Navigation menu

Städel Museum Städel Museum

Wenn jemand eine Reise fotografiert

Heute bringen wir aus unseren Urlauben oft hunderte Fotos mit. Vor 150 Jahren war das Fotografieren in der Ferne noch ein mühseliges Unterfangen: Man brauchte viel Geduld – und manchmal auch ein Huhn.

Kristina Lemke — 2. August 2018

„Nichts glich so sehr dem Himmel über der Normandie wie der Himmel über Ägypten zu dieser Stunde. […] Hätten Minaretten und Palmen es nicht eindeutig bewiesen, hätte man sich nur mit Mühe in Afrika gewähnt,“ schreibt der Schriftsteller Téophile Gautier 1869 enttäuscht über seine Ägyptenreise, die er sich durch zuvor begutachtete Gemälde irgendwie „exotischer“ erträumt hatte. Klar, dass er den Einzug der Fotografie feierte und sogar selbst zur Kamera griff: Das Medium versprach endlich wirklichkeitsgetreue Darstellungen. Das hatte jedoch zur Folge, dass die Arbeiten zahlreicher Maler und Grafiker nicht mehr gefragt waren und sie ihren Beruf an den Nagel hängen konnten oder zur Fotografie wechselten.

Goodbye Deutschland!

Der Sachse Alfred Noack war eigentlich ausgebildeter Holzschnitzer. Ende der 1850er Jahre wanderte er jedoch nach Italien aus, wo er sein Glück als Fotograf versuchte. Nach vier Jahren in Rom eröffnete er ein Fotoatelier in Genua und setzte sich intensiv mit der ligurischen Küstenlandschaft auseinander.

680_Noack_Fischerboot_1870_

Alfred Noack, Genova: Fischerboot am Strand von Nervi, Blick auf Torre Gropallo und Monte Fasce, ca. 1870, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main

Mit seinen Landschaftsaufnahmen knüpfte er an die Vedutenmalerei des 18. Jahrhunderts an – eine Ästhetik, die sich schnell zum Trend in der neuen Fotografiebranche entwickelte. Staffageelemente wie verlassene Boote und schippernde Gondolieri machten aus den Fotografien der Mittelmeerküste und der Stadtkulissen suggestive Stimmungsbilder. Die sorgsame Behandlung der Abzüge erzeugte zudem eine atmosphärische Wirkung: Durch feine Hell-dunkel-Abstufungen erhielten die Fotografien eine Tendenz zum Malerischen.

1284_Sommer_Entlausung_1870

Giorgio Sommer: Neapel: Entlausung, ca. 1870, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main

174_Sommer_Fontana_Pompei_1

Giorgio Sommer, Pompeji: Brunnen in der Casa del gran balcone, ca. 1865, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main

Eines der erfolgreichsten Unternehmen führte der in Frankfurt am Main geborene Georg Sommer in Neapel. Nachdem der Vater in einer Nacht das gesamte Familienvermögen verspielt hatte, emigrierte der ausgebildete Kaufmann 1856 nach Italien: Aus Georg wurde Giorgio. Mit seinen Aufnahmen richtete er den Blick auf das einfache Leben der italienischen Bevölkerung und ergänzte damit das vorherrschende Bild Italiens als mediterranem Sehnsuchtsort. Die oftmals gestellten Genreszenen galten als beliebtes Souvenir, weil sie die Erwartungen der Reisenden erfüllten, südlich der Alpen eine vorindustrielle und somit ursprüngliche Lebenswelt vorzufinden.

145_Naya_Venedig_1875

Carlo Naya, Venedig: Blick auf Markusbibliothek, Campanile und Dogenpalast, ca. 1875, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main

Schwitzen und stillhalten

Den Reiz des Fremden vermitteln auch die Ansichten der Fotografen, die in den 1850er-Jahren den Nahen Osten bereisten. Entsprechend der sogenannten Grand Tour, einer Bildungsreise des gehobenen Bürgertums, verschob sich auch die Reiseroute der Fotografen von Mitteleuropa, vor allem Italien und Spanien, in den Nahen Osten. Im 19. Jahrhundert war der Bilderhunger nach Aufnahmen aus dem sagenumwobenen Ägypten immens.

Das Land bot neben der Vielzahl an spektakulären Altertümern auch den entscheidenden Vorteil, dass fast sämtliche Sehenswürdigkeiten unweit des Nils liegen: So ließen sich die aufwendigen Kameraausrüstungen relativ gefahrlos per Boot transportieren. Die Hitze machte den Fotografen jedoch sehr zu schaffen. Bei besonders entlegenen Orten mussten sie wegen der lichtempfindlichen Emulsionen immer auch eine Dunkelkammer aufbauen, um noch vor Ort ihre Bilder zu entwickeln. Für die Abzüge präparierten sie die Papiere mit Hühnereiweiß (Albumin) als Bindemittel und Grundlage für die bilderzeugenden Substanzen – weshalb oftmals auch ein Huhn im Schlepptau war.

