Mit 30 Jahren wurde Georg Swarzenski Direktor des Städel Museums – und prägte es drei Jahrzehnte lang. Sein Lebenswerk: eine moderne Sammlung. Das NS-Regime beschlagnahmte große Teile davon und zerstörte seine Karriere.
Im Portraitraum der Liebieghaus Skulpturensammlung, nahe des Städel Museums, ist eine einzige Büste aus dem 20. Jahrhundert zu sehen: Sie stammt von Georg Kolbe, ist 1915 entstanden und zeigt Georg Swarzenski (1876 – 1957). Damals stand Swarzenski gerade am Beginn einer bahnbrechenden Karriere als Museumsleiter. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat der weltoffene und innovative Kunsthistoriker die Sammlung des Städel Museums und des Liebieghauses maßgeblich gestaltet.
Hunderte von Gemälden, Graphiken und Skulpturen wurden während seiner Amtszeit für beide Häuser erworben, Namen wie van Gogh, Manet, Monet, Renoir, Degas, Rodin, Gauguin, Beckmann, Kirchner, Modersohn-Becker, Munch, Cézanne, Chagall, Rousseau, Klee, Nolde und Picasso. Zahlreiche dieser Werke sollten später von den Nationalsozialisten beschlagnahmt werden. Mit der Machtübernahme 1933 fand seine Frankfurter Laufbahn ein brutales und tragisches Ende.
Swarzenski war in einer wohlhabenden und gebildeten polnisch-jüdischen Familie aufgewachsen, die in Dresden ansässig war, aber ursprünglich aus Posen (Poznan) stammte. Sein Vater Abraham Salomon Swarzenski war Bankier und Kaufmann. Als Georg Swarzenski 1906 die Direktorenstelle am Städel antrat – im Alter von gerade einmal 30 Jahren – hatte er schon eine beachtliche Karriere durchlaufen, war zweifach promoviert in den Fächern Jura und Kunstgeschichte, in letzterem mit einer Doktorarbeit über mittelalterliche Buchmalerei.
Swarzenski hatte zu dem Zeitpunkt nicht nur Erfahrungen als Wissenschaftler an der Universität und als Kurator gesammelt, sondern war auch viel gereist: „Ehe ich in den Museumsdienst trat,“ schrieb Swarzenski in seiner Bewerbung, „war ich ein ganzes Jahr in Paris zu Studienzwecken ansässig, außerdem bereits vorher je ein Vierteljahr in Paris, in London, in Wien, kurz in Holland und Belgien. Von diesen längeren, andauernden Aufenthalten abgesehen, habe ich bereits seit meiner eigentlichen Studienzeit Italien, Frankreich, England, die Niederlande ... ganz regelmäßig zu Studien- und Sammelzwecken besucht, sodaß ich diese Länder und ihre Kunstwerke genau kenne. Auch beherrsche ich die Sprachen dieser Länder und vor allem ihren Kunsthandel, sowohl für die alte, wie für die moderne Kunst.“
Selbstbewusst, doch auch mit Demut vor der anstehenden Aufgabe, die Leitung eines altehrwürdigen Museums antreten zu wollen, schloss er seine Bewerbung mit den sorgfältig gewählten Worten: „… Wenn ich mir nun erlaube, Ihnen meine Dienste für die Direktorstelle an Ihrem Institut anzubieten, so geschieht das nach reiflicher Erwägung und ausschließlich in der Überzeugung, daß ich die Aufgaben, die dort an mich herantreten würden, mit Sachkenntnis, Begeisterung und Liebe erfüllen würde …“
Die Bewerbung überzeugte: Der weltgewandte Swarzenski fand in der internationalen Messestadt Frankfurt ein neues Zuhause. Bei seinem Antritt 1906 befand sich die private Stiftung – das Städelsche Kunstinstitut – aufgrund mangelnder Mittel und Preissteigerungen auf dem Kunstmarkt in einer Zeit des Umbruchs. Doch es wartete noch eine weitere Herausforderung auf Swarzenski: der Auftrag zum Aufbau einer Städtischen Galerie. Frankfurt sollte durch die Angliederung dieses neuen Museums an das 1815 gegründete Städel erstmals eine eigene städtische Sammlung zeitgenössischer Kunst bekommen.
Den entscheidenden Impuls hierzu hatte eine private Stiftung gegeben, die – so die Auflage an die Stadt – für den Ankauf qualitätvoller Werke lebender Künstler zu verwenden war. Bei der Ausarbeitung des Gründungsprogramms musste Swarzenski taktisch klug vorgehen, denn das private Städelsche Kunstinstitut war zur Unabhängigkeit verpflichtet. Zugleich musste eine Konkurrenzsituation zwischen Städel und Stadt ausgeschlossen werden.
Swarzenski bot mit seinem Programm einen geschickten Lösungsweg an. Die Sammeltätigkeit des Städelschen Kunstinstituts solle sich auf die Malerei und Grafik Alter Meister bis einschließlich des 19. Jahrhunderts beschränken, während die neuzugründende städtische Sammlung vier Aufgabenbereiche zu erfüllen hatte: den Aufbau einer Skulpturensammlung (die im Liebieghaus untergebracht werden sollte), einer kunstwissenschaftlichen Sammlung von Nachbildungen, einer Abteilung für Frankfurter Kunst sowie einer „Modernen Galerie“. Swarzenski startete unverzüglich mit der Umsetzung seiner Mission. Zunächst erwarb er zeitgenössische Künstler aus der Region, konzentrierte sich jedoch schon bald auf Werke der französischen Moderne.
