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Zwischen Wirtschafts­wunder und Nachkriegs­tristesse

Knallbunte Autos, unauffällige Nutzbauten und eine Straße in Krefeld: In seinen konzeptuellen Fotoserien richtet der Becher-Schüler Volker Döhne den Blick auf sein unmittelbares Umfeld.

Iris Hasler — 21. Juli 2017

Nur wenige Künstler-Klassen genießen solch einen Ruf wie jene von Bernd Becher, der 1976 den Lehrstuhl für Künstlerische Fotografie an der Kunstakademie in Düsseldorf begründete. Frühe Arbeiten aus den späten 1970er-Jahren bis zur Jahrtausendwende einiger seiner Studenten sind zurzeit in der Ausstellung „Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse“ zu sehen. Einer davon ist der bisher weniger beachtete Volker Döhne, der als zweiter Student – nach Candida Höfer – in die Klasse von Bernd Becher eintrat. 

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Volker Döhne: Remscheid Alte Straße (Kleineisenindustrie, Remscheider Beispiele), 1978 © Volker Döhne

Die Nähe der Fotografien Döhnes zu denen seiner Lehrer – Bernd Becher pflegte die Klasse bekanntlich gemeinsam mit seiner Frau, der Fotografin Hilla Becher, zu führen –  lässt sich in der frühen Serie Kleineisenindustrie (1977/78) ablesen. Die neu-sachlich geprägten Becher-Fotografien der großen Fördertürme, Hochöfen, Fabrikhallen und Gasometer hätten seine Beschäftigung mit diesen Kleinbetrieben herausgefordert,  erklärt Döhne. So arbeitet er sich zunächst an einem verwandten Sujet ab, fokussiert wie seine Lehrer einen einzelnen Bildgegenstand, nimmt eine ähnlich dokumentarisch-distanziert wirkende Perspektive ein.

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Volker Döhne: Velbert, Am Heckheister, Birkental (Kleine Eisenbahnbrücken und Unterführungen im Bergischen und Märkischen Land), 1979 © Volker Döhne

Auch in seiner Serie der Kleinen Eisenbahnbrücken und Unterführungen im Bergischen und Märkischen Land (1979) erschließt sich Döhne Alltägliches – und gewinnt dabei fotografisch an Eigenständigkeit. Nach dem Schuss-Gegenschuss-Prinzip nahm er hierfür immer beide Seiten der Bauten auf. Seine zweidimensionalen Fotografien versuchen so eine Allansichtigkeit abzubilden, die man sonst von Skulpturen kennt. Darüber hinaus erscheinen die durch die Brücken und Unterführungen gebildeten negativen skulpturalen Volumen wie Bilder im Bild.  Der Betrachter erschließt sich die Motive durch Vergleiche, tastet sie visuell ab – ein Prinzip, das Bernd und Hilla Becher in ihren Typologien perfektioniert haben. Volker Döhne bringt jedoch Unsicherheiten ins Spiel: Ist hier tatsächlich ein und derselbe Nutzbau wiedergegeben? Handelt es sich um zwei unterschiedliche Ansichten – oder bloß um verschiedene Perspektiven?

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Volker Döhne: Ohne Titel (Bunt), 1979 © Volker Döhne

Für die im selben Jahr entstandene Reihe Bunt experimentierte Döhne erstmals mit Farbe. Damit war er nicht nur unter den Becher-Schülern Vorreiter, er emanzipierte sich auch stärker als zuvor vom Werk seiner Lehrer. Die gewählten Motive – Schrebergartenhäuschen und Mittelklassewagen – sind Inbegriff des aufkommenden sozialen Wohlstands in der Bundesrepublik: Bilder zwischen Nachkriegstristesse und Wirtschaftswunder. Die knallbunten Autos vor grauen Fassaden, die mit Liebe zum Detail gepflegten Häuser – Döhnes frühe Farbfotografien sind Augenfänger, die den Betrachter auch mit einem Augenzwinkern empfangen.

Während Döhne seine Bildmotive in der heimatlichen Umgebung ausfindig machte, fand er die Inspirationen dafür  vor allem in den USA. Hier hatten bereits Stephen Shore – ebenfalls Vorreiter der künstlerischen Farbfotografie – und Ed Ruscha ihren Blick auf den US-amerikanischen Stadtraum und dessen Randbezirke gerichtet. Für seine Folge Wiederaufbau II ging er ähnlich wie Ruscha in seinem Künstlerbuch Every Building on the Sunset Strip (1966) vor, das aneinandergeklebte Aufnahmen der Clubs, Restaurants und Boutiquen auf dem gleichnamigen Boulevard in Los Angeles zeigt.

Volker Döhne: Krefeld, Ostwall Ecke Rheinstraße – Rheinstraße 88 (Wiederaufbau II), vier Fotografien einer fünfteiligen Serie, 1990 © Volker Döhne

Döhne lichtete einen Straßenzug in Krefeld – Häuser wie Baulücken – vordergründig dokumentarisch ab. In Übereinstimmung mit Donald Judds Minimalismus-Formel „One thing after another“ und damit jeglichen kompositorischen Bildaufbau missachtend, reihen sich Wohnhäuser, Geschäfte und Bars aneinander – typische Nachkriegsarchitektur als bildfüllender Gegenstand. Anders als Ruscha interessiert sich Döhne jedoch nicht für die flachen Fassaden einer mit dem Automobil erfahrbaren Stadt. Die jeweils einmal frontal und einmal seitlich angeschnitten wiedergegebenen Gebäude betonen vielmehr ihre skulpturale Wirkmacht. Döhne vermisst hier förmlich sein soziales Umfeld mittels der Kamera, seine Fotografien werden zur topografischen Studie. Es ist eine fotografische Topografie, in der der konzeptuelle Ansatz in Volker Döhnes Schaffen deutlich hervortritt.

Abb. oben: Volker Döhne, Ohne Titel (Bunt), 1979 © Volker Döhne


Die Autorin Iris Hasler ist wissenschaftliche Volontärin im Sammlungsbereich Gegenwartskunst des Städel Museums.

Volker Döhnes Fotografien werden noch bis 13. August 2017 in der Ausstellung Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse gezeigt.

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