Navigation menu

Louise Schmidt: Bildhauerin!

Der erste Teil der Porträt-Reihe „Städel / Frauen“ nimmt Louise Schmidt und die aufwendige Restaurierung des Werks „Sitzender Knabe“ in den Fokus: Wer war die Bildhauerin und was macht ihre Arbeit so besonders?

Eva-Maria Höllerer — 9. Oktober 2023

Ein verborgener Schatz aus dem Depot des Städel Museums wird im nächsten Jahr erstmals ausgestellt: Die Marmorskulptur „Sitzender Knabe“ ist eines der wenigen erhaltenen Kunstwerke der Frankfurter Bildhauerin Louise Schmidt (1874–1942). Im Zuge der Recherchen für das Forschungs- und Ausstellungsprojekt zu Künstlerinnen-Netzwerken zwischen Frankfurt und Paris, das ab Juli 2024 präsentiert wird, wurde die Skulptur aufwendig restauriert.

Das Werk stammt aus dem alten Sammlungsbestand der Städtischen Galerie im Städel Museum, war jedoch in Vergessenheit geraten. Erst 2005 wurde es inventarisiert, als man die Skulpturenbestände für die Ausstellung „Von Köpfen und Körpern. Frankfurter Bildhauerei aus dem Städel Museum“ aufzuarbeiten begann. Doch der „Sitzende Knabe“ wurde noch nie ausgestellt. Denn über die Zeit im Depot hatte sich eine Patina aus Staub darauf abgesetzt.

Der „Sitzende Knabe“ vor Restaurierung in einem Depot des Städel Museums, Foto: Sven Lubinus

Damit die Marmorskulptur nächstes Jahr erstmals dem Publikum präsentiert werden kann, musste sie von der Diplom-Restauratorin Franziska Müller erst sorgsam gereinigt werden. Was sich zunächst einfach anhört, war ein aufwendiger Prozess, der von der Abteilung Kunsttechnologie und Restaurierung – Gemälde und moderne Skulpturen des Städel Museums begleitet und koordiniert wurde und der viel Wissen und Fingerspitzengefühl erforderte. Nach verschiedenen Tests und vielen Zwischenstufen der Reinigung näherte sich die Expertin für Steinkonservierung langsam dem Endergebnis. 


Tests während der Restaurierung zur stufenweisen Reinigung der Marmorskulptur, Fotos: Franziska Müller

Einen kleinen Vorgeschmack darauf geben die Aufnahmen des „Sitzenden Knaben“, die nach der abgeschlossenen Restaurierung entstanden sind. Nach der Restaurierung zeigt sich, dass es sich um eine bildhauerische Arbeit von besonderer Qualität handelt, die auch anatomisch absolut überzeugend und fein ausgeführt ist. Die Künstlerin wählte für ihre Figur eine sehr komplexe Körperhaltung, die sich folgerichtig in der Krümmung der Wirbelsäule und einer kohärenten Anspannung der Rückenmuskulatur widerspiegelt. Unter den damaligen Umständen ist das durchaus bemerkenswert: Um 1900 waren das Akt- und Anatomiestudium in der Ausbildung von Künstlerinnen noch immer heikel. Aus vorgeblich moralischen Gründen versuchte man Frauen davon auszuschließen. Dieses Argument wurde in Deutschland bis 1919 auch strapaziert, wenn es darum ging, den Ausschluss von Künstlerinnen aus den staatlichen Akademien zu begründen. In der Bildhauerei war ein fundiertes anatomisches Verständnis umso wichtiger, da der menschliche Körper hier allansichtig und oft lebensgroß nachgebildet werden musste. Louise Schmidt signierte ihre Schöpfung, bei deren Ausführung sie dieses Können unter Beweis stellte, auffällig und gut sichtbar.

Louise Schmidt, Sitzender Knabe, um 1900–10, Marmor, 65 x 46 x 54 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main

Detail der Signatur

Wer war Louise Schmidt?

