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Städels Erbe

Die Geschichte des Städel begann vor über 200 Jahren mit dem weitsichtigen Kaufmann Johann Friedrich Städel. Dessen Sammlung umfasste auch Tausende Zeichnungen. Der Kunsthistoriker Joachim Jacoby hat diese DNA des Museums nun erforscht.

Susanne Hafner — 12. Juni 2020

In der Graphischen Sammlung befinden sich heute etwa 25.000 Zeichnungen – welche davon schon zur ursprünglichen Sammlung des Museumsgründers Johann Friedrich Städel gehörten, war zu Beginn des Forschungsprojekts oft nicht klar. Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit vorgegangen?

Sammlungsgeschichtliche Fragen werden im Städel seit langem verfolgt , nicht zuletzt 1991 in den Forschungen von Prof. Margret Stuffmann, der früheren Leiterin der Graphischen Sammlung. Über die Sammlung von Städel gab es aber tatsächlich nur die spärliche Angabe, er habe etwa 4600 Zeichnungen besessen. Um herauszufinden, welche sich davon bis heute im Städel Museum erhalten haben, mussten alle Erwerbungen für die Sammlung – und alle Verkäufe – seit der Gründung 1816/1817 bis zur ersten systematischen Inventarisierung 1860/1862 berücksichtigt werden. Das waren über 8000 Zeichnungen. Unter Auswertung einiger Dokumente und unter Berücksichtigung späterer Ankäufe konnten die auf Städel zurückgehenden Arbeiten weitgehend auf 3000 eingegrenzt werden.

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Ausstellungsansicht, Foto: Städel Museum - Norbert Miguletz

In seinem Stiftungsbrief hat Johann Friedrich Städel vor über 200 Jahren festgesetzt, dass Werke seiner Sammlung gegen bessere ausgetauscht werden sollten. Im 19. Jahrhundert wurden deshalb auch viele Zeichnungen veräußert. Konnten Sie nachvollziehen, wo diese heute sind?

Man muss, glaube ich, zunächst das Motiv für Städels Festlegung verstehen. Seine Sammlung hat er als Privatsammler begonnen. Spätestens seit etwa 1793 aber hatte er die Stiftung einer öffentlich zugänglichen Kunstsammlung vor Augen, die eben in Konkurrenz zu den großen, meist fürstlichen Sammlungen stehen würde. Mit seiner Festlegung machte er die Vorgabe, dass für die Sammlung insgesamt ein einheitliches, höchstes Qualitätsniveau angestrebt werde.

Allein zwischen 1860 und 1867 wurden über 2200 Zeichnungen ausgeschieden und versteigert. Es ist so gut wie unmöglich, für alle Blätter die jetzigen Standorte festzustellen. Eine geschlossene Gruppe ist in das Kupferstichkabinett in Berlin gekommen, Einzelstücke befinden sich in Rotterdam, Cambridge oder in Privatbesitz.

Würden Sie dieselben Entscheidungen heute genauso treffen? Gibt es Blätter, auf die sie wehmütig blicken und am liebsten „zurückhätten“?

Ein Verkauf von Kunstwerken schließt sich nach heutigem Verständnis grundsätzlich aus. Dafür gibt es viele Gründe – nicht zuletzt die ideologisch motivierten Beschlagnahmungen während des Dritten Reiches.

Interessant ist, dass man vor den Verkäufen ab 1860 eine Kommission gebildet hat, die für die Auswahl zuständig war. Man war demnach bemüht, ein Korrektiv gegen einseitige Urteile – also den persönlichen Geschmack einer Einzelperson – einzuführen. Die Verkäufe sollten ausgewogen sein. Die Entscheidungen sind nicht insgesamt, sondern nur stichpunktartig nachzuvollziehen, da nur etwa 200 der verkauften Arbeiten wiedergefunden wurden. Aus heutiger Sicht sind vielleicht nicht alle Verkäufe nachzuvollziehen. Aber im Vertrauen auf die Kennerschaft der damaligen Entscheidungsträger kann man davon ausgehen, dass unter den ausgeschiedenen Arbeiten auch viele – damals für entbehrlich gehaltene – Kopien, Wiederholungen oder nicht repräsentative Werke waren.

Ausstellungsansicht_StädelsErbe_2020_2

Ausstellungsansicht, Foto: Städel Museum - Norbert Miguletz

In der Ausstellung sind von den 3000 Zeichnungen aus Städels Sammlung 95 zu sehen. Wie haben Sie die Auswahl getroffen?

