In Hofheim am Taunus bringen Mark Wahrenburg und seine Frau seit 2010 Stück für Stück die Besonderheiten des Hauses von Ottilie W. Roederstein wieder zum Vorschein. Wie viel der Malerin steckt noch darin?
Als erfolgreiche Malerin ließ sich Ottilie W. Roederstein 1909 mit ihrer Lebensgefährtin Elisabeth H. Winterhalter in Hofheim am Taunus nieder. In den letzten hundert Jahren wurde das Gebäude mehrmals umgebaut und dabei schließlich in einzelne Wohnungen unterteilt, die den ehemaligen Eindruck des Anwesens mit angrenzendem Atelier stark verfremdeten. Mark Wahrenburg erkannte das Potenzial, kaufte das Haus 2010 – und bringt seitdem mit viel Hingabe seine Besonderheiten wieder zum Vorschein.
Wie sind sie auf das Haus aufmerksam geworden? Haben Sie Ottilie W. Roederstein bereits gekannt als Sie das Haus entdeckten?
Das war der reine Zufall, ich kannte die Malerin nicht. Meine Familie und ich haben bereits in Hofheim gewohnt, in einem ehemaligen jüdischen Kinderheim. Wenn ich mich mit den Nachbarn unterhielt, über den Gartenzaun oder auch mal beim Kaffee, hatten sie mir ab und an erzählt, was für berühmte Frauen Ottilie Roederstein und ihre Lebensgefährtin Elisabeth Winterhalter waren.
Das hat mich neugierig auf dieses Haus gemacht. Dann habe ich immer mehr zu den beiden recherchiert. Das war vor 20 Jahren. Damals hatte ich versucht alles Mögliche über das Viertel zu erfahren in dem wir wohnen. Ich finde, Kultur und Geschichte sind einfach ein ganz wichtiger Teil unseres Lebens. Ich fühle mich in einem Haus nicht wohl, wenn es nur gut designt oder stabil gebaut ist, es muss auch eine bestimmte Atmosphäre, eine bestimmte Tradition haben.
In welchem Zustand war das Haus, als Sie es übernommen haben?
Das Schöne des Hauses sah man eigentlich nicht. Vor dem Gebäude standen große Bäume und ließen kein Licht herein; innen war es dunkel, muffig und eng. Die Regenrohre hatten schon lange das Wasser nicht mehr abtransportiert und es versickerte direkt an den Mauern. Die Flure waren abgetrennt, um separate Wohnungen zu schaffen, mit abgehangenen Decken. Der großzügige Raumeindruck, den man heute ganz selbstverständlich hat, war weitgehend nicht da. Die Vorbesitzer hatten das Haus 1954 erworben und dann einen großen Umbau gemacht. Von den Originalmöbeln ist dabei nichts erhalten geblieben, außer die Einbauschränke, zum Beispiel der im Dachgeschoss.
Als wir einzogen, war das Haus bereits ein eingetragenes Denkmal. Vor dem Umbau musste ein Restaurator die Historie zurückverfolgen und die Originalfassung von 1908 erkenntlich machen. Dadurch wissen wir zum Beispiel, dass der Eingangsbereich gelb gestrichen war. Das Haus war eine schlafende Schönheit, die erst durch den Rückbau wiederentdeckt werden konnte.
Welche Umbauarbeiten haben Sie vorgenommen?
Im Grunde haben wir beim Umbau das Haus in drei Bereiche aufgeteilt. Im ersten Schritt haben wir 2010 den Wohnbereich von Ottilie Roederstein und Elisabeth Winterhalter im Erd- und Obergeschoss wieder zusammengelegt und das Treppenhaus geöffnet. Ein Jahr später sind wir eingezogen. Einige Jahre später zog dann der letzte Mieter aus der Dachgeschosswohnung aus. Dort waren früher die Dienstbotenzimmer. Auch dieser Bereich war komplett verbaut.
In der zweiten Phase haben wir das Dachgeschoss rekonstruiert und das Dach neu gedämmt und gedeckt, damit das Regenwasser ordentlich ablaufen kann. In Roedersteins ehemaligem Atelier, einem angebauten Kubus, hatte der Vorbesitzer eine Küche abgetrennt und eine Zwischendecke eingezogen.