Bereits 1910 konnte er kapitale Werke wie Monets Das Mittagessen sowie zwei wichtige Arbeiten von Renoir für die Sammlung gewinnen – alle drei Direktankäufe von den Künstlern selbst. Schließlich gelang ihm im Jahr 1911 der äußerst diffizile Ankauf des Gemäldes Das Bildnis des Dr. Gachet von Vincent van Gogh. In diesem Jahr französische Kunst zu erwerben, war ein kulturpolitisches Statement gegen nationalistische Tendenzen. Swarzenski war unter den führenden Kunsthistorikern, die sich im deutschen Kaiserreich explizit für eine internationale Ausrichtung der modernen Kunst engagierten.
Ab 1910 begann Swarzenski auch expressionistische Werke für Frankfurt zu erwerben. Unter den frühesten Eingängen in die Sammlung finden sich Gemälde von Pechstein und Kokoschka, Papierarbeiten von Nolde, Kollwitz, Lehmbruck, Barlach, Heckel, Kirchner und Beckmann – und weiterhin auch französische Kunst: Henri Matisse’s Gemälde Fleurs et céramique und Zeichnungen von Denis, Signac, Matisse, Cross, Maillol, Monet und Pascin. 1919 erwarb Swarzenski das erste Gemälde von Max Beckmann, die Kreuzabnahme, und gleich zwei Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, darunter Selbstbildnis als Soldat – beides Werke, die den Patriotismus des ersten Weltkriegs radikal in Frage stellten.
Ende der Zwanzigerjahre war Swarzenski, der seit 1914 auch Honorarprofessor an der Frankfurter Universität war, auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Frankfurt berief ihn zum Generaldirektor aller städtischen Museen. Zwei Jahrzehnte nach seinem Umzug war er zweifelsohne zum Frankfurter geworden.
Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollten sich die Vorzeichen für die einst liberal und progressiv bestimmte Frankfurter Kunst- und Kulturpolitik – die Swarzenski wesentlich geprägt hatte – drastisch ändern. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft wurde Swarzenski im Alter von 57 Jahren aus seinem Amt als Generaldirektor entlassen. Die expressionistischen Gemälde der modernen Galerie wanderten ins Depot.
Zwar konnte Swarzenski weiterhin als Direktor des Städelschen Kunstinstituts – der privaten Stiftung – im Amt bleiben, doch man sah sich bereits nach einem geeigneten Nachfolger um. In einem Brief an seinen Berliner Kollegen Erwin Panofsky vom 9. Juni 1933 beschreibt Swarzenski die unwürdigen, deprimierenden und kräftezehrenden Umstände, unter denen er versuchte, seine Arbeit als Städel Direktor fortzusetzen: „Die ‚äußere’ Regelung, mein Verbleiben am Städel, könnte eine befriedigende, sachlich sogar schöne Lösung sein, aber noch ist es fraglich, ob dies wirklich auf die Dauer durchzusetzen sein wird, und es bleibt die Frage, ob Nerven, Seele, Arbeitskraft nicht kaputt gehen.“
Als er im September 1938 seine Koffer packte, um Frankfurt für immer zu verlassen, hatte das Reichspropagandaministerium große Teile der Modernen Galerie im Städel als „entartet“ beschlagnahmt. Schließlich war er auf Druck der Gauleitung aus seinem Amt als Direktor des Städel Museums entlassen worden – ein Haus, das er 30 Jahre, ein halbes Leben, geleitet hatte.
Am Boston Museum of Fine Arts konnte dieser außergewöhnliche und hochverdiente Mann, der Frankfurt und dem Städel so viel gegeben hatte, schließlich eine neue Tätigkeit als „Fellow for Research in Medieval Art and Sculpture“ finden. Er knüpfte dort in einem unbekannten Land, das er nur 1926 einmal bereist hatte, wieder an sein Spezialgebiet an: die mittelalterliche Kunst. „Es gehört zur Größe Swarzenskis,“ schrieb einmal sein Freund und Kollege, der Kunsthistoriker Oswald Goetz, „es ist ein Zeichen seiner gestaltenden geistigen Kraft und seiner moralischen Stärke, daß er gerade gegen die Ungunst der Zeit unbeirrt seiner Arbeit nachgegangen ist.“
Fast zwanzig Jahre arbeitete Swarzenski auf dieser vergleichsweise bescheidenen Position als Wissenschaftler und Kurator weiter. Als er 1957 im Alter von 81 Jahren starb, titelte die New York Times in seinen Nachruf nichtsdestotrotz: „Georg Swarzenski, Museum Director.“ Als solcher hat er die Sammlung und Geschichte des Städel Museums mit „Sachkenntnis, Begeisterung und Liebe“ geprägt. Die Spuren seines Wirkens sind bis heute gegenwärtig.
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