsmitteln während einer früheren Restaurierung hat die Malerei in weiten Teilen des Hintergrundes abgetragen. Diese Verputzungen legten nicht nur die Grundierung, sondern stellenweise sogar die Fadenhöhen der Leinwand frei. Die entstandenen Malschichtverluste wurden anschließend flächig übermalt, sodass im Hintergrund die originale Malerei nur noch partiell sichtbar war. Der Firnis, ein abschließender transparenter Überzug aus Harzen, war deutlich vergilbt. Die originale Farbigkeit, Raumtiefe und Plastizität der Darstellung blieben unter dem gelben Schleier verborgen.
Basierend auf den Befunden der gemäldetechnologischen Untersuchung wurde ein Konzept zur nachfolgenden Konservierung und Restaurierung erarbeitet. Das maßgebliche Ziel: Die Erhaltung des überlieferten Originalbestandes bei Respektierung des gealterten Zustandes und der individuellen Objektgeschichte. Verwendete Materialien und Methoden müssen reversibel und praktisch erprobt sein, sodass keine irreparablen Schäden entstehen können. Eine gründliche Dokumentation der Restaurierungsmaßnahmen gewährleistet, dass alle ergriffenen Maßnahmen nachvollziehbar bleiben.
Nach einer Reinigung der Gemäldeoberfläche wurde die vergilbte Firnisschicht mit Wattestäbchen und einem Lösemittelgemisch behutsam reduziert. Dabei erfolgte auch eine Teilentfernung von alten, nachgedunkelten Retuschen und Übermalungen. Fragile Malschichtschollen konnten mit einem Klebemittel gefestigt werden. Fehlstellen in der Malerei wurden durch eine Kittung und Retusche zurückhaltend geschlossen und in die Darstellung integriert. Durch den Auftrag eines neuen Firnisses gewann das Gemälde Glanz und Tiefenlicht zurück.
Die feinen Farbnuancen, wie die zarten Rötungen des Inkarnats, und das caravaggeske Spiel aus Licht und Schatten kommen nun wieder zum Vorschein. Deutlich fassbar wird auch erstmals die Hintergrundmalerei: Die plastische Ausgestaltung der Geißelsäule und des Steinbodens treten deutlich hervor. Ebenfalls definiert zeigen sich nun die Konturlinien detailreicher Malschichtpartien, so auch der fein ausgearbeitete Faltenwurf des Lendentuches. Die künstlerische Handschrift und hohe Könnerschaft Renis wird für den Betrachter nun wieder erfahrbar.
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