Tatsächlich sind nur wenige Informationen zum Leben von Louise Schmidt überliefert und noch weniger ist über ihre künstlerische Tätigkeit bekannt. Für unser Ausstellungsprojekt, das es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat Künstlerinnen, die in der Frankfurter Kunstszene um 1900 aktiv waren, bekannt zu machen, sind wir tiefer in das Städel Archiv eingetaucht, um mehr über die Bildhauerin herauszufinden.

Sie war die erste Frau überhaupt, die an der Kunstschule des Städel als Bildhauerin ausgebildet wurde. Dazu muss man wissen, dass die Bildhauerei lange als die „männlichste“ Gattung der Kunst betrachtet wurde. Aufgrund der physisch anstrengenden Arbeit und den technischen und materiellen Anforderungen, die diese Kunstform stellte, hielt sich hartnäckig das Vorurteil, Frauen seien dafür ungeeignet. Die Zugangshürden waren für sie in der Bildhauerei noch höher als in der Malerei. So verwundert es nicht, dass Schmidt – wie viele ihrer Kolleginnen auch – zunächst im Damenatelier für Malerei an der Kunstschule des Städel studierte, bevor sie 1893 zu dem Bildhauer Friedrich Christoph Hausmann (1860–1936) wechselte.

1898 wagte die junge Künstlerin dann den Sprung nach Paris und schrieb sich an der Académie Julian ein. Diese private Kunstakademie war vor allem aus zwei Gründen bekannt und gefragt: Sie ließ seit 1868 auch Frauen zu und bot Unterricht im Aktzeichnen auf akademischem Niveau. Um 1900 florierten zahlreiche Schulen dieser Art in Paris und machten die Metropole zu einem Anziehungspunkt für Künstlerinnen aus der ganzen Welt. Schmidts Lehrer in Paris war der renommierte Bildhauer Denys Puech, der seit 1892 an der Académie Julian tätig war und bereits zahlreiche Staatsaufträge ausgeführt hatte. Den Namen eines solch einflussreichen Künstlers in der eigenen Vita als Lehrer angeben zu können, war besonders für Künstlerinnen wichtig und erhöhte die Chancen auf Anerkennung und Erfolg erheblich.

Louise Schmidt umgeben von einigen ihrer Werke in ihrem Atelier im Städelschen Kunstinstitut, Detail, Fotografie, undatiert, Städel Archiv

Lehrerin für Bildhauerei am Städelschen Kunstinstituts

Nach intensivem Studium kehrte Louise Schmidt bereits im Oktober 1899 nach Frankfurt zurück und bezog ein eigenes Atelier im Städelschen Kunstinstitut (Abb. 6). Neben einer regen Ausstellungstätigkeit und verschiedenen öffentlichen Aufträgen begann Schmidt selbst zu unterrichten. Eine ihrer ersten und gleichzeitig ihre bekannteste Schülerin war Marg Moll (geb. Haeffner). Sie machte bei Schmidt ihre ersten Versuche im Modellieren und besuchte die Aktklasse und die anatomische Vorlesung am Institut. Später, in den 1920er- und 30er-Jahren, sollte Moll selbst zu einer der innovativsten deutschen Bildhauerinnen werden.

Louise Schmidt hingegen verfolgte neben ihrer künstlerischen Aktivität gezielt eine „Karriere“ als Lehrende. 1907 bewirbt sie sich erstmals auf die freiwerdende Professorenstelle für Bildhauerei an der Städelschule. Ein sehr selbstbewusster Schritt in einer Zeit, in der man Frauen noch nicht einmal Zugang zu den staatlichen Akademien gewährte und sie vielfach mit beschränkten Ausbildungs- und Ausstellungsmöglichkeiten zu kämpfen hatten. Auch am Städelschen Kunstinstitut war man noch nicht so weit, eine Frau in die Lehrerschaft aufzunehmen. Die Bewerbung wurde abgelehnt und der Posten stattdessen an einen Mann vergeben. Doch Louise Schmidt ließ sich nicht beirren und drängte weiter auf eine Position als Lehrerin, bis man ihr 1912 die Leitung des von ihr initiierten „Meisterateliers für Damen in der Bildhauerei“ übertrug. Sie war damit einer der ersten weiblichen Lehrenden an einer öffentlichen Kunstschule in Deutschland.

