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Ein Leben für die Kunst

Mit 30 Jahren wurde Georg Swarzenski Direktor des Städel Museums – und prägte es drei Jahrzehnte lang. Sein Lebenswerk: eine moderne Sammlung. Das NS-Regime beschlagnahmte große Teile davon und zerstörte seine Karriere.

Iris Schmeisser — 9. Januar 2020

Im Portraitraum der Liebieghaus Skulpturensammlung, nahe des Städel Museums, ist eine einzige Büste aus dem 20. Jahrhundert zu sehen:  Sie stammt von Georg Kolbe, ist 1915 entstanden und zeigt Georg Swarzenski (1876 – 1957). Damals stand Swarzenski  gerade am Beginn einer bahnbrechenden Karriere als Museumsleiter. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat der weltoffene und innovative Kunsthistoriker die Sammlung des Städel Museums und des Liebieghauses maßgeblich gestaltet.

Hunderte von Gemälden, Graphiken und Skulpturen wurden während seiner Amtszeit für beide Häuser erworben, Namen wie van Gogh, Manet, Monet, Renoir, Degas, Rodin, Gauguin, Beckmann, Kirchner, Modersohn-Becker, Munch, Cézanne, Chagall, Rousseau, Klee, Nolde und Picasso. Zahlreiche dieser Werke sollten später von den Nationalsozialisten beschlagnahmt werden. Mit der Machtübernahme 1933 fand seine Frankfurter Laufbahn ein brutales und tragisches Ende.

Am Beginn einer beeindruckenden Karriere: Georg Kolbe, Porträt Georg Swarzenski, 1915 (Guss 1931), Städel Museum, Frankfurt am Main (links) / Ad. Halwas, Georg Swarzenski (1876-1957), Berlin, 1899, Städel-Archiv, Frankfurt am Main

Am Beginn einer beeindruckenden Karriere: Georg Kolbe, Porträt Georg Swarzenski, 1915 (Guss 1931), Städel Museum, Frankfurt am Main (links) / Ad. Halwas, Georg Swarzenski (1876-1957), Berlin, 1899, Städel-Archiv, Frankfurt am Main

Swarzenski war in einer wohlhabenden und gebildeten polnisch-jüdischen Familie aufgewachsen, die in Dresden ansässig war, aber ursprünglich aus Posen (Poznan) stammte. Sein Vater Abraham Salomon Swarzenski war Bankier und Kaufmann. Als Georg Swarzenski 1906 die Direktorenstelle am Städel antrat – im Alter von gerade einmal 30 Jahren – hatte er schon eine beachtliche Karriere durchlaufen, war zweifach promoviert in den Fächern Jura und Kunstgeschichte, in letzterem mit einer Doktorarbeit über mittelalterliche Buchmalerei.

… mit Sachkenntnis, Begeisterung und Liebe

Swarzenski hatte zu dem Zeitpunkt nicht nur Erfahrungen als Wissenschaftler an der Universität und als Kurator gesammelt, sondern war auch viel gereist: „Ehe ich in den Museumsdienst trat,“ schrieb Swarzenski in seiner Bewerbung, „war ich ein ganzes Jahr in Paris zu Studienzwecken ansässig, außerdem bereits vorher je ein Vierteljahr in Paris, in London, in Wien, kurz in Holland und Belgien. Von diesen längeren, andauernden Aufenthalten abgesehen, habe ich bereits seit meiner eigentlichen Studienzeit Italien, Frankreich, England, die Niederlande ... ganz regelmäßig zu Studien- und Sammelzwecken besucht, sodaß ich diese Länder und ihre Kunstwerke genau kenne. Auch beherrsche ich die Sprachen dieser Länder und vor allem ihren Kunsthandel, sowohl für die alte, wie für die moderne Kunst.“

Selbstbewusst, doch auch mit Demut vor der anstehenden Aufgabe, die Leitung eines altehrwürdigen Museums antreten zu wollen, schloss er seine Bewerbung mit den sorgfältig gewählten Worten: „… Wenn ich mir nun erlaube, Ihnen meine Dienste für die Direktorstelle an Ihrem Institut anzubieten, so geschieht das nach reiflicher Erwägung und ausschließlich in der Überzeugung, daß ich die Aufgaben, die dort an mich herantreten würden, mit Sachkenntnis, Begeisterung und Liebe erfüllen würde …“

