Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft sind zentrale Themen in Annegret Soltaus Kunst. Ein Blick auf ihre Werke, mit denen sie oft Tabus gebrochen hat – sowohl visuell, als auch kulturell und politisch.
Bereits seit den 1970er Jahren stellt Annegret Soltau die private und wenig sichtbare Erfahrung von Schwangerschaft in das Zentrum ihrer Arbeit. Als Pionierin im feministischen Diskurs tritt sie dieser Unsichtbarkeit entgegen und hinterfragt gesellschaftlich geprägte Vorstellungen von Weiblichkeit, indem sie ihren eigenen Körper und die eigene Biografie als künstlerisches Material nutzt. Die mehrteilige Fotoradierung „Ich wartend“ (1978/79) etwa entstand während und nach ihrer ersten Schwangerschaft. Die Verletzlichkeit und Angst, mit der sie als werdende Mutter konfrontiert ist, werden mit jedem Abzug der Fotografie greifbarer: Das Abbild ihrer Person sowie ihr Spiegelbild lösen sich im letzten Teil der Serie bis zur vollkommenen Schwärze auf.
Soltau idealisiert die Schwangerschaft nicht, sondern zeigt die intensive Erfahrung in all ihrer Ambivalenz. Sie setzt das Warten auf die Geburt keineswegs mit der „freudigen Erwartung“ gleich, einer christlich entlehnten Metapher für den Zustand der Schwangerschaft. Für die Künstlerin ist diese Zeit voller Ungewissheit, in der sie sich mit ihren existenziellen Ängsten, körperlichen, gesellschaftlichen und finanziellen Veränderungen beschäftigt. Dabei geht es ihr auch um eine veränderte Wahrnehmung schwangerer Frauen und ihres gesellschaftlichen Status. In Soltaus feministisch geprägtem Umfeld war es damals verpönt, als Künstlerin Mutter zu werden. Bis heute wird die Vereinbarkeit dieser beiden Rollen oft in Frage gestellt, da Mutterschaft immer noch mit der Selbstaufgabe der Frau gleichgesetzt wird.
Zentral für die Auffassung von Mutterschaft in der westlichen Kunst war und ist bis heute die Mutter Jesu. Die „Maria Lactans“ ist ein Bildtypus, der Maria beim Stillen des Jesuskindes zeigt, die „Mater Dolorosa“ (Schmerzensmutter) steht für die lebenslange Sorge Marias um ihren Sohn und in der „Pietà“ hält sie den toten Körper des erwachsenen Jesus Christus. Was jedoch fehlt, ist die Geburt selbst, sie bleibt in der Darstellung der wohl berühmtesten Mutterfigur der christlichen Ikonografie unsichtbar.
Annegret Soltau widersetzt sich einer solchen Idealisierung der Mutter. Der weibliche – ihr eigener – Körper wird nicht zur gefälligen Darstellung, sondern als Austragungsort radikaler, einschneidender Veränderung gezeigt. Eine Veränderung, die mit psychischem Ringen und körperlichen Schmerzen verbunden ist, wie „Auf dem Geburtstisch schwanger II“ (1978) deutlich macht. Die Atmosphäre wirkt kalt und klinisch, der Schambereich ist mit zahlreichen Stichen und Nähten notdürftig zusammengeflickt. Für viele Frauen stellt die Geburt eine existenzielle Grenzerfahrung dar, die auch mit körperlicher Gewalt und Verletzung verbunden ist.
Soltau setzt sich nicht nur mit der Mutterrolle auseinander, sondern auch mit der Beziehung zu ihrer eigenen Mutter. 1946 in Lüneburg geboren, wächst sie ohne Vater auf. Er war Soldat und bleibt in ihrer Biografie ungreifbar. Unverheiratet und alleinerziehend gibt ihre Mutter die Fürsorge in der prekären Nachkriegszeit an Soltaus Großmutter ab – ein früher Bruch im Leben der Künstlerin.
In der Serie „generativ“ hat sich Soltau explizit mit ihrer weiblichen Abstammungslinie beschäftigt und sich so ihrer Mutter angenähert. Vor neutralem Weiß fotografierte sie ihre Tochter, sich selbst, ihre Mutter sowie – stellvertretend für die bereits verstorbene Großmutter – eine Nachbarin. Die Frauen sind nach Alter aufgereiht und durch die ineinandergelegten Arme miteinander verbunden. Ihre Gesichter und Oberkörper hat Soltau entfernt und untereinander wieder vernäht, die Jüngste trägt die Brüste der Ältesten und umgekehrt. Sichtbar wird ein zyklisches Bild weiblicher Existenz: Die Jugend lebt im Alter fort, ebenso ist das Kommende bereits im Jetzt angelegt. Der patriarchalen Erblinie stellt die Künstlerin eine weibliche Genealogie entgegen, die Frauen, die Mütter in ihrer Familie rücken ins Zentrum.
Annegret Soltau, generativ – Selbst mit Tochter, Mutter und Großmutter, 1994–2005, Archiv Annegret Soltau, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Fotodesign Hefele Darmstadt
Soltaus Arbeiten konfrontieren den Betrachter mit körperlichen Prozessen und widersetzen sich einem sogenannten „male gaze“, dem männlichen Blick. Der Begriff beschreibt laut des Kunsthistorikers John Berger (1972) die vorherrschende Sehweise, in der Frauen nicht als handelnde Subjekte, sondern als passive Objekte männlicher Betrachtung inszeniert werden. Besonders im weiblichen Akt zeigt sich dieser Blick: über Jahrhunderte hinweg idealisiert, erotisiert und entindividualisiert – stets gesehen durch männliche Augen und selten aus der Perspektive der Frauen selbst. Insbesondere im Kontext der feministischen Avantgarde der 1970er Jahre begannen Künstlerinnen sich ihren Körper wieder anzueignen und sich von dem erlernten „Blick“ zu befreien.
Soltaus Arbeit „Körper-Eingriffe (schwanger), Triptychon“ (1977/1978) ist dafür ein Beispiel: Nacktheit wird hier nicht erotisch inszeniert, sondern als Ausdruck der eigenen physischen Realität genutzt. Im mittleren Teil der Fotovernähung hält die Künstlerin die Hände vor ihren nackten Körper, als wolle sie einen schwangeren Bauch formen: ein Ausblick, auf das was kommen wird. In den zwei flankierenden Selbstporträts steht sie starr gerade, ihr Oberkörper ist fragmentiert mit verschiedenen Brüsten, prall von der Schwangerschaft, aber auch eine flache Brust – vielleicht sogar eine männliche Brust – ist erkennbar. Mit dieser Aktdarstellung, wie auch mit anderen Werken, stellt Soltau das weibliche Körperbild in einen neuen Kontext. Ihre Kunst ist somit nicht nur Affirmation des Weiblichen, sondern auch eine Dekonstruktion gesellschaftlicher Zuschreibungen.
Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.