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„Unter der Konsole“ von Edgar Ende

Was gibt es Neues in der Sammlung der Kunst der Moderne? Rätselhaftes, Phantastisches und Visionäres! Dank der großzügigen Unterstützung des Städelschen Museums-Vereins konnte das Gemälde „Unter der Konsole“ (1933) von Edgar Ende erworben werden. Mehr über Künstler und Werk

Maureen Ogrocki — 4. Dezember 2015
Surreale Bildwelt: Edgar Ende (1901–1965); Unter der Konsole (1933); Öl auf Leinwand, 70,5 x 90,5 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.; © VG Bild-Kunst Bonn 2015; Foto: Städel Museum – Artothek

Surreale Bildwelt: Edgar Ende (1901–1965); Unter der Konsole (1933); Öl auf Leinwand, 70,5 x 90,5 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.; © VG Bild-Kunst Bonn 2015; Foto: Städel Museum – Artothek

Rätselraten

Man könnte meinen, wir befinden uns an der Schwelle zu einer Parallelwelt und sind eingeladen sie zu überqueren: Vor uns breitet sich ein durch rote Linien angedeuteter Weg aus. Er führt durch eine karge, traumartige Landschaft und verläuft sich am Horizont. Eine Gruppe nackter Männer begegnet uns im Vordergrund. Sie drängen sich im Schatten einer Konsole dicht aneinander und scheinen den Bereich außerhalb des Vorsprungs wie eine Gefahrenzone zu meiden. Nicht weniger rätselhaft ist ein einzelner Pfahl inmitten der Landschaft, dem all ihre Aufmerksamkeit gilt. Wer die Männer sind und wohin die Linien führen erfahren wir nicht. Edgar Ende (1901–1965) zieht den Betrachter in eine surreale Bildwelt, in der die Motive zwar vertraut sind, durch das Arrangement jedoch unerklärbar erscheinen. Dieses Rätselraten macht einen wesentlichen Teil der Faszination der Werke Endes aus. Wenn er nach der Bedeutung seiner Bilder gefragt wurde, antwortete er: „Ich habe mir gar nichts dabei gedacht. Sie sollen sich etwas dabei denken.“

Geistiges Auge

Dank seines Sohnes Michael ist überliefert, wie Edgar Ende bei seiner Motivsuche vorging: Er verriegelte sein Atelier, verdunkelte die Fenster, legte sich mit geschlossenen Augen auf ein Sofa und konzentrierte sich auf – nichts. Viele von Euch kennen das Prozedere vom Yoga-Kurs, Autogenem Training oder Meditieren. Ende entleerte sein Bewusstsein um – wie Michael Ende schreibt – Bilder zu „fangen“, die der geistigen Welt entspringen. Sobald ihm ein Motiv erschien, skizzierte er es flüchtig auf seinem Notizblock. Dieser Taktik blieb Ende zeitlebens treu, kultivierte sie sogar, um best- und schnellstmöglich das Gesehene im Dunkel festzuhalten. Er installierte eine winzige Glühbirne an einen Bleistift, von der ein Kabel mit einem Schalter zu einer Batterie führte. Bis zu 24 Stunden konnte es dauern, bis Edgar Ende seine Dunkelkammer verließ. Aus den unzähligen Skizzen entstand im Laufe der Jahre ein Sammelsurium, das ihm als Motivarchiv diente. Aus den Vorstudien formte Ende wiederum die Bildwelt seiner Gemälde, in denen er verschiedenste Elemente miteinander verband und in rätselhafte Beziehung zueinandersetzte – so, wie in „Unter der Konsole“.

Detail aus dem Werk von Edgar Ende.

Detail aus dem Werk von Edgar Ende.

Wie der Vater, so der Sohn

Der Michael Ende, fragt ihr Euch? Ganz genau! Edgar Ende ist der Vater des weltberühmten Autors (1929–1995), der Erzählungen wie „Momo“ oder „Die unendliche Geschichte“ schuf. Betrachtet man Gemälde wie unseren Neuzugang, ist eindeutig, aus welcher fantastischen Welt Michael Ende Inspiration schöpfte. Es finden sich vielfach Anspielungen auf das künstlerische Schaffen seines Vaters. Erinnert Euch zum Beispiel an das mysteriöse Nichts aus der „Unendlichen Geschichte“, das die Fantasie zu rauben droht und an die ungewisse Reise durch unheimliche Welten, die der Protagonist Bastian unternimmt. Ob jung oder alt, die Thematik verliert nicht an Reiz.

Fakten, Fakten, Fakten

Edgar Ende wuchs in seiner Geburtsstadt Hamburg-Altona auf, wo er eine Lehre als Dekorationsmaler absolvierte und im Anschluss die dortige Handwerker- und Kunstgewerbeschule besuchte. 1921 wurde er Mitglied des Altonaer Künstlervereins. Anfang der 1930er-Jahre zog Ende nach München und wurde Mitglied der Münchener Secession. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte er zu den Mitbegründern des Berufsverbandes Münchener Künstler und der Neuen Gruppe, nahm an der Biennale in Venedig und zahlreichen Gruppenausstellungen teil. 1951 lernte Ende André Breton in Paris kennen und begründet die Internationale Vereinigung der Surrealisten mit, obwohl er sich schon bald vom Kreis der französischen Surrealisten distanzierte. Dieses Jahr, am 27. Dezember jährt sich Endes Todestag zum 50. Mal. Ein Grund mehr, sein Œuvre in Erinnerung zu rufen.

Ende im Städel

Endes Werke wurden im Zweiten Weltkrieg als „entartet“ diffamiert. Als sein Münchener Atelier bei einem Fliegerangriff getroffen wurde, verbrannte ein Großteil seiner Arbeiten, weshalb der Künstler zunehmend in Vergessenheit geriet. Die Neuerwerbung des Städel Museums von 1933 zählt zu den wenigen Gemälden Endes, die vor der Nazizeit entstanden sind und gerettet werden konnten. „Unter der Konsole“ ergänzt hervorragend den konzentrierten Bestand zur Kunst des Surrealismus in der Sammlung der Kunst der Moderne und wird Gemälden von Max Ernst und Auguste Chabaud zur Seite gestellt.


Die Autorin Maureen Ogrocki arbeitet in der Abteilung Sammlung Kunst der Moderne im Städel. Wie Edgar Ende mag sie die Kunst von Edvard Munch, Wien und Reibekuchen.

Das Gemälde „Unter der Konsole“ ist derzeit in der Sammlung der Moderne im Gartenflügel ausgestellt.

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