Frith_Kiosk-des-Trajan_1857

Francis Frith: Der Kiosk des Trajan auf der Nilinsel Philae, 1857, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main

Mit hohen Temperaturen und schwer zugänglichen Gebieten hatte wahrscheinlich auch Francis Frith zu kämpfen, dem vermutlich das Boot vor dem Kiosk des Trajan gehört. Angesichts der architektonischen Wucht, die von dem mittig ins Bild gesetzten Monument ausgeht, fällt der Mann rechts im Bild kaum auf – und doch ist er ein wichtiger Bestandteil: Er verdeutlicht einerseits die Dimension des Bauwerks, andererseits lässt seine Bekleidung an Bilder des Orients denken, wie sie europäischen Vorstellungen entsprachen. Er musste allerdings bis zu zwei Minuten stillhalten, damit er auf dem Bild nicht verwackelte.

Das erklärt auch, warum auf den alten Fotografien so wenig Menschen zu sehen sind. Nebenbei bemerkt können wir auf den Bildern so manche Details entdecken, die bei dem heutigen tourstischen Trubel vor Ort untergehen würden. In den angenehm klimatisierten Kabinetträumen der Moderne lässt sich übrigens jederzeit eine Grand Tour unternehmen.

398_VanLint_Pisa_1855

Enrico van Lint: Pisa: Der Schiefe Turm, ca. 1855, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main


Die Autorin Kristina Lemke hat den fotografischen Altbestand des Hauses aufgearbeitet und fühlte sich bei der Entdeckung des Fotoschatzes wie eine Indiana Jones des Museums.

Auch die aktuelle Retrospektive der Fotografin Ursula Schulz-Dornburg, „The Land In-Between“,  führt in die Ferne - zu Orten am Rande unserer westlichen Wahrnehmung.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Ursula-Schulz-Dornburg-Transit-Orte,-Armenien---Erevan-Gyumri-2004
    Ursula Schulz-Dornburg

    Im Dazwischen der Welt

    Transitorte, Grenzen und Stätten vergangener Kulturen – Ursula Schulz-Dornburg blickt auf Orte am Rande unserer westlichen Wahrnehmung. „The Land In-Between“ zeigt ihre Fotografien nun erstmals in einer Retrospektive.

  • Marta-Hoepffner-Akt-Bewegung-1940
    Das Modell von Marta Hoepffner

    „Da haben wir uns was getraut“

    Veronika Dyckerhoff war in den 40ern ein gefragtes Modell. Heute ist sie 100 Jahre alt und erinnert sich noch sehr gut an die Zeit, als auch die Frankfurter Fotografin Marta Hoepffner sie nackt in Szene setzte.

  • Man-ray-schwarz-und-weiß-1926-städel
    Fotografie im Städel

    150 Jahre Dornröschen­schlaf

    Das Städel beherbergt eine der bedeutendsten Fotografiesammlungen in Deutschland. Dass diese Bilder gleichberechtigt neben Gemälden hängen, ist jedoch relativ neu – und das Resultat einer turbulenten Geschichte.

  • Alexander-Eiling-Städel-Moderne 2
    Neuer Sammlungsleiter Alexander Eiling

    „Ich lerne jeden Tag etwas“

    Dürfen wir vorstellen: Alexander Eiling ist neuer Sammlungsleiter für die Kunst der Moderne, überzeugter Frankfurter – und nicht zum ersten Mal am Städel.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Giorgio Sommer, Amalfi Uferpromenade, ca 1860-1870, Städel Museum, Public Domain
    Mitmachen auf Instagram

    Wann hatten Sie #italienvoraugen?

    Egal ob die nächste Reise nach Bella Italia in Kürze ansteht, ihr euch an tolle Trips erinnert oder zuhause Italien-Feeling aufkommen lasst: Macht mit und zeigt uns Italien durch eure Augen!

  • Unbekannter Fotograf, Roederstein zwischen zwei Selbstporträts, 1936
    Das Roederstein-Jughenn-Archiv

    Aus dem Leben einer Künstlerin

    2019 erhielt das Städel Museum als großzügige Schenkung aus Privatbesitz ein umfangreiches Konvolut des Nachlasses von Ottilie W. Roederstein. Seitdem wird der Archivschatz nach und nach gehoben. Wir stellen ihn vor.

  • Sammlungsbereich Kunst der Moderne, Ausstellungsansicht, Foto Städel Museum Norbert Miguletz
    Fünf Fragen zur Umgestaltung

    Neue Nachbarschaften

    Wie wirken die Publikumslieblinge aus dem Sammlungsbereich Kunst der Moderne durch die neuen Wandfarben und was sind die persönlichen Highlights der Kuratoren? Alexander Eiling, Juliane Betz und Kristina Lemke geben Einblicke.

  • Umbau 2021 Alte Meister Katrin Binner 5
    Philipp Demandt im Interview

    Neue Farben für Alte Meister

    Da tut sich was! Wieso die Alten Meister gerade jetzt geschlossen sind und auf was wir uns freuen können, wenn der Sammlungsbereich im Herbst wieder öffnet, verrät Direktor Philipp Demandt im Interview.

  • Erich Salomon, Lugano, Dezember 1928, 1928, Silbergelatine-Abzug auf Barytpapier, © Erich Salomon
    Zeitschriften der letzten 100 Jahre

    Was uns das Gestern über das Heute sagt

    Was gute Pressefotografie ausmacht haben wir einen gefragt, der es wissen muss: Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler sammelt seit über 30 Jahren Zeitschriften als Zeugnisse der Alltagskultur.