Das Gemälde von Joseph Anton Koch galt seit 1945 als verschollen. Nun hat eine amerikanische Kunsthistorikerin, die das Bild geerbt hatte, das Städel kontaktiert – und es zurückgegeben. Eine Spurensuche in den Wirren des Krieges.
Als vor fast 100 Jahren, im Mai 1921, der Neubau des Städel Museums eröffnet wurde, waren dort in einem der ersten Räume insgesamt drei Landschaften von Joseph Anton Koch zu sehen: Das Dankopfer Noahs, Der Raub des Hylas und Landschaft mit dem Propheten Bileam und seiner Eselin. Die beiden letzteren Werke hatte das Städel im Jahr 1832 direkt vom Künstler in Rom erworben. Im Atelier Kochs entdeckt hatte sie dort der Diplomat und Kunstsammler August Kestner (1777–1853) aus Hannover. Sein Bruder Theodor war damals Gründungsmitglied des für den Aufbau und die Verwaltung des Städel verantwortlichen Gremiums. Gemeinsam ebneten sie den Weg für die außergewöhnliche Doppelerwerbung der beiden Landschaften.
Der neue Flügel des Museums beherbergte die moderne und zeitgenössische Gemäldesammlung des 19. und 20. Jahrhunderts. Auch die beiden Landschaften waren ursprünglich einmal zeitgenössische Erwerbungen gewesen, denn sie gelangten zu Lebzeiten Kochs in die junge Sammlung des Museums. Die in leuchtenden Farben gemalte Landschaft mit dem Propheten Bileam hing damals an einer schwarzbespannten Wand im östlichen Seitenkabinett des Neubaus und stellte zusammen mit den „Romantikern und Nazarenern“ den Auftakt der modernen Sammlung dar.
Bis kurz vor Ausbruch des Krieges war das Gemälde prominent in der Schausammlung des neuen Flügels zu sehen. Im Zuge der Mobilmachung wurden zunächst die „unentbehrlichsten und wertvollsten“ Werke des Museums nach Oberstedten im Taunus ausgelagert, die restlichen Gemälde – so auch die Landschaft mit dem Propheten Bileam – wanderten in die entsprechend für den Luftschutz vorbereiteten Kellerräume des Museums. Am 31. August 1939 notierte Alfred Wolters, der Direktor der Städtischen Galerie, dass die Depoträume im Städel „durch sandgefüllte Kisten gesichert“ wurden.
Ab da war das Museum nur noch für laufende Ausstellungen geöffnet. Die Schausammlung selbst war seit ihrer kriegsbedingten Einlagerung für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Im Juni 1940 ereignete sich der erste Luftangriff auf Frankfurt. Die Stadt verstärkte bald die Luftschutzmaßnahmen. Fast 250 Gemälde, darunter auch die Landschaft mit dem Propheten Bileam, wurden im Juni 1941 in Stahlkammern der ehemaligen Darmstädter Bank verbracht.
Doch in den Panzerkammern der Bank wurde das Gemälde nur vorübergehend gelagert, denn mit dem einsetzenden Frost im Winter 1941 war die Luftfeuchtigkeit in den Räumen so stark gesunken, dass man sogar eine Rückverbringung in die Räume des Städel in Erwägung zog, um die Werke vor weiteren Schäden zu schützen.
Erst im September 1942 wurde die Landschaft mit dem Propheten Bileam in den Bunkerkomplex des Führerhauptquartiers Ziegenberg im Taunus transportiert, ein monumentaler Sicherheitsbau. Die Schlüssel zu den Bunkerräumen der Wehrmacht, in denen der Großteil der Bestände des Städel nun ausgelagert wurde, waren in einem versiegelten Umschlag der Gebäudeverwaltung übergeben worden, ein weiterer wurde in einem feuerfesten Schrank des Museums verwahrt. In einem Rückblick auf das Jahr 1942 resümierte der Direktor der Städtischen Galerie lapidar den Ausnahmezustand, der sich heute unserer Vorstellungskraft entzieht: „Das vergangene Jahr stand ganz und gar im Zeichen des Luftschutzes ... Das Gebäude des Städelschen Kunstinstituts ist nunmehr sozusagen vollständig geräumt. ... Die restlose Räumung des Städelschen Kunstinstituts wurde besonders dringend, da auf seinem Dach allen Einspruch zum Trotz Flakgeschütze aufgestellt werden.“ Im Oktober 1943 nahmen die Luftangriffe der Alliierten auf Frankfurt zu und zum Jahresende wurde das Museum dann schließlich auch für laufende Ausstellungen geschlossen. Am 29. Januar 1944 wurde das Städel-Gebäude durch einen auf die Flakstellungen zielenden Bombenangriff stark zerstört.
Schließlich musste im Sommer 1944 der Auslagerungsort Ziegenberg in kürzester Zeit aufgelöst werden. Am 20. Juli 1944 erreichte das Museum die dramatische Nachricht, Ziegenberg müsse „sofort geräumt“ werden, „da es seiner ursprünglichen militärischen Verwendung wieder zugeführt“ werde. Das bereits durch Einberufung vieler Mitarbeiter in den Kriegsdienst stark dezimierte Personal des Museums musste den Auslagerungsort nun innerhalb von zwei Wochen restlos leeren. Nur eine Woche später ging die Landschaft mit dem Propheten Bileam mit einem der ersten Transporte von Ziegenberg im Taunus in das circa 100 Kilometer entfernte Amorbach im Odenwald, wo das Gemälde in einer ehemaligen Benediktinerabtei aus dem 18. Jahrhundert untergebracht wurde – zusammen mit gut 400 anderen Gemälden. Das Gebäude wurde mit einem Schild des Oberkommandos der Wehrmacht versehen. Es enthielt den Hinweis, dass hier „wertvolles deutsches Kulturgut aufbewahrt“ sei. Die dort ausgelagerten Kunstwerke konnten bis zum Ende des Krieges von Mitarbeitern des Städel nie mehr kontrolliert werden.