Ein faszinierendes und unerwartetes Ergebnis der Rekonstruktion von Städels Zeichnungssammlung war, dass darin die bedeutenden künstlerischen Schulen Europas vertreten waren, mit Werken aus Italien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden seit der Renaissance um 1500 bis in Städels eigene Gegenwart. Für die repräsentative Auswahl der Ausstellung habe ich dieses enzyklopädische Sammelkonzept zugrunde gelegt. Daher sieht man Meisterzeichnungen aus drei Jahrhunderten europäischer Kunstgeschichte – aber natürlich aus der Perspektive von Städel im späten 18. Jahrhundert. Wichtig war mir auch, die Zeichnungen so zu zeigen, wie sie Städel vor sich hatte: In einigen Fällen haben sich die beeindruckenden Passepartouts erhalten, in denen die Zeichnungen im 18. Jahrhundert als hochgeschätzte Kunstobjekte sorgsam aufkaschiert wurden.

In der Ausstellung finden sich auch Zeichnungen, die noch nie vorher zu sehen waren. Welche sind das und was macht sie so besonders?

Hierzu zählt sicherlich die großformatige Darstellung Der Trunkene Schmied, mit der Jean-Baptiste Greuze ein Gemälde vorbereitet hat. Auch ist ein Entwurf des französischen Bildhauers Edme Bouchardon in roter Kreide zu nennen, dann die Studie für ein Altargemälde von Ludovico Carracci aus Bologna, der als Mitbergründer der italienischen Barockmalerei gilt. Hervorzuheben ist auch ein Blatt mit einem Motiv aus den Tiroler Alpen von Roelant Savery, der diese Landschaft als einer der ersten Künstler überhaupt als Sujet entdeckt hat.

Edme_Bouchardon_Moderatio_1745

Edme Bouchardon, Moderatio (Die Mäßigung), um 1745, Städel Museum, Frankfurt am Main

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Jean Baptiste Greuze, Der trunkene Schmied, 1780, Städel Museum, Frankfurt am Main

Guercino_Studie_1619-20

Giovanni Francesco Barbieri, genannt Guercino, Studie für Der Heilige Wilhelm von Aquitanien erhält das Mönchsgewand, 1619/20, Städel Museum, Frankfurt am Main

Ludovico_Carracci_Madonna_mit_dem_Kind_1585

Ludovico Carracci, Madonna mit dem Kind, der Heiligen Katharina, Johannes dem Evangelisten, dem Heiligen Franziskus, vorn zwei Kinder mit einem Stadtmodell, um 1585, Städel Museum, Frankfurt am Main

Was war die größte Überraschung beim Erfassen des Bestands?

Es gabe mehrere Überraschungen. Zunächst, dass die Zeichnungen von niederländischen Künstlern die umfangreichste Gruppe bildeten. Herausragende Werke von Goltzius, Bloemaert, Rubens, van Dyck oder Jordaens machen das in der Ausstellung überaus deutlich. Dann, dass Städel unter den Namen von Rembrandt, Guercino, einem italienischen Barockmeister, oder Albrecht Dürer ganze Konvolute vereint hatte. Dürer scheint er aus patriotischen Gründen besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Auffallend war auch die große technische Vielfalt in den Zeichenmedien. Städel konzentrierte sich offenbar nicht auf abgeschlossen durchgestaltete Zeichnungen mit einer bildmäßigen Wirkung, sondern sammelte neben Entwürfen und Einzelstudien in allen nur denkbaren Techniken auch erste, andeutende und manchmal nur schwer zu entziffernde Skizzen.

Was haben Sie durch Ihre Forschung über Johann Friedrich Städel dazugelernt?

Am tiefsten hat mich die Weitsicht beeindruckt, mit der Städel seine Stiftung geplant und in seinem Testament auf einen bis heute im Städel Museum fortlebenden Weg gebracht hat. Im Übrigen wurden während der Vorbereitung der Ausstellung zwei Schriftstücke von Johann Friedrich Städel im Archiv des Städel Museums wiedergefunden, die besonders aufschlussreich sind. Ein Brief an die Künstlerin Maria Catharina Prestel, die in London wohnte; Städel war mit ihr und ihrem Ehemann Johann Gottlieb offenbar eng befreundet. Und außerdem ein wichtiges Schreiben aus dem Jahr 1811. Städel führt darin aus: 'Von Jugend an nährte ich Liebhaberei an Malereien, Kupferstichen und anderen Kunstsachen'. Städels Sammelleidenschaft hat also früh eingesetzt und hat ihn während seines langen Lebens begleitet – er starb fast neunzigjährig im Jahr 1816.


Joachim Jacoby hat die Zeichnungssammlung von Johann Friedrich Städel in einem mehrjährigen Forschungsprojekt aufgearbeitet und ist Kurator der Ausstellung „Städels Erbe“. Die Fragen stellte Susanne Hafner, Volontärin der Presse und Onlinekommunikation am Städel.

Die Ausstellung „Städels Erbe. Meisterzeichnungen aus der Sammlung des Stifters“ ist noch bis 16. August in der Graphischen Sammlung des Städel zu sehen.

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