Momentan bauen wir das Atelier in den ursprünglichen Zustand zurück. Wenn wir diese drei Phasen abgeschlossen haben, ist jede Wand vom Haus einmal saniert worden und das Gebäude im Prinzip in einem Neubauzustand. Natürlich gibt es unzählige Details, zum Beispiel die Fenster, die mittlerweile 115 Jahre alt sind und die immer mal wieder eine neue Dichtrippe brauchen oder deren Energiebilanz diskutiert wird.
Welche Überraschungen gab es?
Eine schöne Überraschung ist, dass ich ständig Menschen treffe, die einen Bezug zu dem Haus haben. Auf der Straße begegne ich oft Nachbarn, die mir erzählen wie es früher war, viele haben hier in der Gegend mal gewohnt und die Älteren haben Winterhalter tatsächlich noch persönlich gekannt.
Gab es besondere Entdeckungen, die vom Leben Roedersteins und Winterhalters erzählen?
Der Nachbar gegenüber schenkte mir das Rosenthal Porzellan, das während der Rheinlandbesetzung ab 1923 in einer Nische im Keller eingemauert war. Er fand es etwa 50 Jahre später. Hofheim gehörte zum französisch besetzten Rheinland, während Frankfurt-Höchst schon nicht mehr besetzt war. Roedersteins Atelierhaus auf der anderen Straßenseite war von französischen Soldaten beschlagnahmt und sie hatte wohl täglich damit gerechnet, dass sie auch in ihr Wohnhaus kommen könnten.
Deswegen hatte sie eine große Schweizer Flagge gehisst – sie hatte kurz vorher die Schweizer Staatsbürgerschaft bekommen und sich davon besonderen Schutz versprochen. Das Atelier war nicht nur ihr Arbeitsort, sondern ihr Ein und Alles. Sie ist bis zu ihrem Tod jeden Morgen in das Atelier gegenüber gegangen, hat ein paar Stunden gemalt und kam dann wieder zurück.
Was macht das Haus aus Ihrer Sicht so besonders?
In jedem Detail der Architektur des Hauses kann ich den Charakter von Roederstein und Winterhalter wiedererkennen. Die beiden Frauen waren auf der einen Seite extrem erfolgsgetrieben, hatten dieses Netzwerk und haben repräsentiert; sie waren wohlhabend, allein die Größe des Hauses zeigt das. Auf der anderen Seite waren sie auch total zurückhaltend, bescheiden und gut zu ihren Mitmenschen. Sie wurden von den Hofheimern geschätzt und wurden schon zu Lebzeiten zu Ehrenbürgern. Ihnen fehlte alles Pompöse und das Haus drückt das schön aus: Es ist ein großes und prächtiges Haus, aber es übt sich auch in vornehmer Zurückhaltung.
Die eigentliche Größe des Gebäudes sieht man von außen nicht. Der Architekt Hermann A. E. Kopf war ein Kollege Roedersteins in der Städelschule und ein innovativer Vordenker, der dem damals beliebten englischen Landhausstil, aber auch dem Historismus und seinem Gründerzeitstil abgeschworen hatte. Dieses Haus hat zwar Landhausstil-Elemente, aber es ist doch von einer wesentlich größeren Schlichtheit.
Welches Detail im Haus ist ihr Lieblingsdetail?
Der Kamin. Der Kamin ist das Herzstück vom ganzen Haus. Wenn man reinkommt, ist man sofort in der Kaminhalle, einer Art Empfangshalle. Für uns ist es das eigentliche Wohnzimmer. Das offene, prasselnde Feuer, das richtig knackt, wenn man da im Winter sitzt. Durch die große Fensterfront ist es von vorne heiß und von hinten kalt. Es ist diese Urgemütlichkeit, die ich viel lieber mag als die modernen Neubauten, die überall absolut gleichmäßige Temperaturen haben und in denen man sich wie in einer Thermoskanne vorkommt. Der Garten ist uns außerdem sehr wichtig. Hier stehen noch etliche Bäume, die Roederstein und Winterhalter gepflanzt haben. Die Anlage der Wege wurde von einem Gartenarchitekten rekonstruiert. Wir haben nun den gleichen Blick, nur dass jetzt 100 Jahre später die Bäume größer sind.
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