Als amerikanische Truppen im März 1945 den Main erreichten, waren bis dahin fast 75 Luftangriffe auf Frankfurt geflogen worden. Ende März 1945 protokollierte der Direktor der Städtischen Galerie im sogenannten Kriegstagebuch des Museums: „Die Brücken werden gesprengt ... 6 Deutsche Soldaten, die im Keller und Grundstücke des Liebieghauses Schutz suchten, werden von Anthes, der allein den Dienst versieht, entwaffnet ... Die ersten Panzer tauchen auf ... Um 15 Uhr wird das Liebieghaus zum ersten Mal von Amerikanern durchsucht.“ Und etwas später der Eintrag: „8.4.-14.4. Wir bemühen uns um Off Limits für die Museumsgebäude und die Auslagerungsstellen.“
Es herrschte immer noch Krieg, als der Kustos des Historischen Museums, Dr. Albert Rapp, im April 1945 nach Amorbach reiste, um dort nach den Beständen der Frankfurter Museen zu schauen. Inzwischen waren dort amerikanische Besatzungstruppen eingetroffen. Er berichtete folgendes: „Dort fand ich das Schloss vom Militär belegt. Unsere Depoträume waren geöffnet und weitgehend geplündert worden ... Gemälde waren beschädigt, mehrere von den leer dastehenden Keilrahmen abgeschnitten und verschwunden ...“ Etwa 60 Gemälde konnte Rapp an einen sicheren Ort und in die Obhut der amerikanischen Militärregierung bringen – die Spur der Landschaft mit dem Propheten Bileam verliert sich hier.
Die Umlagerung dieser Gemälde nach Schloss Büdingen passierte unter der Aufsicht eines gewissen Lieutenant Sinclair Robinson. Es gelang ihm auf diesem Transport, sich insgesamt sechs Gemälde, darunter fünf aus dem Besitz des Städel anzueignen. Unter den von Robinson entwendeten Amorbacher Werken befand sich unter anderem auch die Freistunde im Amsterdamer Waisenhaus von Max Liebermann. Der Fall Robinson ist unter der Bezeichnung The Büdingen Affair in die Geschichte eingegangen.
Ungeklärt ist jedoch, was mit den restlichen Gemälden passierte, die vermutlich bereits im März 1945 am Auslagerungsort Amorbach unter bis dato ungeklärten Umständen verschwanden. Etwa drei Monate nachdem Rapp den Auslagerungsort besichtigt hatte – mittlerweile war der Krieg zu Ende – gelang es zwei Mitarbeitern des Städel schließlich, mit dem Fahrrad nach Amorbach zu fahren, um dort eine Bestandsaufnahme zu machen und das Depot für die Räumung vorzubereiten. Sie verzeichneten in einem Bericht den Verlust von mehr als zwanzig Gemälden, darunter auch die Landschaft mit dem Propheten Bileam.
Die Bestände, die nach der Sicherung der 60 Werke noch in Amorbach waren, wurden zu einem späteren Zeitpunkt dann an den Central Collecting Point im Landesmuseum in Wiesbaden transportiert, einer Sammelstelle, die die Monuments Men, der amerikanische Kunstschutz, dort eingerichtet hatten. Der damalige Direktor des Städel, Ernst Holzinger, war als Chief German Expert in die Aktivitäten der Monuments Men eingebunden und half bei der Inventarisierung, Prüfung und Rückführung der Kunstwerke. Dem zuständigen amerikanischen Officer dort berichtete er im Januar 1946: „Amorbach, Archives!... the building was broken into after the American occupation.“ Über die dort abhanden gekommenen Gemälde des Städel schrieb er: „The American army is investigating the loss of six of them that were taken by an American lieutenant ... No trace of the other paintings that are missing.“
Man begann daraufhin, nach den Kunstwerken zu fahnden: Bereits im August 1946 erstellte das Städel einen Katalog, in dem die verlorenen Gemälde abgebildet und dokumentiert wurden. Er wurde in einer Auflage von 800 gedruckt und an Museen und Polizeistationen sowie zahlreiche Kunsthistoriker und Kunsthändler verschickt.
Mehr als 70 Jahre dauerte es, bis die Landschaft mit dem Propheten Bileam wieder aufgefunden wurde und ins Städel zurückkehren konnte: „Painting found?“ lautete die Betreffzeile der Email, die Anfang des Jahres 2018 beim Städel einging. Nach einer Recherche in der Datenbank lostart.de, in der das Museum seine vermissten Werke seit 2001 registriert hat, war eine amerikanische Privatbesitzerin und Kunsthistorikerin fündig geworden, die das Gemälde von ihrem Vater geerbt hatte. Sie hatte daraufhin das Museum kontaktiert. Dank ihrer großzügigen Geste, der Rückgabe des Gemäldes, ist es heute wieder neben seinem Pendant, Der Raub des Hylas, im ersten Raum des modernen Flügels zu bewundern.
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