Anonym, Städel Museum, ca. 1929, Privatbesitz

Anonym, Städel Museum, ca. 1929, Privatbesitz

Die Bewerbung überzeugte: Der weltgewandte Swarzenski fand in der internationalen Messestadt Frankfurt ein neues Zuhause. Bei seinem Antritt 1906 befand sich die private Stiftung – das  Städelsche Kunstinstitut – aufgrund mangelnder Mittel und Preissteigerungen auf dem Kunstmarkt in einer Zeit des Umbruchs. Doch es wartete noch eine weitere Herausforderung auf Swarzenski: der Auftrag zum Aufbau einer Städtischen Galerie. Frankfurt sollte durch die Angliederung dieses neuen Museums an das 1815 gegründete Städel erstmals eine eigene städtische Sammlung zeitgenössischer Kunst bekommen.

Den entscheidenden Impuls hierzu hatte eine private Stiftung gegeben, die – so die Auflage an die Stadt – für den Ankauf qualitätvoller Werke lebender Künstler zu verwenden war. Bei der Ausarbeitung des Gründungsprogramms musste Swarzenski taktisch klug vorgehen, denn das private Städelsche Kunstinstitut war zur Unabhängigkeit verpflichtet. Zugleich musste eine Konkurrenzsituation zwischen Städel und Stadt ausgeschlossen werden.

Swarzenski bot mit seinem Programm einen geschickten Lösungsweg an. Die Sammeltätigkeit des Städelschen Kunstinstituts solle sich auf die Malerei und Grafik Alter Meister bis einschließlich des 19. Jahrhunderts beschränken, während die neuzugründende städtische Sammlung vier Aufgabenbereiche zu erfüllen hatte: den Aufbau einer Skulpturensammlung (die im Liebieghaus untergebracht werden sollte), einer kunstwissenschaftlichen Sammlung von Nachbildungen, einer Abteilung für Frankfurter Kunst sowie einer „Modernen Galerie“. Swarzenski startete unverzüglich mit der Umsetzung seiner Mission. Zunächst erwarb er zeitgenössische Künstler aus der Region, konzentrierte sich jedoch schon bald auf Werke der französischen Moderne.

Nach dem Erweiterungsbau für die moderne und zeitgenössische Kunst: Blick in den Impressionistensaal im Städelschen Kunstinstitut mit innovativer Hängung, um 1922

Nach dem Erweiterungsbau für die moderne und zeitgenössische Kunst: Blick in den Impressionistensaal im Städelschen Kunstinstitut, um 1922

Bereits 1910 konnte er kapitale Werke wie Monets Das Mittagessen sowie zwei wichtige Arbeiten von Renoir für die Sammlung gewinnen – alle drei Direktankäufe von den Künstlern selbst. Schließlich gelang ihm im Jahr 1911 der äußerst diffizile Ankauf des Gemäldes Das Bildnis des Dr. Gachet von Vincent van Gogh. In diesem Jahr französische Kunst zu erwerben, war ein kulturpolitisches Statement gegen nationalistische Tendenzen. Swarzenski war unter den führenden Kunsthistorikern, die sich im deutschen Kaiserreich explizit für eine internationale Ausrichtung der modernen Kunst engagierten.

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Ab 1910 begann Swarzenski auch expressionistische Werke für Frankfurt zu erwerben. Unter den frühesten Eingängen in die Sammlung finden sich Gemälde von Pechstein und Kokoschka, Papierarbeiten von Nolde, Kollwitz, Lehmbruck, Barlach, Heckel, Kirchner und Beckmann – und weiterhin auch französische Kunst: Henri Matisse’s Gemälde Fleurs et céramique und Zeichnungen von Denis, Signac, Matisse, Cross, Maillol, Monet und Pascin. 1919 erwarb Swarzenski das erste Gemälde von Max Beckmann, die Kreuzabnahme, und gleich zwei Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, darunter Selbstbildnis als Soldat – beides Werke, die den Patriotismus des ersten Weltkriegs radikal in Frage stellten.

Claude Monet, Das Mittagessen, 1868 – 1869

Wenige Highlights von hunderten Werken der Moderne, die durch Swarzenski ans Städel Museum kam: Claude Monet, Das Mittagessen / Le Déjeuner, 1868/69, Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main

Gustave Courbet, Die Woge, 1869 – 1870

Gustave Courbet, Die Woge, 1869, Städel Museum, Frankfurt am Main, Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.

Franz Marc, Liegender Hund im Schnee, ca. 1911

Franz Marc; Liegender Hund im Schnee, 1910/1911; Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main, Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V.