Die Recherchen zu Louise Schmidt und ihrer Geschichte gehen weiter. Die Ergebnisse werden in der Sommerausstellung „Städel / Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris“ und dem begleitenden Katalog vorgestellt. Außerdem werden die Besucher natürlich den „Sitzenden Knaben“ sowie Werke ihrer Schülerin Marg Moll und weiterer Frankfurter Bildhauerinnen entdecken können.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Verschollene Gemälde von Frankfurter Künstlerinnen

    Helfen Sie bei der Suche!

    Wo verbergen sich einst bekannte Gemälde von Mathilde Battenberg und Alice Trübner? Ein Aufruf.

  • Ottilie W. Roederstein, Selbstbildnis mit roter Mütze, 1894, Tempera auf Holz, 36 x 44 cm, Kunstmuseum Basel, Geschenk eines Kunstfreundes in Zürich 1936,  Foto: Kunstmuseum Basel – Martin P. Bühler
    Ottilie W. Roederstein

    „Sie gehört zu den modernsten der Frauen“

    Ottilie W. Roederstein war keine Avantgardistin und setzte doch neue Maßstäbe: Als Künstlerin ging sie eigene Wege und ließ bürgerliche Konventionen hinter sich.

  • Unbekannter Fotograf, Roederstein zwischen zwei Selbstporträts, 1936
    Das Roederstein-Jughenn-Archiv

    Aus dem Leben einer Künstlerin

    2019 erhielt das Städel Museum als großzügige Schenkung aus Privatbesitz ein umfangreiches Konvolut des Nachlasses von Ottilie W. Roederstein. Seitdem wird der Archivschatz nach und nach gehoben. Wir stellen ihn vor.

  • Blick vom Garten auf das Roederstein Haus in Hofheim im Juni 2022, Foto: Städel Museum
    Interview

    „Das Haus war eine schlafende Schönheit“

    In Hofheim am Taunus bringen Mark Wahrenburg und seine Frau seit 2010 Stück für Stück die Besonderheiten des Hauses von Ottilie W. Roederstein wieder zum Vorschein. Wie viel der Malerin steckt noch darin?

  • Ottilie W. Roederstein

    Kein Gipfel zu hoch

    Auch auf Reisen ließen sich Ottilie Roederstein und Elisabeth Winterhalter keine Grenzen setzen. Sie eroberten die höchsten Gipfel und weite Wüsten und überwanden dabei auch die geschlechtsspezifischen Normen ihrer Zeit.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Honoré Daumier

    Zur Ernsthaftigkeit der Komik

    Wie Karikaturen funktionieren und warum Daumier für sie ins Gefängnis kam.

  • Der Film zur Ausstellung

    Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig

  • Die Ausstellungen im Städel

    Highlights 2024

    Unser Ausblick auf 2024: Freut euch auf faszinierende Werke von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz, lernt die Städel / Frauen kennen, entschlüsselt die Bildwelten von Muntean/Rosenblum, erlebt die Faszination italienischer Barockzeichnungen und reist zurück in Rembrandts Amsterdam des 17. Jahrhunderts.

  • Städel Mixtape

    #34 Jan van Eyck – Lucca-Madonna, ca. 1437

    Ein ruhiger Moment mit Kerzenschein, ihr seid so vertieft, dass ihr alles um euch herum vergesst: Vor rund 600 Jahren ging es den Menschen ähnlich, wenn sie vor Jan van Eycks „Lucca-Madonna“ gebetet haben. In diesem STÄDEL MIXTAPE geht es um das Andachts-Bild eines raffinierten Geschichtenerzählers. 

  • Städel | Frauen

    Louise Schmidt: Bildhauerin!

    Teil 2 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.