Die niederländischen Zeichnungen des 18. Jahrhunderts sind meisterhaft, aber heute fast vergessen. Dabei spielten sie in der Zeit der Aufklärung eine wichtige Rolle – auch bei der Gründung des Städel Museums.
Rembrandt ist wohl der erste Name, der einem einfällt, wenn von niederländischer Kunst die Rede ist. Er steht beispielhaft für das 17. Jahrhundert, das „Goldene Zeitalter“ der Niederlande, das sicherlich nicht für alle golden war. Dem jungen Staat, der sich gerade seine Unabhängigkeit erkämpft hatte, brachte es aber neuen Reichtum und politische Macht – und damit auch eine glanzvolle Blüte der bildenden Kunst.
Hundert Jahre später, im 18. Jahrhundert, spielte das Land in Europa politisch zwar kaum eine Rolle, aber die Kunstproduktion florierte weiterhin, dank wohlhabender Bürger und Kaufleute. Was aber war das für eine Kunst, die heute, zumindest im öffentlichen Bewusstsein, fast in Vergessenheit geraten ist?
Das Städel Museum kann diese Fragen mit Werken aus dem eigenen Bestand beantworten, die nun in der Ausstellung „Schaulust“ versammelt sind. In der Graphischen Sammlung befinden sich fast 600 niederländische Zeichnungen, die im 18. Jahrhundert entstanden sind. Die schönsten und wichtigsten von ihnen wurden in den letzten Jahren wissenschaftlich aufgearbeitet. Dabei fällt auf, dass fast alle diese Blätter aus den Gründungssammlungen des Museums stammen. Sie wurden noch im späten 18. und im frühen 19. Jahrhundert erworben, also als „zeitgenössische Kunst“, und zwar vom Museumsgründer Johann Friedrich Städel und von Johann Georg Grambs, einem Frankfurter Juristen und Kunstsammler und dem ersten Vorsitzenden der Städelschen Stiftung.
Die Zeichnungen stammen von Jacob de Wit, Cornelis Pronk, Jan van Huysum, Aert Schouman, Cornelis Troost, Jacobus Buys oder Jacob Cats, alles tüchtige Künstler und hervorragende Zeichner – aber ihre Namen sind heute fast nur noch den Spezialisten bekannt.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die Niederlande stark von internationalen Einflüssen, besonders von französischer Kunst und Lebensart beeinflusst. Das schlug sich in eleganten, klassizistischen Zeichnungen nieder, die vielfach als Entwürfe für Wanddekorationen entstanden. In den 1720er-Jahren setzte aber eine neue Tendenz ein: Man wandte sich mehr und mehr dem eigenen Land, der eigenen Geschichte und der eigenen Kunst zu. Künstler reisten umher und hielten Bauwerke und bekannte Orte fest, man stellte Alltagssituationen und Szenen aus viel gespielten Theaterstücken dar oder zeichnete die beliebten Blumen- und Früchtestillleben und exotische Tiere mit einer fast wissenschaftlichen Genauigkeit.
Auch gibt es etliche Zeichnungen, die Gemälde des 17. Jahrhunderts für Sammler kopierten. Vor allem aber liebte man Landschaftsdarstellungen, die das eigene Land in Szene setzten. Alle diese Zeichnungen verbindet, dass sie vollständig ausgeführt, also keine Skizzen oder Studien sind, kein Entwerfen und Erfinden mit dem Stift auf Papier, sondern vollendete „Bilder“, oft mit Wasser- und Deckfarben ausgeführt; eigentlich sind es kleine Gemälde.
Die niederländischen Zeichnungen des 18. Jahrhunderts lassen sich nicht ohne ihre Sammler verstehen. Im Zeitalter der Aufklärung waren es die wohlhabenden Bürger, die ein großes Bedürfnis nach Bildung hatten – und damit genau nach dieser Art von Kunst.
Ein Beispiel ist Cornelis Ploos van Amstel, ein Holzhändler aus Amsterdam. Er engagierte sich in der Gründung von „Zeichengesellschaften“, in denen sich Künstler und Kunstliebhaber wie er trafen, Zeichnen übten und über die Geschichte der Kunst, besonders über die Geschichte der niederländischen Kunst diskutierten. Ploos sammelte in großem Umfang, vor allem Zeichnungen, alte und zeitgenössische, und er beauftragte befreundete Künstler, ihm Zeichnungen anzufertigen, zum Beispiel Kopien nach Gemälden in anderen Sammlungen.
Im Haus Ploos van Amstels trafen sich andere Sammler, Künstler, Kunsthändler, reichten sich Zeichnungen über den Tisch, betrachteten sie und diskutierten. Solche Zusammenkünfte hatten einen eigenen Namen: „Kunstbeschauungen“. Zeichnungen waren ein Mittel, um sich – in einer Zeit, in der es noch keine fotografischen Reproduktionen oder kunstgeschichtliche Wissenschaft an den Universitäten gab – zu bilden und dabei gesellig zu unterhalten. Neben den dargestellten Themen besprach man die ausdrücklichen und verborgenen Hinweise auf die ältere Kunst, freute sich über die technische Meisterschaft und am unmittelbar sinnlichen visuellen Erlebnis.
Johann Friedrich Städel und Johann Georg Grambs in Frankfurt waren Bürger von der gleichen Art wie Cornelis Ploos van Amstel. Auch sie sammelten mit Hingabe, und dabei ging es ihnen genauso wenig um Glanz und Repräsentation, sondern um Bildung. Auch sie trafen sich mit anderen Kunstbegeisterten, sprachen über Qualität, die Zusammenhänge der Kunstgeschichte, und schulten so ihr Auge. Die niederländischen Zeichnungen des 18. Jahrhunderts waren dafür perfekt geeignet.
Später, im 19. Jahrhundert, wurde diese Generation am Städelschen Kunstinstitut von einer neuen abgelöst, die sich nun für die Romantik interessierte und damit für das Entwerfen und Entwickeln, das Genialische. Den Gedankengängen der großen, berühmten Künstler wollte man in deren Zeichnungen auf die Spur kommen. Die Blätter, an denen die ältere Riege aus der Zeit der Aufklärung ihre Freude gehabt hatte, waren diesen jüngeren nun zu bildhaft, zu wörtlich.
Stattdessen und parallel zu dieser Entwicklung professionalisierte sich aber auch die Kunstforschung. Was vorher in kleinen Sammlerkreisen stattfand, verschob sich nun an die Universitäten. Die Zeichnungen des 18. Jahrhunderts respektierte man, bewahrte sie in der Sammlung, aber man erwarb in diesem Bereich kaum noch etwas dazu. So erklärt es sich, dass der Bestand an niederländischen Zeichnungen des 18. Jahrhunderts schon von den Gründern des Städelschen Kunstinstituts gesammelt worden ist. Bis heute ist die Sammlung die umfangreichste und bedeutendste außerhalb der Niederlande und Belgiens.
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