Henri Matisse, Blumen und Keramik, 1913

Henri Matisse, Blumen und Keramik, 1913, Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn

Edgar Degas, Die Orchestermusiker, 1872 (1874 – 1876)

Edgar Degas, Die Orchestermusiker, 1872; Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum, U. Edelmann

Ende der Zwanzigerjahre war  Swarzenski, der seit 1914 auch Honorarprofessor an der Frankfurter Universität war, auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Frankfurt berief ihn zum Generaldirektor aller städtischen Museen. Zwei Jahrzehnte nach seinem Umzug war er zweifelsohne zum Frankfurter geworden.

Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollten sich die Vorzeichen für die einst liberal und progressiv bestimmte Frankfurter Kunst- und Kulturpolitik – die Swarzenski wesentlich geprägt hatte – drastisch ändern. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft wurde Swarzenski im Alter von 57 Jahren  aus seinem Amt als Generaldirektor entlassen. Die  expressionistischen Gemälde der modernen Galerie wanderten ins Depot.

Es bleibt die Frage, ob Nerven, Seele, Arbeitskraft nicht kaputt gehen.

Zwar konnte Swarzenski weiterhin als Direktor des Städelschen Kunstinstituts – der privaten Stiftung – im Amt bleiben, doch man sah sich bereits nach einem geeigneten Nachfolger um. In einem Brief an seinen Berliner Kollegen Erwin Panofsky vom 9. Juni 1933 beschreibt Swarzenski die unwürdigen, deprimierenden und kräftezehrenden Umstände, unter denen er versuchte, seine Arbeit als Städel Direktor fortzusetzen: „Die ‚äußere’ Regelung, mein Verbleiben am Städel, könnte eine befriedigende, sachlich sogar schöne Lösung sein, aber noch ist es fraglich, ob dies wirklich auf die Dauer durchzusetzen sein wird, und es bleibt die Frage, ob Nerven, Seele, Arbeitskraft nicht kaputt gehen.“

Anonym, Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Städel Museums anlässlich des 30-jährigen Dienstjubiläums von Georg Swarzenski, Städel Museum, Frankfurt am Main

Anonym, Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Städel Museums anlässlich des 30-jährigen Dienstjubiläums von Georg Swarzenski, Städel Museum, Frankfurt am Main

Als er im September 1938 seine Koffer packte, um Frankfurt für immer  zu verlassen, hatte das Reichspropagandaministerium große Teile der  Modernen Galerie im Städel als „entartet“ beschlagnahmt. Schließlich war er auf Druck der Gauleitung aus seinem Amt als Direktor des Städel Museums entlassen worden – ein Haus, das er 30 Jahre, ein halbes Leben, geleitet hatte.

Am Boston Museum of Fine Arts konnte dieser außergewöhnliche und hochverdiente Mann, der Frankfurt und dem Städel so viel gegeben hatte, schließlich eine neue Tätigkeit als „Fellow for Research in Medieval Art and Sculpture“ finden. Er knüpfte dort in einem unbekannten Land, das er nur 1926 einmal bereist hatte, wieder an sein Spezialgebiet an: die mittelalterliche Kunst. „Es gehört zur Größe Swarzenskis,“ schrieb einmal sein Freund und Kollege, der Kunsthistoriker Oswald Goetz, „es ist ein Zeichen seiner gestaltenden geistigen Kraft und seiner moralischen Stärke, daß er gerade gegen die Ungunst der Zeit unbeirrt seiner Arbeit nachgegangen ist.“

Anonym, Georg Swarzenski, undatiert

Anonym, Georg Swarzenski, undatiert

Fast zwanzig Jahre  arbeitete Swarzenski auf dieser vergleichsweise bescheidenen Position als Wissenschaftler und Kurator weiter. Als er 1957 im Alter von 81 Jahren starb, titelte die New York Times in seinen Nachruf nichtsdestotrotz: „Georg Swarzenski, Museum Director.“ Als solcher hat er die Sammlung und Geschichte des Städel Museums mit „Sachkenntnis, Begeisterung und Liebe“ geprägt. Die Spuren seines Wirkens sind bis heute gegenwärtig.


Iris Schmeisser ist Provenienzforscherin und leitet das Städel Archiv.

In der Podcast-Serie FINDING VAN GOGH haben wir Georg Swarzenski eine ganze Folge gewidmet: zu hören auf findingvangogh.de und auf allen gängigen Podcast-Plattformen, etwa bei Apple Podcasts oder Spotify. Auch auf Englisch.

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